Das braune Klavier im Ladenraum war bereits seit Kindertagen Wonwoos Lieblingsplatz gewesen.
Als er stundenlang auf dem grünen Sofa gesessen, seinem Großvater beim Spielen zugehört und die Zeit vergessen hatte, bis schließlich sein Vater persönlich im Laden vorbeikam und ihn lachend nach Hause zum Abendessen schleppte. Das Klavier war seinem kleinen Körper damals monströs erschienen, er hatte ehrfürchtig zu ihm aufgesehen.In seiner nächsten Erinnerung saß er gemeinsam mit seinem Großvater auf der Klavierbank und presste zögerlich und sanft die Tasten nach unten; mit der Sorge ja nichts falsch zu machen und das Instrument zu verärgern, die Töne falsch und erzwungen klingen zu lassen. Doch bis heute erinnerte er sich, wie sein erster Ton in der Luft tanzend geklungen hatte und wie das Klavier ihn warm willkommen hieß, bis er vollkommen in seinen Bann gezogen war.
Mit der Zeit wuchs er über das Klavier hinaus, seine Hände wurden größer, seine Finger flinker, doch spielten sie immer noch genauso achtsam, wie seine weichen Kinderfinger.
Das unscheinbare braune Klavier war sein Leben lang an seiner Seite gewesen, hatte seine fröhlichsten Momente in lebensfrohen Melodien und schnellen Rhythmen und seine dunkelsten Momente in Moll und langsamen, finsteren Themen festgehalten.Konzentriert ließ Wonwoo seine Hände ebendiese Klaviatur hinaufwandern, darauf achtend, dass er seine Hand bei den Übergriffen korrekt hielt. Die Töne begannen unter seinen Fingern zu perlen je schneller er wurde, doch schafften seine Finger es ebenso mühelos einander abwechselnd ihren Platz auf den schwarzen und weißen Tasten zu finden und den richtigen Ton anzuschlagen.
Zufrieden beendete Wonwoo seine Fingerübung und schüttelte seine Hände kurz aus, bevor er sie erneut auf die Klaviatur aufsetzte und sie, wie automatisch, durch einen typischen Jazz Lick laufen ließ. Wie so oft von dem Farbwechsel der Melodie beeindruckt ließ er seine Hände für den Moment sinken und strich nur noch mit einem Finger zart über die alten Elfenbeintasten."Ahh, McCoy!", kommentierte sein Großvater aus der Küche und Wonwoo lächelte in sich hinein, dass sein Großvater sich erinnerte, woher der Lick stammte.
"Aus welchem Stück ist das noch?"
"Passion Dance"
Wonwoo drehte sich um und sah seinen Großvater etwas verloren in der Küche stehen.
Er deutete mit dem Finger auf Wonwoo.
"Du hast Recht mein Junge, wie konnte ich das nur vergessen? Ein Meisterwerk dieses Solo."Wonwoo antwortete nicht, sondern starrte auf die Klavierbank, in dessen durchgesessenes Polster er seine Finger grub.
"Was wollte ich hier nochmal in der Küche?", hörte er seinen Großvater murmeln, während er vor dem dreckigen Geschirr stand.
Seufzend wandte er sich wieder dem Klavier zu und transponierte den berühmten Lick nach D-Moll, was ihn auf der Stelle trüb klingen ließ. Doch Wonwoo begann darüber zu improvisieren und provozierte die dunkle Klangfarbe, die die Melodie durch den Tonartwechsel annahm durch langsameres Spiel nur noch weiter heraus. Prompt verlor er sich in den Tönen und legte mit zusammengezogenen Augenbrauen seinen Kopf schief.
"Also das klingt mir aber nicht nach einem Passion Dance. Wenn er tot wäre würde ich jetzt sagen, da dreht sich Tyner ja im Grabe herum", ertönte plötzlich andere Stimme direkt neben ihm und es folgte ein lautes Schlürfen durch einen Strohhalm neben seinem Ohr. Wonwoo sah auf das Paar gelber Converse, die neben seiner Klavierbank zum Stehen gekommen waren. Zumindest waren sie mal gelb gewesen, aber das wusste Wonwoo auch nur, weil er beim Kauf anwesend gewesen war. Erkennbar war das nicht mehr.
Wonwoo beendete seine Improvisation, hob sanft seine Hände von den Tasten und sah dann wenig überrascht zu Jihoon auf, der aus einem Trinkpäckchen schlürfend einen Blick durch seine Noten warf. Daraufhin ließ er sich aufstöhnend auf das grüne Sofa fallen. Dass er seinen Freund nicht hatte kommen hören war nicht zum ersten Mal vorgekommen.
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Early Summer - meanie
FanfictionWomöglich war es Mingyus Neugierigkeit geschuldet, eventuell auch Wonwoos Großvater, der Wonwoo anwies dem braunhaarigen Jungen im Laden einen Eistee anzubieten. Vielleicht war es Zufall, dass sie sich kennenlernten, doch Mingyu glaubte nicht an den...