Du bleibst eine unbestimmte Zeit liegen. Hinter deinen Augen wütet ein Blitzgewitter der untergehenden Sonne und für dich dreht sich auch mit geschlossen Augen immer noch alles. Aber das ist okay. Du genießt das Gefühl des Schwindels und des dadurch aufkommenden Übels, auch deine Monster kannst du, für den Moment zu mindestens, mit offenen Armen begrüßen.
Trauer ist ein trügerisches Gefühl. Sie bettet dich ein, wiegt dich wie ein Schlaflied in Ohnmacht und du fühlst dich geborgen, wie in den Armen eines guten Freundes, bevor sie zuschnappt. Sobald sie dich in ihren Fängen hat, lässt sie dich nicht mehr los. Sie zerrt an dir, zerreißt und beißt dich, alles, was dann noch von dir übrig bleibt sind die Fäden deines Herzens. Plötzlich bestimmt sie dich, nimmt dich ein, umklammert dich und dann gibt es kein Entkommen mehr, du bist ihr schutzlos und ganz auf dich alleine gestellt, ausgeliefert. Und das Schlimmste – mittlerweile weißt du es – ist eigentlich die Tatsache, dass du keine Angst verspürst. Keine Wut und keine Furcht. Trauer ist etwas, das selten Platz für andere Gefühle lässt. Gefangen fühlst du dich also keines Wegs. Im Gegenteil, eigentlich willst du nur noch in Melancholie versinken und die Melodie der Traurigkeit vor dich hin summen bis du irgendwann verstummst.
Dein Kopf dröhnt, als du die Augen öffnest und die letzten Sonnenstrahlen deine Nase kitzeln. Der Stümmel vom Gras ist mittlerweile aus, aber er ist noch nicht aufgetaucht, also zündest du ihn noch einmal an und nimmst einen weiteren tiefen Zug. Du willst das Gefühl der Droge und des Nikotins in deinen Lungen spüren, wie es sich ausdehnt und dich benebelt. Es erfüllt deine Fasern und Knochen und dein Herz schlägt einen so langsamen und so beruhigenden Takt, dass die Welt langsamer wird. Plötzlich ist nichts mehr schnell und hektisch, die Welt ist nicht mehr schwindlig sondern lässt sich in einem unendlichen Augenblick des Momentes einfangen. Du streckst deine Hand aus, versucht das Gefühl der Leichtigkeit aufzufangen, aber es gelingt dir nicht.
Alles ist für dich so langsam, dass du gar nicht merkst, dass die Sonne schon längst unter gegangen ist und der Spielplatz sich in stockfinsterer Dunkelheit taucht. Aber du genießt dieses Gefühl so sehr, dass du gar nicht möchtest, dass die Zeit vergeht. Du willst verweilen, in diesem Gefühl wieder atmen zu können, kurz stehen bleiben und dir die Gegend anschauen.
Wenn du ganz oben ankommst, genieß die Aussicht.
Du zuckst zusammen, als deine Gedanken dir den Streich einer bekannten Stimme spielen. Erschrocken blickst du dich kurz um, aber du weißt, dass du diese Stimme nie wieder hören wirst. Und vielleicht ist es auch besser so. Vielleicht sollte sie nur für die Spanne von zwei Jahren von dir gehört werden und dann eben nicht mehr. Als du darüber nachdenkst, stellt sich eine große Silhouette in dein Blickfeld. Zuerst denkst du, immer noch benommen von deinen vorherigen Gedanken, es wäre eine Fata Morgana, ein Hirngespenst, da, um dir deine schrecklichsten Alpträume zu erfüllen.
Aber ein Windstoß kommt und weht dir einen bekannten Duft hinüber und dein Gehirn erinnert sich zurück.
„Sunny"
Deine Stimme ist tiefer als sonst, belegt und verraucht von dem Joint, welcher immer noch zwischen deinen Fingern steckt. Auf deinem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus, als er sein Handy aus der Hosentasche fischt und die Taschenlampe anmacht, wodurch sein Gesicht hell erleuchtet wird. Der dunklere Ton seiner Hautfarbe, der seinen puertorikanischen Genen zuzuschreiben ist und das Grübchen an seinem Kinn fallen dir durch das Licht, jetzt mehr als sonst ins Auge.
„Du bist schneller als sonst Häschen, das dritte Päckchen diese Woche"
Vielleicht klingt er besorgt, aber die Droge raubt dir deinen Menschenverstand mit jeder Sekunde etwas mehr und deswegen kannst du es nicht sagen. Eigentlich sollte er es auch besser wissen. Sunny hatte diese Regel, die dich eigentlich dazu gebracht hat so lange bei ihm zu bleiben: Der Kunde hat eigene Leichen im Keller, ich bin nicht hier um sie mit ihm zu begraben. Frag nicht nach was los ist, die Antwort wird immer, alles okay sein.
Er fischt ein Feuer aus seiner Jackentasche, erst jetzt merkst du den neuen, perfekt gerollten Joint in seiner Hand. Er steckt ihn an, lässt ihn brennen und sich entzünden und dann nimmt er einen so großen Zug, du hast fast Angst, dass seine Lungen platzen. Er atmet aus, bildet eine Rauchwolke und reicht ihn dir.
„Is das neue Zeug, pur, hatte keinen Tabak mehr, mit Aktiv Kohle Filter, willste?"
Es klingt so entspannt, der Klang seiner Stimme ein Friedensangebot, der Blunt zwischen seinen Fingern der einzige Weg zur Freiheit und ohne zu bedenken greifst du zu. Das ist diese Sache mit der Sucht, du sagst dir immer, dass es weniger wird, dass heute das letzte Mal sein wird und du drüber hinweg bist. Aber du bist nie darüber hinweg. Der Geruch winkt dich einladend auf eine kleine Runde ein und plötzlich lässt dir die Droge keine Ausweichmöglichkeiten. Sie ist die Flucht, das Paradis, wohin sollte man schon flüchten wollen, wenn man bereits im Himmel angekommen war?
Der Geschmack ist intensiv, stark, aber lässt dich nicht aufhusten. Du bist verliebt. Verliebt in das Gefühl der Unendlichkeit und unbesiegbar zu sein. Du hast das Gefühl nie wieder leid spüren zu müssen, als wärst du der König der Welt und Melatonin-Überproduktion wäre gar kein Begriff für dich und deinen kaputten Kopf.
„Scheiße ist das gut"
Du lachst und legst dich zurück auf's Gras. Mittlerweile funkeln Sterne am Himmel und das Gras fühlt sich Federleicht an, als würdest du auf Wolken liegen. Du blickst zu Sunny hinüber und fühlst dich gut, aber die Monster sind auf der Lauer. Bereit dich abzuschleppen, zu fesseln und zu knebeln und deinem Herz die Eiszeit wieder zu geben. Sie warten, geduldig an der nächsten Ecke und du bist naiv, wissend fällst du in ihre Falle und wartest einfach auf den nächsten Moment ihnen wieder entfliehen zu können.
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See Me Fall
Historia CortaDu bist so verloren. Hast keine Ahnung wer du bist oder wer du sein willst. Du wünscht dir dein altes Leben zurück aber das letzte Jahr hast du gänzlich damit verschwendet dir einzureden, dass du am besten so weit weg wie möglich von jeglichen Eri...