zukunft

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Morgen.
Morgen ist Zukunft.
Morgen ist ein leeres Blatt, noch nicht geschriebene Geschichte,
um von mir mit kreativen Ideen gefüllt zu werden.
…Ist das wirklich so?

Schule macht all die hoffnungsvollen Gedanken zunichte.
Morgen kommt schneller als mir lieb ist.
Alles was morgen ansteht, ist heute schon vorbestimmt.

Morgen ist mein Abi.
Punkt.
Das hieße heute Vokabeln lernen, Aufgaben rechnen, Lektüren lesen, wäre ich doch nur im Unterricht gewesen, dann …

Ja dann was?
Wäre ich schlauer? Erfolgreicher? Entspannter? Ach, wofür das Ganze?
Alles, woran ich denken kann, ist bloß nicht anzufangen.
Prokrastination nennen sie das.
Mein Zimmer ist staubgewischt, der Hund war schon viermal Gassi, ich habe schon jedes Katzenvideo auf YouTube gesehen und meinen Twitter-Account wollen sie mir wegen Überfüllung nun schon abdrehen.

Meine Gedanken fahren Achterbahn.
Ich löse das morgen schon irgendwie spontan. Doch morgen werde ich sagen: „Ach, hätte ich doch nur fürs Abi mal was getan.“
Meine Gedanken fahren Karussell. Wofür lerne ich das eigentlich prinzipiell?
Ohne einen Plan bringt mir mein ganzes Abi im Moment eh nichts.
Mit Anforderungen wie NC, fünf Praktika und am besten Schülersprecher ist Studium eher abgeschrieben. Da werde ich allenthalben Putzfrau. Da muss ich mich nicht verbiegen und es sind reichlich Jobs zu kriegen. Nur allen hinterherräumen und dabei vom zufriedenen Leben träumen. Denn: Was will ich werden.

Fragezeichen.

Die immer wiederkehrende Frage aller Verwandten und Bekannten. Ich kann sie nicht mehr hören.
„Ich werde Fleischwarenfachverkäufer“
„Ach was, eigentlich eher obdachloser Säufer“
„Oder, nein: mein Traumberuf wäre ja Amokläufer“
Denn woher soll ich denn bitte wissen, was ich werden soll. Ich, mit der Berufserfahrung einer Couchpotato und dem Talent von einem Troll. Selbst der dreibeinige Nachbarhamster ist dagegen eindrucksvoll. Was soll aus mir werden.

Fragezeichen.

Meine Eltern wünschen sich Rechtsanwalt, meine Freunde sagen: Hauptsache gutes Gehalt.
BWL soll gerade im Trend liegen, doch die negativen Seiten davon überwiegen.
Niemandem kann man es recht machen. Am wenigsten mir selbst.
Bin ich doch mein größter Kritiker, oder doch nur ein Profi als People Pleaser.
Jeglicher Plan endet vorerst mit „Abitur bestehen“, denn sich festlegen, „was danach?“, ist schlimmer als Schwangerschaftswehen.
Entscheidungen sind nicht meine Stärke. Dass ich nichts weiß, das ist, was ich merke.
Was, wenn ich etwas falsch mache.

Fragezeichen.

Wir sind Generation „Zukunftsangst“.
Keine Unterdrückung, kein Krieg, keine Armut.
Da ist nichts, worum du bangst.
Und doch beschweren wir uns.
Über zu viel Druck, zu viel Unsicherheit, zu viel Auswahl. Denn wir leben unterdrückt von den gesellschaftlichen Ansprüchen. Wir sind im Krieg mit uns selbst. Wir sind arm an Entscheidungen. Willkommen in der Leistungsgesellschaft, im Jahrhundert „Selbstliebe“, im Land der Motivationsdiebe.
Woher diese Motivation auch? Denn: Was, wenn es keine Zukunft gibt.

Fragezeichen.

Es ist bereits heute davon die Rede, dass es manche Jobs bald nicht mehr gäbe. Also wofür sich den „Arsch aufreißen“, die Zähne zusammenbeißen und bloß nicht das Abi schmeißen.
Aber den Abiturienten 2020 wurde die Entscheidung eh fast abgenommen.
Die Medien sind beherrscht von Corona, ist das die neue Pestwelle in Persona?
Die Panik steigt. Zurecht?
Alles wird verschoben, unsere Gesetze enthoben, fehlende Laborproben, welche Informationen sind nicht gelogen? Wer soll da noch an Zukunft denken? Wenn es vielleicht keine Zukunft gibt. Was, wenn morgen das bisherige System zerbricht.

Fragezeichen.

Würde ich immer noch zuhause alleine sitzen?
Alles, was ich bewege sind meine Fingerspitzen. Beim Tippen auf dem Computer. Online Unterricht. Das ist jetzt der neue Trend.
Damit würde ich definitiv nicht meine Zukunft verbringen wollen.
Stattdessen stelle ich mir vor: Urlaub am Meer, Geschlechtsverkehr, Sonne auf dem Gesicht, mein erster Fallschirmsprung, keine Vorsicht, denn YOLO ich bin nur einmal jung. Also: Warum auf morgen warten.

Fragezeichen.

Denn alles, was uns bleibt, ist heute. Da ist kein gestern, kein morgen. Weg mit alten Schriftrollen, Hochrechnungsprognosen, Wahrsagerei und hamsterartige Vorsorgen.
Ist doch alles auch egal. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
Glaubt doch mal den alten Sachen:
Glaubt Antoine de Saint-Exupery: Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.
Glaubt Harold Pinter: Zukunft: die Ausrede all jener, die in der Gegenwart nichts tun wollen.

Und genau einer davon war ich. Immer schön auf die Zukunft warten, mein Leben ein einziger Irrgarten. Da war kein Platz für neue Tonarten und riskante Spielkarten. Meine Komfortzone reichte bis zum Horizont, aus der mein Schweinehund nie entkommt.

Doch ab heute ist damit Schluss.
Heute werde ich den Fallschirmsprung ins Leben wagen, riskiere meinen Kopf und Kragen, werde mich nicht mit Fragen plagen. Sondern einfach die Dinge machen, die MICH glücklich machen.
Denn alles, was ist, ist heute!
Punkt.

A/N Das ist eigentlich ein Poetry Slam, den ich vor dem Abi geschrieben hatte als Hausarbeit für die Schule. Deshalb ist der Stil etwas anders und es ist nicht mehr das aktuelleste

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