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Ich bin wieder hier.

Als meine Eltern starben, hatte ich natürlich meiner kleinen Schwester samt Freund das Feld überlassen. Nicht mal ausbezahlt haben sie mich. Nun war sie getrennt und unser Elternhaus weg. Nach ihrem Langzeitstudium hatte sie endlich einen Job. Ihren ersten Job. Und sie war tatsächlich wirklich gut darin. Sie hatte Maschinen-Ingenieur-Bau-Dingens studiert. Auf jeden Fall konnte sie wirklich etwas. Wenn sie auch sonst nichts konnte. Doch, etwas war da noch: Sie hatte ihren Führerschein mal wieder verloren. Man fährt ja auch mit 100 Sachen durch eine geschlossene Ortschaft.

Ich bin wieder hier. In meiner Heimat. Nach meinem Studium hatte ich einen Mann kennengelernt. Ich dachte, ich liebe ihn. Aber das war eine Einbahnstraße. Leider hatte ich meine besten Jahre an den Kerl verschwendet. Durch die Trennung verlor ich meine Arbeit. Und stand ohne jemanden da. Mit meinem letzten Geld zog ich den Schwanz ein, packte mein bisschen, was mir geblieben war, nachdem ich durch den Verkauf meiner ganzen Sachen das Ticket in die Heimat praktisch bezahlen konnte, in mein kleines Auto und fuhr in die Heimat. Ich hatte mir in der Nähe meiner alten Heimatstadt ein kleines Apartment angemietet. Kaum, dass ich meine Sachen in dem einen Zimmer abgestellt hatte, fragte ich den Vermieter nach einem Schraubenzieher. Traurig ging ich zu meinem Auto, das ich auf einige Monate nun gegen kleines Geld bei dem Ihm abstellen konnte. Ich hatte auf Youtube ein Video angesehen und versuchte nun, die Nummernschilder abzubekommen. Dabei rammte ich mir den Schraubenzieher in mein Bein. Ich schrie auf, presste meine Hand auf die Wunde und sah mich nach Hilfe um. Die alte Dame, die mit meinem Vermieter, Bernd, verheiratet war, kam besorgt hinaus und sah mein Unglück. Sofort holte sie Verbandszeug und half mir, die Wunde zu schließen. Dann schraubte ich, natürlich nachdem ich mich bedankt hatte, die Nummerschilder ab. Den Wagen würde ich gleich abmelden gehen. Auf unbestimmte Zeit. Er war fast alles, was mir von meinen Eltern geblieben war. Meine Schwester hatte den Rest verjubelt und verloren. Aber Blut war ja dicker als Wasser. Oder als Trauer. Ich packte die Nummernschilder in meine Tasche und humpelte los. Laut Navi würde ich eine Stunde laufen. Und danach nochmal eine halbe Stunde zu meiner neuen Arbeit. Ich würde im Supermarkt an der Kasse sitzen. Besser als nichts. Denn ich musste die Miete plus die Kaution zahlen. Und dabei hatte ich weder ein Bett noch einen Tisch.

Nachdem ich endlich an der Kasse saß, ging für mich der Stress erst richtig los. Der Laden war voll, ich war den ersten Tag da und alleine an der Kasse. Irgendwann kam ein junger Mann mit seiner Freundin an die Kasse. Die beiden stritten sich total. Sie wollte irgendwas teures haben und er wollte das nicht bezahlen. Dann pampten mich die beiden an, weil ich einen der Artikel nicht über die Kasse bekam und klingeln musste. Der Typ sah mich sauer an, sie schmiss mir den Joghurt vors Gesicht und stampfte hinaus. Als mein Chef kam, hatte ich überall Joghurt und einen ziemlich bösen Kunden vor mir. Natürlich gab das Ärger von meinem Chef und ich musste diesen Joghurt noch einmal holen. Ich humpelte so schnell es ging bis nach hinten in den Laden und kam mit dem einem neuen Becher wieder. Der Typ war weg. Nat toll. Mein Chef saß an der Kasse. Ich durfte mir ein neues Shirt anziehen und weiterarbeiten. Als um kurz nach zehn der Laden geschlossen wurde, humpelte ich nach Hause. Es dauerte eine dreiviertel Stunde laut dem Navi auf meinem Handy. Ich sah mir den Weg ganz genau an. Denn mein Handy war nicht mehr ganz neu und zickte schnell rum. Für diesen Fall musste ich mir den Weg einprägen. Denn um diese Zeit würde ich niemanden mehr auf der Straße sehen, den ich fragen konnte. Auf dem Heimweg fragte ich mich, ob der Joghurt wohl mit Seife rausgehen würde. Morgen musste ich wieder früh zur Schicht und sollte bis dahin mein Shirt wieder sauber tragen. Ich hatte ja keine Waschmaschine. Ich war Mitte dreißig und hatte keine verdammte Waschmaschine. Und kaum Geld zum Essen. Morgen war Samstag. Und ich hatte nur eine kurze Schicht. Als ich an einer Laterne stehend mein Bein prüfte, sah ich, wie das Blut durch die Hose kam. Scheiße! Gott sei dank hatte ich noch den Verbandskasten im Auto. Es fing an zu regnen. Oh nein. Als ich über die Straße wollte, kam ein Auto sehr schnell angefahren. Es fuhr durch eine Pfütze und das Wasser ergoss sich über mich. Jetzt war ich tatsächlich komplett durchnässt. Das Auto bremste, setzte zurück und die Scheibe ging runter. Der Typ von der Kasse. Oh nein. Schnell humpelte ich davon. Nicht, dass er mich nochmal zur Schnecke machte. Das hatten andere schon zur Genüge getan.

GebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt