Kapitel 9

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Pov Salim Andorian

Ich wusste nicht, warum ihre Worte mich so sehr trafen. Ich hatte schon seit langer Zeit aufgehört zu hoffen, meine Mutter irgendwann wiederzusehen. Warum fühlte ich mich jetzt also so schrecklich?

Vielleicht, weil Hoffnung manchmal grausamer ist als eine finale Erkenntnis, flüsterte eine leise, fiese Stimme in meinem Kopf.

Ich presste die Hände auf meine Ohren, so albern das auch war, denn natürlich hatte das so wenig Effekt, wie davor davon zu rennen.

Ich wusste nicht, wo meine Füße mich hintrugen, als ich durch die Korridore stürmte. Keiner der Umstehenden wagte auch nur den Versuch, mich anzusprechen. Und das war mir ganz recht so.

Letztendlich war es die Bibliothek, in der ich landete. Sobald der Geruch von vergilbendem Papier, Staub und Tinte mich umgab, entspannte ich mich ein wenig. Aber nur so weit, dass ich mich davon abhalten konnte, meine Faust in die Wand zu rammen.

„Salim." Ich fuhr herum und schaute in die lächelnden Augen von Felya, der Bibliothekarin und wahrscheinlich weisesten Frau ganz Lakanias. Im Automatismus neigte ich in einer respektvollen Geste den Kopf.

„Was führt Euch hier her, Sire?", fragte sie mich besorgt, angesichts meiner grimmigen Miene. „Das tut nichts zur Sache", erwiderte ich barscher als beabsichtigt, doch sie hatte sich noch nie von so etwas einschüchtern lassen. „Es ist Eure Entscheidung, ob Ihr mit mir sprechen wollt oder nicht. Ein Buch?" Ich nickte mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. Ihre lebendigen Augen verhakten sich noch einen Moment mit meinen, bevor sie sich abwandte und in den Regalreihen verschwand.

Seufzend schlenderte ich auf einen Studientisch mit Sessel zu und ließ mich hineinsinken. Obwohl es schon später Abend war und ich eigentlich todmüde sein sollte, war jetzt nicht an Schlaf zu denken und ich war froh, dass ich Felya über den Weg gelaufen war.

Ihre ruhige und besonnene Art kühlte mein aufgeheiztes Gemüt wieder ab und ich konnte einen klaren Kopf gebrauchen. Selbst wenn ich meine Mutter nicht befreien konnte, konnte ich die Lehre und Lakania beschützen. Ich musste. Und das ließ nur eine logische Schlussfolgerung zu. Morgen würde ich Myra Valerian aufsuchen, mich entschuldigen und sie erneut um Hilfe bitten.

Im nächsten Moment kehrte Felya mit einem Stapel Bücher beladen zurück und ich sprang auf. „Bitte, lass mich dir helfen", sagte ich und griff nach den obersten fünf Wälzern. „Unsinn", widersprach sie und schnappte sich ein Buch aus meiner Hand. „Ich arbeite seit über fünfzig Jahren in dieser Bibliothek und habe schon Bücher geschleppt, da ward Ihr noch nicht einmal geboren. Also setzt Euch und verhaltet Euch einem Prinzen angemessen." Ich runzelte die Stirn. „Ich darf dir nicht helfen, weil ich ein Prinz bin?" Sie lächelte und tätschelte meine Wange, was aus mehreren Gründen komisch aussehen musste. Zum einen hatte sie einen Stapel schwerer Bücher auf dem Arm, der ihr bis zum Kinn reichte und zum anderen war sie um etwa anderthalb Köpfe kleiner als ich.

Ich ließ es jedoch zu. Felya kannte mich mein ganzes Leben lang und einen Teil meiner Ausbildung hatte ich unter ihrer Obhut absolviert. Sie war wie eine zweite Mutter für meine Geschwister und mich. Der Gedanke versetzte mir einen erneuten Tiefschlag.

Es war eine ganz andere Qual zu wissen, dass sie noch lebte, ich sie aber nie wieder sehen würde. Man konnte nie wirklich abschließen.
Felya setzte sich in einen zweiten Sessel und musterte mich mit einem Ausdruck, der mich seufzen ließ. Doch sie sagte nichts, bedrängte mich nicht und ich war dankbar dafür. Sie gab mir Zeit, mich zu sammeln.

„Es ist schön, Euch zu sehen, Salim", sagte sie nach einer ganzen Weile. „Seit weder Ihr noch Eure Geschwister in meiner Obhut sind, ist es seltsam still in diesen Räumen." Ein Lächeln kämpfte sich gegen meinen Willen auf meine Lippen. „Ich vermisse die Zeiten, in denen alles so einfach war." „Es war nie einfach. Ihr ward nur zu klein, um die Ausmaße aller Entscheidungen zu verstehen." Ich blickte auf. „Das mag sein. Aber ich habe jetzt eine Verantwortung, der ich nachkommen muss, ob ich will oder nicht." Sie seufzte schwer. „Niemand sucht sich die Bürden aus, die er zu tragen hat, Salim. Euch wurde große Verantwortung mit in die Wiege gegeben und Ihr müsst Euch ihr stellen. Es tut mir leid, was Eurer armen Mutter widerfahren ist und dass die Lehre verschwunden ist. Das ist es doch, was Euch zu mir getrieben hat, nicht wahr?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 02, 2020 ⏰

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