Er hasste es, wenn sein Vater von ihm verlangte einer Audienz beizuwohnen. Es langweilte ihn, nur dazustehen, und Gespräche seines Vaters mit irgendwelchen Bürgern zu belauschen. Schon gar nicht wollte er dabei sein, wenn nur er, sein Vater und dieses seltsame Mädchen anwesend waren. Es war etwas so Eigenartiges an ihr. Vorhin konnte er förmlich spüren, wie sie ihn ansah, und als er daraufhin in ihre Augen blickte, war er wie gebannt, bis sie sich ganz plötzlich wieder umdrehte.
Sie hatten jetzt die Tür des Thronsaals erreicht. Die davor postierten Wachen öffneten die Tür und sie traten ein. Levins Vater, Morgan, ließ das Mädchen kurz los und machte eine tiefe Verbeugung mit den Worten „Mein König", dann sah er das Mädchen auffordernd an. Auch Lucien erwartete, dass das Mädchen sich ebenfalls verbeugen würde, doch sie stand nur da, würdigte den König keines Blickes. „So kniet vor dem König!", befahl Morgan ihr. Doch das Mädchen stand nur da, Lucien bildete sich sogar ein, eine Spur von Trotz in ihren Gesichtszügen zu sehen. Als Morgan sie allerdings an den Schultern nach unten drückte, konnte sie sich nicht mehr wehren und verbeugte sich vor dem König.
Jetzt blickte auch Lucien seinen Vater an und grüßte ihn nur mit einem leichten Kopfnicken, welches der König erwiderte. Anders als Lucien erwartet hatte, wirkte sein Vater im Anbetracht dessen, wie das Mädchen sich verhalten hatte, keinerlei verärgert. Vielmehr umspielte der Hauch eines amüsierten Lächelns seine Lippen. „Seid gegrüßt, Anshara Eleminos, Tochter der Aurora! Ihr seid eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten und ebenso stur wie sie.", sprach der König sie an. „Was wisst ihr von meiner Mutter?", wollte das Mädchen wissen. „Ebendies könnte ich auch euch fragen. Ihr habt sie nie kennengelernt, wenn ich nicht irre, also was wisst ihr über eure Mutter?", gab sein Vater zurück. Lucien war überrascht, er hatte nicht damit gerechnet, dass das Mädchen antworten würde, doch wahrscheinlich hoffte sie, mehr über ihre Mutter zu erfahren, die sie offenbar nie kennenlernen durfte. Das konnte Lucien nachvollziehen. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben und er hatte als Kind stets darauf gebrannt, jedes Detail ihres Wesens zu erfahren. „Meine Mutter war eine Magd aus einem Bordell. Sie konnte mich weder ernähren, noch erziehen, also beschloss sie, mich einer Anderen zu geben." „Ich hätte nicht gedacht, dass sie Euch eine derartige Geschichte auftischen würden, um Euch zu schützen, aber Aurora hat schon immer vieles in Kauf genommen, um die zu schützen die sie liebt. Ich nehme an, Eure Pflegemutter war es auch, die Euch geraten hat, vor mir zu fliehen. Ich kann verstehen, wenn Ihr deshalb ängstlich seid, aber ich kann Euch versichern, Euch wird nichts geschehen. Ich habe Euch herbringen lassen, damit Ihr hier an unserem Hof leben könnt, wo wir Euch schützen können und bevor Ihr jetzt fragt wovor wir Euch schützen wollen, habe ich eine Frage an Euch: Habt ihr je etwas vom Volk der Lysandrier gehört?"
Lucien kannte dieses Volk. Als Kind wurden ihm oft Märchen von Elementbändigern, die Larifäa einst erschaffen hatten, erzählt und er wusste, dass sein Vater einer der Wenigen war, die auf einen wahren Kern dieser Märchen beharrten. Lucien selbst aber hielt die Geschichten für reine Märchen, um die Kinder bei Laune zu halten. Er wusste nicht, wieso sein Vater gerade jetzt damit anfing und er wusste auch nicht warum sein Vater dieses Mädchen hier am Hof beschützen lassen wollte, aber als das Mädchen auf die Frage seines Vaters nur verwirrt den Kopf schüttelte, ahnte Lucien bereits, dass er sich auf eine längere Audienz einstellen konnte, als er gehofft hatte.
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Frostflames
FantasyWas, wenn du mit einer Lüge aufgewachsen bist und ganz anders bist als alles was du dir vorstellen kannst? Was wenn du gezwungen wirst an dem königlichen Hof zu leben, obwohl du das nicht willst? Was, wenn der Mann, der dir dort am meisten das Gefüh...