Kapitel 1

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Wie eine Irre rannte ich um die Kurve und sah gerade noch, wie der Bus wegfuhr. So ein Mist! Jetzt würde ich garantiert wieder zu spät kommen.
Das würde mir eine Standpauke von meiner besten Freundin Alice einhandeln. Jetzt musste ich die knapp 5 Kilometer wohl oder übel laufen. Normalerweise würde ich das gar nicht schlimm finden, doch für Mitte Juli war es heute ungewöhnlich kalt und ich hatte nur eine kurze Hose und mein aquamarienfarbenes Lieblingstop an.
Seufzend lief ich los. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt heute shoppen zu gehen, aber Alice zwang mich dazu. Für sie gab es nichts Schöneres, was ich noch nie verstanden hatte.
Aber da sie eben meine beste Freundin war, tat ich mir die Einkaufsbummel hin und wieder an. Völlig in Gedanken versunken, wäre ich fast in eine Gruppe Jugendlicher reingerannt, doch sie sprangen noch rechtzeitig aus dem Weg.
Zehn Minuten später erblickte ich das Einkaufszentrum und noch bevor ich zum Stehen kam hörte ich schon Alice meckern: "Du bist zu spät! Schon wieder!"
''Sorry, ich hab den Bus verpasst'', japste ich.
Alice war immer pünktlich. Immer. Wirklich ausnahmslos. Das konnte man von mir leider nicht behaupten.
''Na das sieht man, du bist ja total außer Atem."
Die Hände auf die Knie gestützt fragte ich: "Wartest du schon lange?"
Sie lächelte: "Nee, nur 15 Minuten oder so."
Langsam kam ich wieder zu Atem. ''Ok, nächstes Mal bin ich pünktlich'', meinte ich und fügte in Gedanken hinzu: "Hoffe ich."
"Den Tag markier' ich mir im Kalender. Du und pünktlich? Keine Chance!", neckte sie mich.
Wer uns beide zusammen sah, würde uns wahrscheinlich nie für beste Freundinnen halten. Wir könnten unterschiedlicher gar nicht sein. Alice war groß, hatte langes, glattes, blondes Haar, strahlend blaue Augen, zog sich immer modisch und modern an, war geduldig, mutig, schlau und natürlich immer pünktlich.
Ich war praktisch das komplette Gegenteil. Ich war nicht wirklich klein, aber doch viel kleiner als Alice. Meistens trug ich bequeme, sportliche Klamotten und hatte mein nussbraunes, von silbern glänzenden Strähnen durchzogenes, welliges Haar zu einem Zopf gebunden.
Außerdem war ich unpünktlich, ungeduldig, und meist viel zu spontan. Auch mit meiner Intelligenz hielt sich in Grenzen. Meinen Schulabschluss hatte ich mit einem Notendurchschnitt von 3, 1 gemacht, was meiner Meinung nach jedoch daran lag, dass mich die Themen nicht interessierten. Denn wenn ich wollte, konnte ich mir sehr gut alle möglichen Sachen merken. Nur meistens wollte ich das eben nicht. "Sollen wir jetzt shoppen gehen oder nicht?", fragte ich.
"Du kennst mich doch! Los geht's!''

Zwei Wochen später lag ich wach in meinem Bett und konnte nicht schlafen. Morgen war mein Geburtstag und weil ich nicht müde sein wollte, entschied ich mich nach einiger Zeit, mir ein Glas Wasser aus der Küche zu holen. Als ich dort ankam, erlitt ich einen Schock.
An der gegenüberliegenden Wand stand jemand! Ich konnte nur Schemen erkennen, dich eins war klar, das war weder meine Mutter noch mein Vater.
Also war ein Fremder in mein Haus eingedrungen!
"Hallo Fairy, du musst keine Angst vor mir haben", sagte er.
Ich erschrak. Woher kannte er meinen Namen? Ich hatte Angst und wollte um Hilfe rufen, doch er hielt mir den Mund zu und wiederholte: "Du musst keine Angst haben, ich tue dir nichts."
Ich riss mich los.
"Wer bist du?", fragte ich mit zitternder Stimme und er antwortete: "Ich heiße Zack."
Ich wusste, das er noch etwas sagte, aber das hörte ich nicht mehr. Ich war zu beschäftigt damit, seine rechte Hand anzustarren, denn statt einem Zeigefinger, besaß er eine Klaue! "Was bist du?" Meine Stimme überschlug sich beinahe, doch Zack blieb ganz ruhig: "Das gleiche wie du bald."
Ich wusste weder was damit meinte, noch ob ich es überhaupt wissen wollte. Das Adrenalin übernahm meinen Körper und ich versuchte wegzurennen, kam aber nicht weit. Schon nach wenigen Metern hatte er mich eingeholt und hielt mich fest. Verzweifelt versuchte ich ihn wegzustoßen, doch er war einfach viel stärker als ich.
"Was willst du von mir?", fragte ich ängstlich, doch er antwortete nicht. Stattdessen nahm er mein Kinn in die Hand und sagte erneut: "Du musste keine Angst vor mir haben. Ich tue dir nichts."
''Ist das alles was du sagen kannst?''
Er ignorierte mich. Es schien aussichtslos. Langsam hob er seine rechte Hand und plötzlich hatte ich eine Idee. Ruckartig ließ ich mich zu Boden fallen und kroch davon. Das überraschte ihn, und ich hoffte sehr, dass ihn das lange genug ablenken würde, um wegzulaufen.
Noch immer starrte er mich völlig perplex an und ich rannte los. Als ich draußen angekommen war, hatte ich schon gedacht ich wäre ihn los, doch ich hatte mich zu früh gefreut. Dieser seltsame Zack stand am anderen Ende der Straße!
Sofort ging ich hinter einem geparkten Auto in Deckung, als auf einmal seine Stimme zu hören war. ''Fairy, ich sehe dich. Du kannst rauskommen, ich werde dir nichts tun."
Ich glaubte ihm kein Wort und hätte nichtmal im Traum daran gedacht, mein Versteck zu verlassen. Stattdessen duckte ich mich noch ein kleines Stück weiter nach unten. Das war ein Fehler, denn so bemerkte ich erst zu spät, dass Zack auf mich zukam. Als er mich an den Armen packte und zurück zum Haus zerrte, schlug ich wie wild nach ihm, verfehlte ihn aber immer. Im Haus angekommen, legte er mich auf das Sofa und sagte: "So, hast du jetzt gemerkt, das weglaufen nichts bringt?"
"Nein", gab ich trotzig zurück und war sogar kurz davor, es wieder zu versuchen, doch eine Stimme in meinem inneren sagte mir, dass ich bleiben und zuhören sollte. Darum tat ich das auch.
Nach kurzer Zeit des Schweigens, begann er zu sprechen. "Fairy, du musst wirklich keine Angst vor mir haben."
Zwar hatte ich Angst, versuchte aber, sie zu überspielen: "Okay, aber ich muss mal ein paar Dinge klarstellen. Erstens, ich kann es nicht leiden, wenn sich Leute andauernd wiederholen und zweitens, hör auf mich Fairy zu nennen. Ich heiße Fai." Das musste ich einfach mal sagen, denn wenn es eine Sache gab, die ich wirklich hasste, dann war es ganz klar, mit meinem vollen Namen angesprochen zu werden. Das tat niemand.
Er ging nicht darauf ein sondern nahm nur mein Kinn in die Hand und führte die Kralle zu meiner Stirn. Verzweifelt versuchte ich, mich zu wehren, doch es brachte nichts.
Zack war einfach viel zu stark!
Er setzte die Kralle an meiner rechten Schläfe an und ritzte mir quer über die Stirn.
Schmerz explodierte in meinem Kopf und breitete sich über meinen gesamten Körper aus.
Ich schrie, während die flammenden Schmerzen mein Sichtfeld kleiner werden ließen.
''Ich sterbe'', dachte ich noch, dann wurde alles schwarz.

FairyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt