2. Streich [18.02.]

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Ich beobachtete schon den halben Tag mit Genugtuung, wie er seine stinkigen Sportschuhe suchte. In der letzten Stunde war ich allein fünf Mal aufs Klo gerannt, um mich unauffällig an seiner zunehmenden Verzweiflung laben zu können. Seine Haare standen noch ein bisschen verrückter vom Kopf ab als sonst, so oft war er sich schon hindurchgefahren.

Er war ebenfalls schon mindestens fünf Mal den Gang auf- und abgeschritten, jedes Mal wenn ich ganz unauffällig in Richtung Toiletten gewandert war, als würden seine Schuhe plötzlich unerwartet in einer Ecke wieder auftauchen. Ein bisschen hoffte er wohl, die Schuhe würden auf einmal wieder dort stehen, wo er sie zurückgelassen hatte. Neben seiner Tür, auf dem Flur, wo sie ihren strengen Geruch verbreiten konnten.

Zugegebenermaßen war er nicht der einzige, der seine Sportschuhe auf dem Gang lagerte und ich war mir ziemlich sicher, dass sie auch nicht schlimmer rochen als die der anderen, aber bei ihm irritierte es mich auf eine ganz andere Weise. Er hatte etwas Provozierendes an sich, etwas, dass mit beängstigender Genauigkeit die Frequenz traf, die in mir Verärgerung auslöste und er genoss diesen Umstand in vollen Zügen.

Genauso genoss ich allerdings, wie er immer hektischer wurde und nun schon zum sechsten Mal den Gang abschritt. Zu seinem Pech konnte er ja nicht wissen, dass sie vor seinem Fenster am Fallrohr der Regenrinne hingen, wo sie mal so richtig durchlüften konnten.

Dank den zahlreichen Jahren des Zusammenlebens mit zwei kleinen Brüdern war ich für jede Schlacht gefeit. Ihm war mit Sicherheit nicht klar gewesen, worauf er sich einließ, als er mich neulich auf dem Dach herausgefordert hatte. Nachdem er am Vorabend von seinem täglichen Joggingtrip zurückgekehrt und unter die Dusche gesprungen war, hatte ich mich seiner Schuhe angenommen, war in sein Zimmer geschlichen und hatte sie neben dem Fenster aufgehängt.

Heute Morgen hatte ich mich weit aus dem Fenster lehnen müssen, um überprüfen zu können, ob die Schuhe noch dort waren. Sie hatten ein bisschen im Wind geschaukelt, aber der Knoten hielt. Ich war mir ziemlich sicher, dass er sie niemals fände, wenn ich das Versteck nicht irgendwann auflösen würde, aber ich war noch nicht bereit, das Hochgefühl aufzugeben, das seine aussichtslose Suche in mir auslöste.

Das hatte er nun davon, dass er mir den Schlaf raubte.

"Komm schon, Mary, ich brauch die Schuhe fürs Training."

Obwohl er versuchte, flehend zu klingen, kaufte ich es ihm keine Sekunde lang ab. Vermutlich war er schon lange dabei, sich einen Racheplan auszudenken, ich konnte es in seinen Augen lesen.

Ich hob die Hände in einer ratlosen Geste, mir fiel es leicht, das Unschuldslamm zu spielen: "Woher soll ich wissen, wo deine Schuhe sind? Mal abgesehen davon, dass ich auch Ruhe zum Schlafen brauche und dich das nie interessiert hat. Und nenn mich nicht Mary, das ist nicht mein Name und das weißt du auch."

Ich war es gewohnt, dass mein Name ständig abgekürzt wurde, besonders beliebte Variationen waren Marie und Sol, aber ich fühlte mich Kuroo nicht nahe genug, um ihm zu erlauben, irgendeinen Namen außer meinen richtigen zu benutzen.

"Dann hast du sicher auch nichts dagegen, wenn ich dein Zimmer durchsuche."

Ich hatte nicht mal Zeit zu protestieren, da hatte er sich schon an mir vorbei und geradewegs durch meinen Türrahmen geschoben. Da drin würde er leider nicht fündig werden.

Schadenfreudig sah ich ihm dabei zu, wie er in der Staubwüste unter meinem Bett herumkroch und prompt niesen musste, als die feinen Partikel ihn in der Nase kitzelten. Mit diebischer Freude lauschte ich ihm beim Fluchen; er hatte sich durch die abrupte Bewegung den Kopf gestoßen.

"Ich hab deine Schuhe nicht", informierte ich ihn, aber das schien ihn nicht weiter zu interessieren.

An seiner Stelle hätte ich mir auch kein Wort geglaubt.

Als nächstes öffnete er den Einbauschrank, dessen Türen aus hellem Buchenholz quietschend protestierten, als er sie zur Seite schob.

"Sag mal spinnst du?", fuhr ich ihn an, als er begann meine sorgfältig gestapelten Klamotten achtlos zu zerwühlen.

"Du könntest mir auch einfach sagen, wo die Schuhe sind."

Er bedachte mich mit einem durchdringenden Blick, einem unter dem ich vielleicht sogar nachgegeben hätte, wenn er mich nur ein wenig länger so ansah. Stattdessen riss er die Schubladen der kleinen Kommode auf, in der ich Socken und Unterwäsche aufbewahrte.

Für einen Moment war ich starr vor Schreck, dann fuhren alle Lebensgeister in mich zurück: "Vete a la mierda! Scher dich zum Teufel!"

Ungehalten schob ich mich zwischen Kuroo und die Kommode, gleichzeitig drückte ich mit dem Hintern die Schublade wieder zu. Was glaubte er eigentlich, wer er war? Er konnte doch nicht einfach in meiner Unterwäsche herumwühlen! Schlimm genug, dass ich meine Wäsche unten im Waschkeller aufhängen musste, wo sie für jeden zur Schau stand, aber da hatte ich immerhin den Anflug von Anonymität. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, sicher war ich schon rot wie eine Tomate.

"Deine Schuhe sind nicht hier, verdammt noch mal."

Wütend funkelte ich ihn an, die Arme vor der Brust verschränkt, um meine Beschämung zu verstecken. Ich widerstand dem Drang auf die Zehenspitzen zu gehen, selbst dann wäre ich immer noch über einen Kopf kleiner als er und begnügte mich damit, ihm das Kinn entgegen zu recken.

"Wenn du jetzt bitte aus meinem Zimmer verschwinden würdest, damit ich die Unordnung beseitigen kann, die du hinterlassen hast."

Ich wartete nicht auf seine Zustimmung, sondern schob ihn durch die Tür hinaus auf den Gang.

"Vielleicht willst du ja noch die Unterwäsche von jemand anderem nach deinen Schuhen durchsuchen, viel Spaß", sagte ich schnippisch, bevor ich die Tür hinter ihm fest zuzog.

Erleichtert atmete ich auf.

Bestimmt hatte er nicht gesehen, was sich neben meiner Wäsche noch in der Schublade befand und selbst wenn, konnte er es sicher nicht einordnen. Ganz sicher nicht. Ich war bloß paranoid. Und selbst wenn er wüsste, wofür ich die ganzen Cremes und Tiegelchen brauchte, war es ja nichts Schlimmes. Nichts wofür man sich schämen brauchte.

Vorsichtig ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen, alle Viere von mir gestreckt und schloss die Augen. Eigentlich war mein Leben auch ohne Kuroo schon stressig genug, ich sollte mich voll und ganz auf das Studium konzentrieren und nicht darauf, mir mit ihm ein Duell der Streiche zu liefern. Ich wusste, dass es die rationalste Entscheidung gewesen wäre, das Ganze jetzt zu beenden, bevor es aus dem Ruder lief, aber ich hatte absolut keine Lust dazu, mich geschlagen zu geben.

Trotzdem drang langsam das schlechte Gewissen zu mir durch.

Ich konnte nicht fassen, dass ich das tat, aber kurz darauf klopfte ich an Kuroos Tür. Offenbar hatte er aufgegeben, den Gang zu durchkämmen und versuchte es jetzt in seinem Zimmer. Es dauerte nicht lange, bis er die Tür öffnete und verblüffte auf mich herab schaute. Zum ersten Mal seit ich ihn kannte, wirkte er ernsthaft überrascht.

Ich konnte es ihm nicht verübeln, ich konnte es ja selbst kaum glauben. Seufzend schob ich mich an ihm vorbei, scheinbar sollte es zur Gewohnheit werden, dass wir ohne Erlaubnis des anderen eintraten. Ohne Umschweife ging ich zum Fenster und öffnete es. Er folgte mir, sein Gesichtsausdruck wieder die undurchdringliche Maske der Selbstgefälligkeit, die mich meine Entscheidung beinahe bereuen ließ.

"Sag am besten nichts", knurrte ich.

"Auch nicht danke?" Ich schnaubte kopfschüttelnd.

"Nächstes Mal knicke ich nicht ein", versprach ich, bevor ich sein Zimmer verließ.

Schwarze Katzen kratzen ✔ [Kuroo Tetsuro, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt