7 - Aron

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"...Ich glaube ich hatte den Brand auch." endete Raven mit zittriger Stimme. Aron starrte immer noch auf das Foto, dass Raven ihm gegeben hatte. Wäre es nicht so offensichtlich, hätte er niemals gedacht, dass Raven und dieses fröhliche ausgelassene Kind auf dem Foto ein und die selbe Person waren.
Aron hob den Blick. Erst jetzt sah er, dass Raven geweint hatte. Doch er war viel zu verwirrt um reagieren zu können. Ravens Worte purzelten wild in seinem Kopf. Ihm war übel. Das konnte einfach nicht sein. Erwartungsvoll sah Raven ihn an. Sie wollte, dass er irgendetwas antwortete.
"Das ist nicht möglich. Nur die Kinder, die hier leben bekommen den Brand. Nur hier. Das kann einfach nicht sein." Aron schüttelte den Kopf, als könne er so das Chaos seiner Gedanken ordnen. 
"Ich weiß." Raven senkte betreten den Blick. Sie sah enttäuscht aus. 
Erst da wurde Aron bewusst, dass er sich wie ein Idiot verhalten hatte. Raven hatte ihm das Herz ausgeschüttet und er hatte nichts besseres zu tun, als sie noch weiter zu verunsichern. Er gab sich einen Ruck. Wenn er doch eines hier gelernt hatte, dann war es, dass das Unmögliche gar nicht so unmöglich sein musste. So wie Raven ihre Krankheit geschildert hatte, hörte es sich tatsächlich an wie der Brand. Sie hatte genau das beschrieben, wie er sich damals gefühlt hatte, als die Flammen auch nach ihm ihre glühenden Klauen ausgestreckt hatte. Er holte noch einmal tief Luft.
"Tut mir leid Raven." Er berührte sie sanft an der Schulter. "Das war gerade einfach ein bisschen viel für mich." Er lächelte sie aufmunternd an, als Raven den Kopf hob und ihn ansah.
"Vielleicht gibt es ja eine ganz logische Erklärung dafür. Es gibt bestimmt eine."
Aron dachte kurz nach, ehe er weiter sprach.
"Du hast nicht vielleicht zufällig schonmal hier in Schlehenforst gewohnt. Bevor du krank geworden bist?" Das war die einzig mögliche Erklärung, die Aron in diesem Moment einfiel.
Doch Raven schüttelte den Kopf. 
"Nein. Ich und meine Mum haben vorher in den USA gelebt. Ich bin dort geboren. Wir sind erst nachdem ich krank war nach Deutschland gezogen." 
Aron stutze. "Ihr habt in den USA gelebt? Wie kommt es, dass ihr nach Deutschland gekommen seit?"
Raven zögerte kurz, ehe sie antwortete. 
"Meine Mum war mit 17 hier in Deutschland. Sie hat an der Schule, wo wir jetzt sind, ein Auslandsjahr gemacht. Als sie wieder in die USA zurück gegangen ist, war sie mit mir schwanger und ihre Eltern haben sie zu Hause rausgeworfen. Meine Mutter hatte schon immer vorgehabt nach Deutschland zurück zu kehren. Sie hat von Anfang an mit mir Deutsch gesprochen. Doch erst als ich krank geworden bin, hat sie sich endgültig getraut nach hier zu kommen. Es war für uns damals ein Neuanfang." 
Aron sah, wie schwer es Raven fiel, so viel von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Er konnte sie nur allzu gut verstehen. Doch es war irgendwie schön gewesen etwas so privates von ihr zu erfahren. Es war fast so wie damals, als er mit Sam all seine Geheimnisse geteilt hatte. 
Und das, was sie erzählt hatte, brachte ihn auf eine Idee. Eine Idee, die so absurd war, dass er sich nicht sicher war, ob er sie tatsächlich laut aussprechen sollte. Sie jagte ihm eine Gänsehaut den Rücken hinab. Denn wenn sie wahr sein sollte, hatte der Fluch der Hexe ein viel größeres Ausmaß als alle hier im Dorf bisher angenommen hatten.
Er versuchte die Angst und Nervosität herunter zu schlucken, doch sie blieben wie ein dicker Kloß in seiner Kehle hängen.
"Deine Mutter ist schwanger geworden, während sie auf unsere Schule gegangen ist?"
Raven nickte. Verwirrung spiegelte sich in ihrem Blick. Aron versuchte noch einmal zu schlucken, doch der Kloß blieb in seinem Hals und hinderte ihn daran normal weiter zu atmen. 
"Und was war mit deinem Vater?" Aron versuchte das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Anspannung machte sich in ihm breit.
"Ich kenne meinen Vater nicht. Er ist auf die selbe Schule gegangen wie meine Mutter und dann von einen auf den anderen Tag verschwunden. Er weiß nicht einmal, dass es mich gibt." Den letzten Satz hatte Raven so leise ausgesprochen, dass Aron sich zuerst nicht sicher war, ob er sie richtig verstanden hatte. 
"Also weißt du auch nicht, wo er damals gelebt hat?" 
"Nein."
Die Idee in seinem Kopf nahm immer mehr Gestalt an. Mittlerweile war sie nicht mehr zu ignorieren. Er musste einfach Recht haben. Anders konnte es nicht sein.
"Hör zu Raven. Ich glaube ich habe eine Idee, warum du den Brand auch hattest, obwohl du so weit weg von hier warst. Es hört sich jetzt vielleicht verrückt an und es ist bisher auch noch nie vorgekommen, aber das scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein. Was ist, wenn dein Vater hier aus Schlehenforst kommt? Vielleicht trifft der Fluch ja nicht nur Kinder, die in diesem Dorf leben, sondern auch Kinder, dessen Wurzeln hier liegen. Vielleicht ist dieser Fluch wie ein Gen, das man vererbt bekommt."
Aron fasste sich an die Schläfe. Er hatte das Gefühl sein Kopf würde jeden Moment platzen. Wenn es wirklich stimmte, was er da gerade gesagt hatte, hatte das Dorf die ganzen Jahrhunderte über in einem falschen Glauben gelebt. Es kostete ihn alle Mühe den nächsten Satz über seine Lippen zu bringen. Es würde einfach alles verändern. Nicht nur in seinem Leben und das der anderen Dorfbewohner, vor allem Ravens Leben.
"Wir sollten heraus finden, wer dein Vater ist. Wir müssen heraus finden, ob er wirklich aus Schlehenforst kommt. Vielleicht lebt er ja hier irgendwo."

Kinder aus Glut und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt