Was für ein herrlicher Tag, um einen Spaziergang zu machen. Vögel zwitschern, die Sonne scheint, sie stoppt an der Straße, schaut nach links und dann nach rechts, kein Auto ist in Sicht. Schnellen Schrittes überquert sie die Straße und gelangt in die große Parkanlage am Stadtrand, von der sie, sie ist noch immer glücklich über diese Entscheidung, nur einige hundert Meter entfernt wohnt. Die vergangenen Tage hatte sie emsig damit verbracht, ihr neues Projekt spruchreif zu machen. Im Büro bedrängte man sie von allen Seiten. Die Chefin wollte einen endgültigen Termin, die Finanzbuchhalter Auskunft zu geplanten Kosten, die Personalabteilung Kriterien, um Stellenausschreibungen zu erstellen. Alles hing von ihr ab, so fühlte es sich jedenfalls an. Sie war durchaus nicht unzufrieden mit ihrer bisherigen Arbeit. Sie hatte ein Konzept entwickelt, Partner angeschrieben und diese ins Boot geholt. Sie hatte einen Ablaufplan erstellt und Skizzen angefertigt. Sie schreckt aus ihren Gedanken hoch, ein Fahrradfahrer hat ihr gerade dreist den Weg abgeschnitten. Sich umschauend, ob mit noch weiteren potenziell gefährlichen Verkehrsteilnehmern zu rechnen war, setzt sie ihren Spaziergang nun ganz am Rand des Weges fort. Nächtelang hatte sie durchgearbeitet und ihren Freund abends oft warten lassen. Das Projekt war an oberste Stelle gerückt. Workaholic, hatte ihre Mutter sie genannt, als sie ein gemeinsames Kaffeetrinken abgesagt hatte. Doch sie war sich sicher, dass es das wert war, die Idee war brillant und das Projekt würde mit ziemlicher Sicherheit ein großer Erfolg werden. Wenn es nicht noch an dieser einen Kleinigkeit scheitern würde. Sie war in ihrem Kopf alle Möglichkeiten durchgegangen, doch kam zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Das kann doch nicht so schwer sein, sagte sie wieder und wieder zu sich selbst. Oft hatte sie schon auf ihren kleinen Spaziergängen die erwartete Eingebung gehabt. In der Natur wird ihr Kopf frei und sie kann sich besser auf Dinge fokussieren als in jeder erdenklich anderen Situation. Doch heute lässt der Geistesblitz auf sich warten. Sie beginnt zu zweifeln. Sollte alles, abhängig von dieser Nichtigkeit, scheitern? Wahrscheinlich war die Sache gar nicht so dramatisch wie sie sich sie in ihrem Kopf ausmalte. Es kommt oft vor, dass sie sich in Dinge hineinsteigert und ihnen unsagbaren Wert zuspricht, den sie nicht im Ansatz verdienen. Doch so ist sie, Perfektionistin durch und durch. Durch die Grübelei leicht wütend geworden, kickt sie gegen einen kleinen Stein, der ihren Weg zu stören scheint. Sie verfolgt den Flug des Steines, der am Rand des Weges zwischen ein paar Bäumen landet. Ihr Blick bleibt an den Bäumen hängen, sie tritt näher heran und was sie dann, zwischen zwei große Pappeln, weiter in der Ferne, erblickt, lässt sie zusammenzucken. Das ist es, spricht sie zu sich, warum bin ich da nicht selbst draufgekommen? Ich muss ins Büro. Sie macht kehrt und rennt entlang des Weges zurück, den sie gekommen war.
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In Gedanken - Kurzgeschichten
Short Story...Einblicke in das Leben und die Gedankenwelten von Personen. Personen, mit alltäglichen Sorgen und Problemen. Personen, mit Träumen und Sehnsüchten...