Kapitel IV: Entscheidungen

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Entscheidungen können oft verheerende Folgen haben. Unfairerweise trifft dies meist auf die zu, für die wir die geringste Bedenkzeit bekommen. Innerhalb eines Augenblickes kann eine falsche Entscheidung das Leben auf den Kopf stellen. Wenn man an der Ampel steht und entscheidet über Rot zu gehen, weil man sich ja so sicher war, dass kein Auto kommt. Wenn man aus der Situation heraus auf das Kondom verzichtet und dann der Schwangerschaftstest positiv ist. Oder eben – wie in diesem Fall – wenn sich Zack nicht sicher ist, ob es das Richtige ist, seinen alten Freund abzuknallen.

Was könnte das in ihm auslösen? Wäre dies das Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen bringt? Könnte er sich selbst noch im Spiegel anschauen? Würde er vielleicht damit den letzten Schritt gehen und so dieselbe Grenze überschreiten, die auch David einst überschritt? Würde er zu dem mutieren, was er geschworen hatte zu bekämpfen? Doch er musste es tun. Wenn er es nicht tat, erfüllte er nicht seinen Dienst. Er würde ein wild gewordenes Tier auf die Welt loslassen. Er würde seine geliebte Frau zur Witwe, seine Tochter zur Halbweise und seine restliche Familie totunglücklich machen. Zack hätte für die richtige Entscheidung Zeit benötigt. Zeit, die er nicht hatte.

Der Mann vor ihm hatte diese Gewissensbisse nicht. Er brauchte keine Zeit. Er zog seine Pistole und schoss.

Als ihn der Schuss in die Bauchgegend traf, stolperte er ein paar Schritte nach hinten, bis der Boden verschwand und der Polizist das Gleichgewicht verlor. Er stürzte die Rolltreppe hinunter. Am Fuße der Treppe war er gerade noch so bei Bewusstsein. Sein Kopf dröhnte von den getroffenen Kanten der Metallstufen und seine Sicht war verschwommen. Sein gesamter Körper schmerzte, aus Kopf und Bauch floss dickes Blut. Als wäre er betrunken, versuchte er sich wankend aufzurichten, doch fiel wieder zu Boden. Sein Gleichgewichtssinn war gestört. Scheiße. Er musste schnell weg. Er probierte es noch einmal, schaffte es aufzustehen und wankte ein paar Schritte, nur um über etwas zu stolpern und ein weiteres Mal hinzufallen. Er war über die Schrotflinte gestolpert. Hastig griff er danach. Ein Schuss traf ihn im Unterarm, Blut spritzte aus der Einschussstelle. Zack schrie auf und lies von der Waffe ab.

"Pfoten weg", sagte David kühl, während ihn die blutverschmierte Treppe hinunter schweben ließ. In jeder Hinsicht stand er nun über ihm.

Vor Schmerz windend biss der Polizist die Zähne zusammen. Er war in keiner guten Lage. Wie auch schon in den letzten Stunden waren alle Pläne nach hinten losgegangen. Er wusste, er musste improvisieren und glücklicherweise hatte er noch ein Ass im Ärmel.

Unten angekommen, beugte sich der Massenmörder über seinen verräterischen Freund. Von oben herab schaute er auf die klägliche Gestalt, die einmal sein engster Vertrauter gewesen war. Er holte alles aus seinem Rachen und spuckte einen dicken gelblich-roten Klumpen auf die Kreatur.

"Wie weich du doch bist. Ein Leben lang eine Waffe am Arsch. Doch töten kannst du nicht. Wie peinlich."

Er hatte recht. Er war zu weich gewesen. Ein Fehler, den er sicher nicht noch einmal begehen würde.

Blitzschnell packte Zack mit seiner gesunden Hand das Einhandmesser, das er zur Sicherheit mit einem kleinen Gurt an seine Wade gezurrt hatte, klappte es mit dem Daumen auf und rammte es seinem Peiniger mitten in den Oberschenkel. Dieser brüllte auf und ließ aufgrund der Schmerzreaktion die Pistole fallen, um das Messer packen zu können. Zack zog es schnell wieder heraus, schnitt ihm ein weiteres Mal in die Nierengegend und beließ es dort. David umklammerte den Griff des Messers. Während dieser damit beschäftigt war, die Klinge herauszuziehen, griff er nach der Pistole, brachte sie liegend in Anschlag.

Mehrfach zog er den Abzug und schoss ihm mehrere Male in den Oberkörper. So lange, bis die Schusswaffe nur mehr klickende Geräusche von sich gab. Sie war leer. David sackte zusammen und ein schweres, dumpfes Geräusch erfüllte das Einkaufszentrum.

Zack ließ die Handfeuerwaffe fallen und atmete schwer. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Er hatte seinen besten Freund getötet. Der Polizist wusste, er war schwer verwundet und musste schnell behandelt werden. Er versuchte sich aufzurichten.

Ein surreales Geräusch ließ ihn innehalten. Es war ein Stöhnen zu vernehmen. Davids Körper bewegte sich. Die vermeintliche Leiche rollte sich nach rechts. Er stützte sich mit dem Arm ab. Eine beachtliche Menge Blut tropfte aus allen möglichen Regionen seines Körpers, sein Gesicht war im Schatten versteckt. Er atmete. Welch surreales Schauspiel. Wie konnte das sein? So viele Treffer in den Oberkörper? Unmöglich. Zumindest einer musste doch sein Herz getroffen haben.

Er stemmte sich hoch, schien mehr Kraft zu haben als Zack. Nun stand er aufrecht und drehte sich zu seinem Widersacher um. Blutüberströmt, das Messer noch immer im Oberschenkel und mit fünf Einschusslöchern im Torso stand er da, wie ein unverwüstliches Monster. Zack konnte seinen Augen nicht trauen. Er ging einen Schritt auf ihn zu. Unmöglich. Noch ein Schritt. Das konnte nicht sein. Er beugte sich nun über ihn und starrte ihn mit den kalten Augen eines Killers an. Dave.

David umklammerte mit festem Griff die Kehle seines alten Freundes. Er war dabei das letzte Tröpfchen Leben aus dem Mann zu quetschen.

Zack versuchte sich zu wehren, doch seine Kraft reichte nicht aus, um die eisernen Klauen des Monsters zu lösen. Er konnte es nicht so weit kommen lassen. Sein Kopf lief blau an. Er konnte nicht versagen, er konnte es nicht so enden lassen. Er wusste, was zu tun war, auch wenn es ihm so schwer fiel Abschied zu nehmen. Ein Äderchen in seinem linken Auge platzte. Zack dachte an seine geliebte Tochter, seine Prinzessin. An Luisa, die Liebe seines Lebens. Er fasste an den Stift einer Granate, die David am Körper trug, schloss die Augen und zog an. Für sie.

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