Kapitel 17: Auf eigene Faust

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Sie hatte nicht viel Zeit. Aber dafür umso mehr zu tun.

Zwei Dinge, die ihr seit dem Aufbruch aus dem Medizentrum nicht so recht schmecken wollten, spukten in Veras Kopf herum. Igors Ansprache, sie wäre auf das, was noch kommen sollte, nicht vorbereitet, mochte stimmen. Wenn sie tatsächlich zu spät kam, um die anderen Kinder zu retten... Sie wollte nicht an diese Möglichkeit denken. Aber sie musste es auch nicht. Igor mochte die dunklen Seiten der Galaxie kennen, wo jeder jeden zu töten bereit war, und er mochte die Auswirkungen der ständigen Konflikte seit den Komm-Kriegen aus erster Hand erlebt haben. Aber er kannte Johnson nicht – im Gegensatz zu Vera. Sie war überzeugt, dass Johnson sich an die Abmachung halten würde, die er mit seinem mysteriösen Geschäftspartner, diesem Foster getroffen hatte. Er würde den Kindern kein Leid zufügen, wenn er es nicht musste. Und er hatte seine Leute unter Kontrolle – die würden auch nicht weiter gehen, als sie schon gegangen waren. Und solange deren Mission nicht vorbei war und sie nicht gefunden hatten, wonach sie suchten, würde Vera genug Zeit haben, die Kinder zu befreien und in Sicherheit zu bringen.

Sie konnte nicht darauf warten, dass die Eingreiftruppe es erledigte. Sie musste es selbst tun. Sie musste da raus, so schnell wie möglich. Und sie wusste auch schon, wie sie es anstellen würde.

Aber sie musste sich erst vorbereiten.

Ihre erste Station war der Spind. Ihr Daumenabdruck öffnete das Schloss sofort, und sie fand darin alles, was sie darin zu finden hoffte. Kates Worte hatten sie beeindruckt und ihr ein neues Gefühl dafür gegeben, was Igor und die anderen Söldner an der Akademie wirklich in ihr sahen. Und sie begriff es nach und nach, dass es an ihrem dreizehnten Geburtstag nicht bloß darum ging, wie die anderen Leute mit ihr umgingen und sie ansahen. Es ging vor allem darum, was für ein Bild sie von sich selbst bekam. Dass sie lernte, zu akzeptieren, wer sie war. Jetzt hatte sie es verstanden. Jetzt war die Zeit gekommen.

Sie nahm die Schachtel mit dem Kampfanzug, den sie zum Geburtstag bekommen hatte, behutsam aus dem Spind. Mit der Schachtel unter dem Arm suchte sie sich eine ruhige Ecke, wo sie sich umziehen konnte. Ihre Stiefel, die sie schon zu Anfang der Mission getragen hatte, trug sie immer noch – sie gehörten nicht zu den Klamotten, die Chris ihrer Mutter gegeben hatte. Nur leider schien ihr Überlebensmesser in ihrer Jackentasche verblieben zu sein. Na ja, dafür würde sich bestimmt Ersatz finden.

Das Oberteil streifte sie über ihr T-Shirt, und sie spürte, wie es sich an ihre Körperform anpasste, doch gleichzeitig im Brustbereich steifer zu werden schien. Behutsam fuhr sie mit den Fingern über die Oberfläche und stellte fest, dass diese sehr hart und robust geworden war. Ein Körperpanzer, dachte sie erfreut. Das wurde immer besser. Auch die Hose zeigte ein entsprechendes Verhalten – die Oberfläche an Oberschenkeln und Schienbein wurde stabiler, auch als sie kräftig dagegen klopfte. Das Kniegelenk blieb flexibel, damit sie ihre Bewegungsfreiheit behielt. Natürlich würde keines der Kleidungsstücke einen direkten Treffer mit dem Laser abwehren können. Dessen war sich Vera sicher, aber gegen die Auswirkungen stumpfer physischer Gewalt hatte sie nun einen gewissen Schutz.

Die Jacke zog sie vorerst noch nicht an. Es gab etwas, das Vera vorher unbedingt tun wollte. Sie suchte sich einen Spiegel und begann, ihr langes Haar zu einem Zopf zu drehen. Das tat sie aus zwei Gründen. Zum Einen würde es nicht damit getan sein, die Kinder zu befreien – sie würde auch Johnson und den beiden Handlangern gegenübertreten müssen. Es würde garantiert zu einem Kampf kommen. Und niemand, den Vera kannte, ging mit offenen Haaren in die Schlacht, wenn er kein Metaller war. Der Gedanke an den Kampf machte sie jedoch nervös – und das Flechten des Zopfes hatte eine beruhigende, fast meditative Wirkung auf sie. Mit jeder Windung, mit jedem Zentimeter ihres Haares fühlte sie sich mehr und mehr bereit dazu. Bald war der Zopf fertig, und sie sicherte ihn mit einem festen Gummiband. Dann streifte sie die Jacke über und betrachtete sich im Spiegel.

Unicorn Riders - PinchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt