Schnell liefen wir zum Auto, denn es war schon Mittag und wir wollten noch ankommen, bevor es ganz dunkel werden würde.
Gerade als ich einstieg begann mein Handy zu klingeln. Mein erster Gedanke war, dass es Fene war, aber es wurde der Name von Alice's Mutter angezeigt. Ich schluckte hart, bevor ich ranging. "Hallo?"
"Hallo, Fai, ich bin so froh dich zu erreichen. Alice geht nicht ans Telefon, mein Mann und ich machen uns schon Sorgen. Weißt du etwas von ihr?", fragte Mrs Parker.
Nervös atmete ich aus. Was sollte ich jetzt sagen? Ich warf einen verzweifelten Blick zu Zoey, die durch das verstärkte Gehör bei Fairy mithören konnte. Die braunhaarige nahm mir das Handy aus der Hand.
"Hallo, Mrs Parker", meldete sie sich, "Ich bin Zoey Summers, eine Freundin Ihrer Tochter. Fai, Alice und ich sind bei Verwandten von mir und bleiben auch noch für etwa eine Woche. Alice hat ihr Handy verloren, deshalb konnte sie Ihnen nicht Bescheid geben. Machen Sie sich also keine Sorgen."
"Wenn das so ist. Kann ich Alice vielleicht kurz sprechen?"
"Nein, das geht leider nicht. Sie ist mit meiner Cousine in die Stadt gegangen."
"In Ordnung. Sagst du ihr bitte, dass sie sich melden soll?"
"Natürlich. Auf wiederhören."
Dann legte sie auf. "Das wäre auch geschafft."
"Danke. Ich wusste nicht, was ich sagen könnte."
"Keine Ursache. Jetzt müssen wie nur noch Alice retten, dann ist alles gut."
Ja, das mussten wir wirklich. Und das würden wir auch. Ich startete den Motor, während Zoey das Navi einstellte.
"Läuft da eigentlich was zwischen dir und Zack?", fragte die Jüngere mich, als wir zirka eine Stunde gefahren waren und uns auf der Autobahn befanden.
Ich lachte auf. "Zwischen Zack und mir? Nein, wir sind nur Freunde. Wie kommst du darauf?"
"Ihr verbringt so viel Zeit miteinander und ihr würdet voll gut zusammenpassen. Hätte ja sein können", meinte Zoey schmunzelnd.
"Ich verbringe nicht mehr Zeit mit ihm als du", konterte ich.
"Schon, aber ich bin lesbisch, deshalb ist er definitiv nicht mein Typ", sagte sie schulterzuckend, ''Aber du stehst doch auf Jungs, oder? Also warum versuchst du's nicht mal mit ihm?''
''Ja, aber er ist wirklich nur ein Freund. Außerdem, warum hast du vorher nie erzählt, dass du Mädchen magst? Ich dachte die ganze Zeit, zwischen dir und Zack läuft was.''
"Ich hänge es normalerweise nicht so an die große Glocke weil ich so meine Familie verloren habe.''
''Wie das?''
''Als ich es meinen Eltern erzählt habe waren sie erst geschockt und haben mich dann raus geschmissen."
"Weil du Mädchen magst? Das ist doch absurd! Du bist doch trotzdem ihre Tochter!", rief ich aus.
"Na ja, meine Eltern sind streng gläubig und gegen alles, was nicht ihrem Weltbild entspricht. Vermutlich beten sie sogar noch jeden Abend, dass ich doch bitte wieder auf den richtigen Weg geleitet werde und einen netten Kirchengänger kennenlerne, mit dem ich mein Leben als fromme Frau verbringen kann. Nein, danke."
"Macht es für sie wirklich so einen Unterschied, ob du jetzt Mädchen oder Jungs magst? Du bist doch immernoch du!"
"Sag das mal meinen Eltern. Für die ist das ein No-Go, also tun sie so als existiere ich nicht. Ist mir auch ganz recht. Auf solche Eltern kann ich verzichten."
"Das ist auch richtig so. Wenn sie dich nicht lieben wie du bist, dann sollten sie sich gar nicht deine Eltern nennen."
"Meine Meinung."
Eine Weile fuhren wir schweigend weiter, jede so in ihren eigenen Gedanken versunken, dass wir beide erschrocken zusammenzuckten, als das Navi sagte, dass wir fast da waren. Augenblicklich fing mein Herz an schneller zu schlagen. Wenn wir die Warnung falsch verstanden hatten, könnte ich gleich sterben. Und zu allem Übel war es auch schon dunkel geworden.
Wir stiegen aus und ich erblickte in der Ferne eine alte Scheune. Sie war etwas verfallen, schien aber von einer dunklen Aura umgeben.
"Denkst du, das ist es?", fragte Zoey.
Ich nickte. "Ja, bestimmt."
"Ich habe es mir irgendwie anders vorgestellt", gab sie zu und ich nickte. "Ich auch."
Wir liefen auf das Gebäude zu, das nicht im Geringsten gefährlich wirkte. Wie viele Menschen waren wohl schon nichtsahnend hineingegangen und nie wieder herausgekommen? Ich war mir nicht sicher, ob ich es überhaupt wissen wollte, aber es waren garantiert viele.
Während wir näher rangingen fielen mir immer wieder Steinplatten am Wegrand auf, auf denen irgendwas auf einer fremden Sprache geschrieben stand. Vermutlich Latein.
"Es sind Warnungen", meinte Zoey, die eindeutig besser in toten Sprachen war. Nachdem sie das gesagt hatte fasste sie sich an den Kopf und massierte sich die Schläfen.
"Alles okay?", fragte ich besorgt. Meine Freundin wirkte blass.
"Ja, alles gut. Ich habe nurbwin bisschen Kopfschmerzen", winkte sie ab, was mich skeptisch die Stirn runzeln ließ. Fairy bekamen keine Kopfschmerzen. Zumindest nicht einfach so. Wir waren immun gegen jegliche Krankheiten.
"Jetzt schau mich nicht so an", bat Zoey, "Es geht mir gut."
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich weiter zu gehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich aber, dass Zoey's Gesichtszüge angespannt waren und sie sich auf die Lippe biss.
Als wir nur noch wenige Meter vom Labyrinth entfernt waren, schrie sie plötzlich auf und brach zusammen.
Sofort rannte ich zu ihr. "Zoey! Zoey was ist los? Zoey!"Sie antwortete nicht. Panisch holte ich mein Handy hervor und wählte Nayla's Nummer, als Zoey es mir aus der Hand schlug.
"Nein", keuchte sie, "Es ist alles gut. Das waren nur die Kopfschmerzen."
Das waren definitiv nicht nur Kopfschmerzen.
"Du bist eine Fairy, das bedeutet du kannst keine Kopfschmerzen haben. Zumindest keine normalen. Also, was war es?", fragte ich deshalb.
Meine Freundin jedoch antwortete ausweichend. "Es war nur... Ach, vergiss es einfach."
Natürlich würde ich es nicht einfach vergessen. "Was war los?"
Sie sah zu Boden. "Nichts. Es ist doch alles wieder in Ordnung."
"Zoey, wenn du mir jetzt nicht die Wahrheit sagst, kehren wir um. Ich mache mir Sorgen um dich, verdammt!"
"Es sind die Pflanzen. Es fühlt sich so an als würden sie mich rufen. Mit mir reden und... mich warnen", füsterte Zoey, "Das klingt komisch, ich weiß."
Es klang wirklich seltsam, aber doch realistisch. Immerhin war sie eine Regina Terrae. Doch was sie gesagt hatte, beunruhigte mich. "Warnen? Vor was?"
Zoey sah mich ernst an. "Vor dem Labyrinth. Etwas Schreckliches wartet darin auf dich. Du musst vorsichtig sein."
Ich nickte und stand auf. "Du bleibst hier. Ich will nicht das dir etwas passiert."
"Ja, schon klar. Ich bleibe hier und höre den Pflanzen zu."
Ich hatte Angst wegen der Warnung, ging aber ohne zu zögern weiter. Vor der Tür blieb ich stehen. Wenn irgendwas schieflaufen würde, wäre ich gleich tot. Aber ich musste es versuchen um Alice zu retten. Also atmete ich tief durch, öffnete die Tür und trat ein.
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Fairy
FantasyEtwas Besonderes sein, anders sein, wünscht sich das nicht jeder in einem gewissen Maß? Etwas zu können, das niemand anderes kann? Tja, bei Fai ist das anders. An ihrem 16ten Geburtstag ändert sich ihr Leben von Grund auf und sie kann nichts dagegen...