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Langsam wird die Tür zu meinem Zimmer geöffnet und eine junge Frau steckt ihren Kopf durch den Spalt.
Sie hat große, warme, grüne Augen, die mich an die saftigen Blätter der Bäume im Park in der Nähe erinnern. Dort habe ich früher immer gerne mit meiner besten Freundin aus dem Kindertagen gespielt. Sie hatte auch solche schönen Augen. So fesselnd. Ich konnte es noch nie wirklich beschreiben.
Ihre langen roten Haare fallen ihr geschmeidig über ihre Schulter, als sie mich mit schief gelegtem Kopf anschaut. Ihr Mund steht leicht offen und ihre Augen beginnen etwas größer zu werden. Vor Erstaunen? Keine Ahnung.
„Ava? Bist du das?"
„Zumindest das was von ihr übrig geblieben ist. Wer fragt?", antworte ich mit belegter Stimme.
Sie starrt mich noch einen kurzen Moment an, bevor sie dann ihren schlanken Körper in mein Zimmer schiebt. Sie schließt die Tür leise hinter sich und kommt etwas vorsichtig auf mich zu. Sie wirkt immer noch so überrascht, als ob ich ein besonderes Phänomen wäre. Wie eine Mondfinsternis oder sowas. Oke, langsam werde ich stutzig.
„Wer bist du?", frage ich ungeduldig während ich sie erwartungsvoll anschaue. „Erinnerst du dich nicht mehr?"
Sie wirkt tatsächlich gekränkt, aber versucht es zu verbergen. Nur scheitert sie da ein wenig.
Ich strenge alle meine Gehirnzellen an, doch wegen der Gehirnerschütterung fällt es mir deutlich schwerer. Mein Kopf pocht und ich hab das Gefühl er wird jeden Moment platzen. Durch mein ganzen Gefühlschaos wegen der Begegnung mit meinem Bruder und diesem Mister Durchgeknallt, habe ich ganz vergessen wie müde ich eigentlich bin. Mir tut wirklich alles weh, was schmerzen kann.
Ich schaue die junge, hübsche Frau genauer an. Diese Augen und die intensiv roten Haare. Sie kommt mir irgendwie bekannt vor. Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
„Susanne?"
Meine Erkenntnis freut sie sichtlich. Da ist es kein Wunder, dass mich ihre Augen an den Park erinnern.
Susanne und ich waren Freundinnen im Kindergarten und in der Grundschule. Doch dann ist ihre Familie aus Seattle in eine kleine Vorstadt gezogen, wo ihre Eltern einen kleinen Laden aufmachen wollten. Ob sie das getan haben, weiß ich nicht mal.
Auf einmal schließt mich Sus in eine unerwartete Umarmung. Und ihr zuliebe überwinde ich meinen antrainierten Reflex sie von mir weg zu schieben, mich vor dieser sozialen Interaktion abzuschotten und mich mal wieder zu verschließen.
Seit Moms Tod bin ich es gewöhnt meine Gefühle zu unterdrücken. Es tut einfach so gut, nicht den Schmerz zu fühlen.
Ich lächle Sus an und als wir uns voneinander lösen sehe ich, dass sie mein Lächeln erwidert. Dann überrollt mich aus dem Nichts wieder meine Müdigkeit. Das Einzigste was ich im Moment will ist nur noch schlafen.
Und als könne Sus meine Gedanken lesen, steht sie auf und drückt mich behutsam in die Kissen.
„Dein Bett ruft."
Sie zwinkert mir zu und ich lächle sie als Antwort dankbar an. Ab dem Punkt wo sie mich zudeckt, kann ich kaum noch die Augen offen halten, geschweige denn mich großartig bewegen.
„Meine Schicht ist in ungefähr drei Stunden vorbei. Wenn du dann wieder wach bist können wir ja noch reden."
Sie lächelt mich noch einmal an und verlässt dann den Raum. Reden. Wie lange ist es her, dass ich wirklich mit einem Menschen gesprochen habe. Und ich möchte so sehr mit ihr reden. Sus ist so vertraut und ungewohnt zu gleich. Doch bevor ich mich wieder in Gedanken verlieren kann, übermannt mich jeh der Schlaf.
Das letzte an was ich denke, kurz bevor ich in die endlose Schwärze meiner Traumwelt entschwinde ist, dass das Schicksal es nun wohl doch gut mit mir meint. Oder versucht, einen gravierenden Fehler auszubügeln. In dem es mir meine Bezugspersonen zurück in mein Leben schickt. Oder das, was einer Bezugsperson am Nächsten kommt. Aber warum erst jetzt? Ist es nicht schon längst zu spät für eine Wiedergutmachung?
Und als ich dann mitten in der Nacht aufwache, sehe ich wieder dieses eine Wort vor mir. Reden. Re-den. Reeeden. R-e-d-e-n.

Stroke of Fate Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt