Neue Sendung 22

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"Eisige Kälte ist über den Raum gestülpt. Die kargen Betonwände haben jedes Bisschen Wärme im Verlauf der Tage und Wochen entkommen lassen. Ein feiner Frostreif ist über alle Möbel gewachsen. Die stählernen Betten sind genauso überfrostet wie die Regale mitsamt der auf ihnen lagernden Gegenstände. Ausrüstung aller Art, teilweise von hohem Wert ist an Ort und Stelle festgefrohren. Dem Ofen, der bis vor unbestimmte Zeit noch Hitze verbreitete, ist der Brennstoff ausgegangen; er liegt verwaist und erkaltet wie jeder andere Gegenstand.

Im Angesicht des Todes durch Erfrieren, der als eine der unangenehmsten Arten zu Sterben gilt, durchsuchen die Augen hastig die Umgebung. Die lebenswichtige Wärme verlässt mit jeder verstreichenden Sekunde unaufhaltbar den Körper. Trotz aller Muskelbewegung verliert der Organismus langsam gegen die eisigen Bedingungen. Erschöpft sinkt der Mensch auf den Drehstuhl, bereit den Kampf aufzugeben, heißen Dampf ausatmend.

Dann, in einem letzten Aufbäumen des Lebens, öffnet der in sitzender Position Festgefrohrene die Augen und streckt die Hände nach dem einzigen Gegenstand aus, der noch in Reichweite liegt: die Schreibmaschiene. Die Finger streifen über die kühlen Stahltasten im Versuch sich festzuhalten und hochzuziehen. Die Vergeblichkeit dieses Tuns wird erkannt, doch brennend äußert sich der Lebenswille. Er zwingt die befrostbeulten Finger wieder und wieder über die Tastatur.

Die Tasten erwärmen sich, schließlich bricht der dünne Panzer aus Eis und sie lassen sich eindrücken. Ob dies die letzten Gedanken des Erfrierenden sind, die letzte mentale Glut ist unerheblich. Der enrneut entbrannte Überlebenskampf duldet keine Ablenkung. Die Tasten klappern, die stählernen Letter schlagen auf das Papier ein bis die zu Eis gefrohrene Tinte wieder schmilzt und sich darauf verteilt und Buchstaben bildet. Jedes Bisschen Energie wird mobilisiert, die Finger brennen doch Aufgeben ist keine Option. Mit einem hellen Klingeln erreicht der Schieber die linke Seite der Maschiene und zwingt zum Innehalten. Doch in feuriger Entschlossenheit reißt der Arm ihn wieder nach rechts. Die Zeichen füllen das papierene Medium welches schließlich anmutig und warm zu Boden fällt. Das Schlimmste ist überstanden, doch der Kampf hat gerade erst begonnen. Der Stapel unbedruckter Seiten ist noch hoch."

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