8.~Lucien

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Er legte sie auf dem weichen Himmelbett ab und sah sich in den ehemaligen Gemächern seiner Mutter um. Er war Jahre nicht hier gewesen. Nach dem Tod von Luciens Mutter hatte sich der König keine neue Frau genommen. Sein Herz würde nie mehr so lieben können, wie es Luciens Mutter geliebt hatte, das hatte er Lucien mehr als nur einmal gesagt. In solchen Momenten hatte sich Lucien mehr denn je gewünscht, dass er seine Mutter kennengelernt hätte. Er war dann oft in ihre Gemächer geschlichen, hatte sich vorgestellt, er würde so einen Teil ihrer selbst kennenlernen, sich ihr näher gefühlt. Umso befremdlicher fühlte es sich für ihn an, jetzt dieses Mädchen in das ehemalige Bett seiner Mutter zu legen. Sein Vater hatte darauf bestanden und er Lucien hatte keine Lust mit ihm zu diskutieren also hatte er nichts gesagt, auch wenn es ihm gegen den Strich ging, eine fremde Person in einem für ihn so privaten Ort unterzubringen. Er blickte zu dem Mädchen. Sie war schön, dass musste er zugeben und sie sah so friedlich aus, wie sie da lag und schlief. Ganz anders als zuvor, wo sie ihn mit jedem Blick und jedem Wort zu verhöhnen und herausfordern schien.
Anshara hieß sie also, was für ein seltsamer Name. Aber es war ja auch eine seltsame Geschichte, die sein Vater ihnen da aufgetischt hatte. Er selbst hatte sie zum ersten Mal gehört und wusste nicht was er davon halten sollte. Er glaubte nicht an solchen Schwachsinn wie Magie, er glaubte ja noch nicht einmal an Gefühle, geschweige denn an die wahre Liebe. Alles woran er glaubte, waren Stärke und Rationalität und darauf hatte er sich bis jetzt stets verlassen können. Sein Vater mochte da anders sein. Er behauptete zwar, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie Flammen aus den Händen dieser Aurora schlugen, doch er wusste auch, dass sein Vater nicht selten seine Wunschbilder mit der Realität verwechselte und er war stets fasziniert gewesen, von der Vorstellung, dass es Mächte gibt, die wir uns nicht erklären, ja noch nicht einmal vorstellen können. Lucien würde auf jeden Fall erst daran glauben, wenn er es mit eigenen Augen gesehen hat und bis jetzt kam ihm an diesem Mädchen nichts außergewöhnlich mächtig vor. Und wenn sie schon so mächtig wäre, dann hätte es auch ein leichtes für sie sein müssen, vor ihnen zu fliehen. Sie schaffte es nicht einmal sich aus seinem Arm zu befreien. Je länger er darüber nachdachte, umso unrealistischer schien ihm die ganze Geschichte zu sein. Er beschloss jedenfalls für sich, nicht an den ganzen Zauber zu glauben, sollten die anderen doch denken was sie wollten. Mit diesem Gedanken wandte er sich von dem Mädchen ab und verließ die Gemächer, um sich auf den Weg in den Schlossgarten zu machen. Wenn ihm das Mädchen schon seine Jagd vermasselt hatte, dann wollte er wenigstens noch ein paar Pfeile auf die Zielscheibe loslassen, um zur Ruhe zu kommen und den Kopf wieder frei zu bekommen.

Dieser Ort war schon als Kind sein liebster Rückzugsort, wenn die Gedanken in seinem Kopf ihm zu laut wurden. Egal welche Sorgen er hatte, sobald er Pfeil und Bogen in der Hand hatte, war das das einzige was zählte. Das, und das Ziel. Auch jetzt spannte er den Bogen, bereit den Pfeil auf das Ziel abzufeuern. Es hatte ihn noch nie etwas so aus der Fassung bringen können, dass es seine Treffsicherheit hätte beeinträchtigt. Bis heute. War ihm doch tatsächlich dieses Reh entgangen. Wegen dieser Anshara hatte er zum ersten Mal in seinem ganzen Leben ein Ziel mit dem Bogen komplett verfehlt. Dieser Gedanke schoss ihm durch den Kopf, als er den Pfeil losließ und dieser mit einem Zischen durch die Luft schnellte, und schließlich in der Stange, die die Zielscheibe trug, steckenblieb. Ungläubig starrte Lucien darauf. Das war ihm noch nie passiert. Er hatte ein Ziel verfehlt. Zum zweiten Mal. An einem Tag. Und das nur, weil ihm wieder dieses Mädchen durch den Kopf gegangen war. Kalte Wut stieg in Lucien auf und er schleuderte seinen Bogen auf den Boden. Lucien war normalerweise nicht der Typ, der sofort vor Wut entbrannte. Ihm war sonst so gut wie alles gleichgültig, aber was dieses Mädchen anging war er irgendwie anders. Er kannte sie erst wenige Stunden, und doch hatte sie es schon geschafft, ihn derart aus der Fassung und zur Weißglut zu bringen. Lucien hoffte er musste sie nicht mehr allzu oft sehen, bis sein Vater zur Vernunft kommen würde, und sie wieder aus dem Schloss entließ.
Lucien ließ den Bogen einfach liegen und beschloss, dass es wohl auch für ihn das Beste war, sich ein wenig auszuruhen, also machte er sich auf den Weg in seine Gemächer.

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