Part 1: über Küchen und ungebetene Gäste

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Der Raum war dunkel und doch hatte Alon keinerlei Probleme damit seiner Lektüre zufolgen. Was vermutlich daran lag, dass das Buch in seinen Händen nicht ganz denen glich, die man in dem kleinen Buchladen an der Ecke oder an der nächsten Ecke oder auch an der übernächsten, hätte finden können. Jedenfalls nicht in den öffentlich zugänglichen Räumen dieser nach Papier und Weisheit riechenden Geschäfte.

Tatsächlich war das Buch, mit dem Alon an seinem schäbigen Schreibtisch saß eher von der Art, die neben Geflüster und dem Knarzen von alten Dielen in schummrigen Hinterzimmern den Besitzer wechselten.

Warum genau Alon aber kein Licht zum Erkennen der Buchstaben brauchte? Nun, das lag vermutlich ganz einfach daran, dass, auch wenn genügend Beleuchtung vorhanden gewesen wäre, sich keine Buchstaben auf den Seiten hätten finden lassen.

Alon blätterte eine weitere leere Seite um und runzelte missbilligend die Stirn als hätte er einen Fleck oder ein Eselsohr entdeckt, das ein anderer indem kleinen Lederbändchen hinterlassen hatte, bevor das Buch den Besitzer wechselte. Obwohl man mit etwas Licht gesehen hätte, dass den Seiten – einmal von den leicht angegilbten Rändern abgesehen –absolut nichts fehlte, strich Alon über das Papier, als wolle er einen Knick glätten, bevor er seine Lektüre fortsetzte.

Die zugezogenen Vorhänge raschelten, als eine nächtliche Brise durch das, hinterdem dicken Stoff geöffnete, Fenster wehte, und wenn man zu den Menschen gehörte, die sich, wenn sie draußen unterwegs sind, bei jedem kleinen Geräusch paranoid umdrehen, hätte man das Rascheln als Wispern kleiner Stimmchen wahrnehmen können.

Obwohl diese Stimmchen natürlich nicht existierten – schließlich leben wir in einer Welt, in der die meisten Leute davon überzeugt sind, so etwas, wie das Übernatürliche gäbe es nicht – runzelte Alon ein weiteres Mal die Stirn und nickte abwesend, wie man es bei vielen beobachten kann, wenn sie beim Lesen unterbrochen werden.

Und genau, wie andere Bücherwürmer nahm er die Information, die er erhalten hatte, nur mit halbem Ohr auf, immer noch auf die unbeschriebenen Seiten konzentriert.

Die Vorhänge warteten geduldig, raschelten aber ein weiteres mal, lauter diesmal, als Alon immer noch keine Anstalten machte aufzustehen und sich das Wasser für seinen Tee zu holen, das soeben in der Küche zu kochen angefangen hatte.

Mit einem missbilligenden Schnauben klappte Alon jetzt doch das Buch zu –natürlich nicht, ohne das nächstbeste Stück Papier zwischen seine Seiten zu schieben – und rutschte von seinem Schreibtischstuhl, den er wie so oft zu hoch eingestellt hatte. (Oder der sich selbst zu hoch eingestellt hatte, so genau konnte man das bei ihm nie wissen.)

Alon schlurfte auf die Tür seines kleinen Schlafzimmers zu, das außer dem Tisch, dem widerborstigen Schreibtischstuhl und den Vorhängen, die das Zimmer tagsüber pflichtbewusst vor dem Sonnenlicht schützten, noch ein Bett und einen kleinen Kleiderschrank beinhaltete. Viel mehr hätte vermutlich auch mit Gewalt nicht in das kleine Erkerzimmer gepasst, ganz zu Alons Betrübnis, der schon immer gerne eines seiner Bücherregale in seinem Zimmer gehabt hätte.

Aber natürlichwusste er, dass das auch mit mehr Platz nie gutgegangen wäre. Die Gefahr, einer der Vorhänge könnte zur Seite rutschen und UV-Strahlen an die weißen Seiten und brüchigen Rücken lassen, war viel zu groß, um auch nur daran zu denken, eines der Bücher über Tag mit ihm in die Nähe eines Fensters zu nehmen.

Mit einem beleidigten Knarren, dass die frisch geölten Scharniere der schmalen Tür eigentlich gar nicht hätten von sich geben dürfen, schwang das lackierte Stück Eichenholz zur Seite, sobald Alon bittend die gusseiserne Klinke berührte. Er wusste es besser, als zu versuchen die Tür mit eigener Kraft zu öffnen. Er wohne schon lange genug in dieser kleinen, düsteren Wohnung, um zu wissen, dass man die Schlafzimmertür besser nicht reizte.

AnubisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt