27

26 7 0
                                    

Sie lächelte. "Wie...wie kann das?", fragte Ben. "Du... du bist tot...du..." Tammy stand auf. "Ja...das ist wahr Ben, aber ich lebe in deiner Fantasie!" Sie stellte sich dicht vor ihn. Ben wagte nicht, sich zu rühren. "Geh weg, du machst mir Angst!" Tammy wich zurück. "Schön...Wie du meinst. Doch glaub mir, ohne mich wirst du die Insel nie wieder sehen." Er ballte seine Hände. "Woher..." 

"Nein, nein, nein Benny, nicht woher. Wann!" 

"Was?" 

"Du warst schon immer etwas begriffsstutzig. Die Frage ist nicht, woher ich von der Insel weiß! Die Frage ist, wann du wieder dort sein wirst. Und ich verspreche dir, wenn du kommst, bin ich auch da..." Ben streckte eine Hand nach ihr aus, wollte sie berühren, doch sie glitt einfach durch Tammys Körper hindurch. "Bist du ein Geist?", fragte er. "Komm schon, ist das dein Ernst? Ich bin tot, find dich doch endlich damit ab! Es gibt keine Geister!", meckerte Tammy los. Ben zuckte zurück. "Wo ist die Insel? Wie kann ich dorthin zurück?" Sie grinste ihn an. "Wann! Ben, wann! Das ist die Frage, die du dir stellen musst und ich sage dir: " Sie machte eine dramatische Geste. "Jederzeit!" Ben runzelte die Stirn. "Wenn ich dort bin, wirst du dort sein, wie immer, oder wirst du so scheiße sein, wie jetzt?", fragte er schließlich. Tammy verschränkte die Arme. "Also wirklich!" Dann kicherte sie. "Ich sag dir, wie du  hinkommst, wenn du mir einen Gefallen tust!" "Du bist tot, wie soll das gehen?" 

"Du kannst mich sehen, allein deshalb würde ich mir an deiner Stelle Sorgen machen!" Er kratzte sich am Kopf. "Wie meinst du das?" Tammy ließ die Frage unbeantwortet. "Du gehst heute Abend zum Essen und setzt dich zu den Anderen. Du konfrontierst den Typen und du machst ihm klar, wer die Oberhand hat!"

"Wow, das werde ich nicht tun!" 

"Dann verabschiede dich von der Insel und deiner geliebten Cléo!" Ben stockte der Atem. "Woher weißt du von ihr, ich habe niemandem davon erzählt!" 

"Ben, die Tatsache ist, das ich in meinem jetzigen Zustand alles weiß. Und du weißt nichts. Und morgen nach der Schule kommst du aufs Dach!" 

"Das Dach? Warum?" 

"Du wirst schon sehen, aber erst, wenn du mir den Gefallen getan hast!" und dann verschwand sie. Die Tür ging auf. "Mit wem hast du geredet?" Ben fuhr herum. 

Summer stand im Rahmen und sah etwas verlegen aus. "Geredet? Ich hab nicht geredet, mit Niemandem!" 

"Ich hab dich doch gehört!", sagte sie und grinste. "Du kannst mir sagen, wenn du mit deinem Freund oder so telefoniert hast." Ben sah sie verwirrt an. "Nein, ich...ich hab keinen Freund." "Nicht, oh...dann...okay, jedenfalls bin ich hier, um mich zu entschuldigen. Für die Scheiße von heute Vormittag! Das war echt unmöglich und ich kann verstehen, wenn du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben willst." Sie senkte den Blick. "Nein, das...das ist in Ordnung. Ich..." Ben zögerte. "Ich bin nicht schwul. Das hab ich nur gesagt, um..." Summer kicherte. "Ja, das weiß ich, als ich gefragt habe, warum, da meinte ich, warum du lügst und nicht, warum du schwul bist." 

"Oh...", machte Ben. "Hast du Bock auf Kino?", fragte er schließlich. Erstaunt sah Summer ihn an. "Klar, wieso nicht." Sie lächelte. Ben auch. Das war gut. "Cool, dann äh darfst du den Film aussuchen und wir treffen uns da?" Summer nickte. Ben auch.

Der Film fing etwa eine halbe Stunde nach dem Abendessen an. Ben schlang hastig alles runter. Er wollte es sich mit Summer, die jetzt scheinbar so etwas, wie eine Freundin war, nicht verscherzen. Als er seinen leeren Teller zu den anderen stellte, bekam er einen Stoß von hinten. Der Teller fiel zu Boden. Entnervt sah die Küchenfrau ihn an. "Sorry..." murmelte Ben und sah sich um. Hinter ihm stand der Junge aus dem Gemeinschaftsraum, zusammen mit ein paar Kumpels. Ben schluckte. "Hi?", sagte er. "Ach guck an", lachte der Junge. "Mylo Sandler", sagte er dann. Ben zögerte. "Was?" 

"Mein Name, du Idiot." Der Junge verdrehte die Augen. "Also, Schwuchtel, was machen wir mit dir?" Gespielt fragend sah er zu seinen Begleitern. Sie zuckten mit den Schultern. "Ich denke, wir zeigen ihm, dass wir so etwas hier nicht dulden." 

"Ich bin nicht schwul", seufzte Ben und rollte ebenfalls mit den Augen. 

"Sehr überzeugend!", grinste Mylo. Dann rammte ein breitgebauter Typ, der noch vor wenigen Sekunden hinter dem Jungen gestanden hatte, seine Faust in Bens Gesicht. Überrascht taumelte Ben nach hinten. "Was zum..?" japste er und duckte sich hastig vor dem nächsten Schlag. Er schmeckte Blut. Hinter dem zufrieden aussehendem Mylo stand Tammy. "Los Ben, zeig's ihnen!" Ben stutzte, dann fing er an zu lächeln. Adrenalin übernahm seinen Körper. Noch während sein Gegenüber verunsichert fragte: "Was is'n mit d-", warf er sich auf ihn.

Ben schlug auf Mylo ein. Irgendjemand zerrte an ihm, doch Ben machte weiter. Mit jedem Mal, dass er Mylos Gesicht unter seinen Knöcheln spürte, spuckte er ein Wort aus. Ich. Bin. Nicht. Schwul. Ich. Bin. Nicht. Komisch. Du. hast. kein. Recht. dich. über. mich. lustig. zu machen. du. armseliges. Stück. Scheiße.

Als er fertig war rappelte er sich auf und verließ den Raum. Mylo lag wimmernd am Boden. Eilig kramte Ben, das provisorische Handy, das Livia ihm geliehen hatte aus der Tasche.

Sorry, ich kann nicht kommen, bin krank geworden :/

Er schickte die Nachricht an Summer ab und rannte dann in den obersten Stock. Anstatt in den Wohnflur abzubiegen, blieb er stehen und sah sich um. Auf dem Geländer saß Tammy mit baumelnden Beinen. "Gut gemacht, nimm das Fenster da" Sie zeigte auf ein Fenster am Treppenabsatz. Es gab keine Möglichkeit, es zu öffnen, also rammte Ben seine sowieso schon blutige Faust in das Glas. Es tat höllisch weh und erzeugte ein lautes Klirren. Zum Glück war die Scheibe relativ dünn. Er kletterte auf das Treppengeländer und zwängte sich durch den Rahmen ins Freie. Glassplitter brachen ab und fielen in die Tiefe. Unsicher warf Ben einen Blick nach unten. Das Gebäude hatte fünf Stockwerke. Unter ihm war der Garten. Niemand war draußen, niemand konnte ihn sehen. "Mach schon!", maulte Tammy und hüpfte vom Geländer.

Ben seufzte und griff nach der Dachkante über ihm. Keuchend zog er sich hoch. Kurz hing er ungesichert über dem Abgrund, doch er blendete die Tiefe aus und schwang ein Bein über die Kante. Zentimeter für Zentimeter arbeitete er sich vor, bis er schließlich oben war. Hechelnd richtete er sich auf. Seine Hände waren blutüberströmt. Es pochte. "Fein!", sagte Tammy, die plötzlich wieder vor ihm stand. "Dann zeig ich dir jetzt den Weg!"

Die InselWo Geschichten leben. Entdecke jetzt