21| Wut

1.2K 90 16
                                    

Kapitel 21|
————🌙 ————

Behutsam schlossen sich dünne Finger um meine.

Ehe ich sie ihr entziehen konnte, hatte sie meinen verkrampften griff von der Sofalehne genommen und einen stützenden Arm unter meine Schultern geschoben. Durch die Aufregung des Kampfes hatte ich das schwächer Werden meiner Knie nicht wirklich bemerkt. Erstaunlich schnell hatte Julia ihre Erschrockenheit hinuntergeschluckt und mich auf das Sofa gedrückt.

»Du siehst schrecklich aus.«

Ihren Kommentar mit einem leichten Rollen meiner Augen hinnehmend fiel ich gegen die Sofalehne. Sie öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, wurde aber von Emmet davon abgehalten, der seinen Platz mit Jeremy getauscht hatte. Jetzt war der bullige Wolf derjenige, der warnend hinter John stand. Liv hatte sich neben das Fenster gestellt.

Emmet ließ sich neben mir fallen und ergriff meine blutigen Hände. Ihm schien weder das Blut noch die Tatsache, dass er gerade eben gegen Rudelmitglieder gekämpft hatte, auszumachen. Sein Blick war einzig und allein auf mein Gesicht gerichtet.

In einem Rudel gab es eine Rangfolge, ganz so wie bei den Hexen. Auch wenn ich keinen Plan hatte, wie genau diese bei ihnen aussah. Ich wusste nur, dass sie alle einem Leitwolf untergeben waren. Dem Wolf, der als stärkstes Glied des Rudels galt. Er traf die Entscheidungen. Beschützte sie. Sie alle beschützten einander, aber besonders die Schwächsten unter ihnen. Und genau in diesem Moment war ich wahrscheinlich das vermeintlich schwächste Glied unter ihnen. Ich gehörte nicht zu ihrem Rudel, aber seine Wolfsseite konnte wahrscheinlich den Drang in sich nicht unterdrücken. Den Drang dazu, auch mich zu beschützen. Sich um mich zu sorgen.

Wie ich schon sagte: beinahe süß.

Um nicht wieder in seinen Augen zu versinken, sah ich zu den zusammengekauerten Wölfen auf der anderen Seite des Raumes. Die drei namenslosen Wölfe waren noch immer bewusstlos, wobei jeder von ihnen ziemliche Schrammen davongetragen hatten. John versuchte nicht einmal aufzustehen. Er kniete noch immer am Boden und erdolchte mich regelrecht mit seinen Blicken. Doch er konnte es so lange versuchen wie er wollte, er konnte mich nicht einschüchtern. Ich hatte schon schlimmeren Wesen gegenübergestanden. Deutlich schlimmeren.

»Ich hab sie gefunden«, sagte ich leise und sah zu Julia, die mit verschränkten Armen neben Emmet stehengeblieben ist. In ihren Augen leuchtete etwas auf. »Ihren Geist. Ich habe ihren Geist gefunden.«

»Geht es ihr gut? Konntest du sehen, wo genau sie ist? Du meintest, sie sei im Wald, oder? Weißt du, wo?« Ihre Stimme überschlug sich.

Tief in die Polster des Sofas versunken schlossen sich meine Augen müde. Leicht begannen meine Finger zu kribbeln, als sich Magiestränge um sich wickelten. Die Wunden auf meinen Händen schlossen sich mit einem unangenehmen Ziehen, das ich mit einem stummen Stöhnen hinnahm. Emmets Daumen fuhr verwundert über meine Fingerspitzen.

Ich konnte ihr unmöglich erzählen, was ich gesehen hatte. Wie schlecht es ihrer Schwester ging. Vor meinen Augen erschien das Bild der kleinen Elfe. Ich sah die unnatürlich dunklen Flecken auf ihrer aufgerissenen Haut. Die Angst in ihren hellen Augen. Das verklumpte Blut in ihren Haaren. Nein, es würde Julia noch mehr verängstigen. Ihre Sorge noch weiter steigern. Aber ich habe Darcys Verletzungen geheilt. Ich habe sie geheilt und es sogar geschafft, einen Tarnzauber über sie zu legen. Die schwarze Hexe würde weiterhin die geschwächte Gestalt sehen. Jedenfalls solange, bis sie hinter meinen Zauber sieht.

Ich könnte es Julia erzählen. Ihr die Wahrheit sagen und sie gleichzeitig beruhigen. Ihr erklären, dass Darcy für die kommenden Stunden sicher sein würde. Also wieso öffnete sich mein Mund, um sie anzulügen?

Moonchild  - Entfesselte DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt