"Ari! Allison! Mary! Ruby! Bewegt eure Hintern hier herunter!" Mary und ich schauten uns verständnislos an. Mary hielt ein Buch in ihren zierlichen Händen die Augen vor Neugier geweitet was sie in der Welt der Wörter erwarten würde. Zumindest bis sie Ms. Sparrow hatte rufen hören. Jetzt sah sie nur noch verängstigt aus. Schnell stand ich auf, legte die Zeichnung, an der ich gerade gessessen hatte, beiseite, und zog Mary auf die Beine. Hand in Hand gingen wir die Treppe hinunter und trafen dort auch auf Ruby und Allison, beide genauso verständnislos dreinblickend wie ich. "Was glaubst du, was sie jetzt wieder will?" flüsterte Allison mit fast unbewegten Lippen in mein Ohr. Zur Antwort zuckte ich nur die Schultern. "Vielleicht hat sie mal wieder ihre Brille verloren und will, dass wir sie für sie suchen" mit einem hochgezogenen Mundwinkel, den man durchaus als Grinsen deuten könnte sah Ruby uns an. Ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht bevor ich es schnell wieder glättete um Ms. Sparrow nicht misstrauisch zu machen. Sie hatte uns sowieso schon auf dem Kicker, warum auch immer.
Unten angekommen stellten wir uns in eine perfekte Reihe, Ruby, die Älteste von uns, dann ich, dann Allison und schließlich die Kleine Mary. Eigentlich war sie gar nicht so klein, sie wirkte nur immer so, mit ihren hellbraunen, unscheinbaren Rehaugen. Ms. Sparrow schritt an uns vorbei: "Und? Habt ihr was zu eurer Verteidigung zu sagen?" jedem Einzelnen sah sie in die Augen. "Ich verstehe nich, Miss" mit fester Stimme sah ich zu ihr auf und hielt ihrem Blick stand. "Stell dich nicht dumm, Mädchen", mit kaltem Blick deutete sie auf ein Schränkchen in der Wand. Unscheinbar, immer mit einem Schloss versperrt, ich hatte noch nie gewusst, was so wichtig war um es wegzusperren. Aber jetzt war er offen und ich versuchte einen Blick ins Innere zu erhaschen. Doch anscheinend hatte sie meinen neugierigen Blick falsch gedeutet, denn sie trat näher an mich heran, so nah, dass ich die Minze aus ihrem Tee in ihrem Atem riechen konnte. Angenehmer Geruch war etwas anderes. "Wer hat den Schrank aufgebrochen?" ihre zuckersüße Stimme triefte wie Gift auf uns herab. Jeder, der sie nicht kannte, würde meinen sie wäre die Nettigkeit in Person. Ich wusste es besser. Diese Stimme war nur die Ruhe vor dem Sturm, der losbrechen würde, wenn sie keinen finden würde, an dem sie ihre Wut auslassen konnte.
Als keiner antwortete sah man den Umschwung in ihrer Miene. Ihre Lippen fielen herunter, als wären sie nur festgeklebt gewesen und würden sich jetzt lösen. Die Lachfalten um ihre Augen, die vermuten ließen, dass sie mal eine glückliche Frau gewesen war, glätteten sich. Ihr Ausdruck wurde hart. "Niemand? Hätte ich mir denken können. Die Vase letzte Woche ist auch von allein heruntergefallen, nicht wahr?" "Ma'am wir..." weiter kam ich nicht, denn Ruby drückte ihre Nägel in meine Hand. Ein eindeutiges Zeichen dafür, bloß nicht den Mund auf zu machen. Ich hätte es besser wissen sollen, so lange wie ich jetzt schon hier war. Genau genommen, erinnerte ich mich an nichts anderes, als an dieses Waisenhaus für besondere Fälle. Das klingt so herabstufend, nicht wahr? Da sollte man meinen, Besonderheit sei etwas Gutes, und dann ist sie doch nur dazu da, einen in Kategorien einzuteilen. Und das war meine, dieses Waisenhaus. Die Erinnerungen an alles was vor diesem Ort geschah, vor meinem fünften Lebensjahr, ist kaum noch vorhanden, geschweigedenn der Rede wert. Manchmal träumte ich von Situationen, die sich so real anfühlten, dass ich glaubte es seien Erinnerungen. Doch dann geschieht immer etwas das einfach nicht sein kann, was mich sofort wieder aufhören lässt zu glauben.
Ms. Sparrow sah mich eindringlich an und schritt dann wieder unsere Reihe entlang. "Wenn also niemand etwas anzumerken hat, werdet ihr eben alle die Konsequenzen tragen. Geht hoch in eure Zimmer und bringt mir eine eurer persönlichen Sachen. Ihr wisst ganz genau was ich meine. Mary, bring mir deine Bücher, Ari, du mir deine Stifte. Ruby, deine Geige kommt auch zu mir. Und Allison..." bei Allison haperte es mit ihrer Strafe. Sie war am kürzesten hier, hatte sich noch nicht gut genug eingelebt um etwas zu haben, woran sie sich klammern konnte, wie wir. "Ich kann Ihnen meine Fotografien bringen, Ma'am" vollkommen gefasst sprach sie die Worte aus. Doch in ihren Augen sah ich die Angst. Sie wusste nicht, ob Ms. Sparrow die Sachen verbrennen oder nur verstecken würde. Und die Bilder schienen ihr wichtig zu sein, ihrem Ausdruck nach zu urteilen. Ms. Sparrow nickte "so soll es sein". Sie schnippte mit den Fingern, das Zeichen für uns nach oben zu laufen und unsere Strafe anzutreten. Gerade bestieg Mary die Treppe, da spürte ich Ms. Sparrows Blick auf mir. Ich drehte mich um. Der Ausdruck in ihren Augen war unergründlich. Doch ich meinte darin doch noch etwas zu erkennnen. War es Verwirrung? Verwunderung? Oder Schreck? Doch genauer konnte ich nicht hinsehen, denn sie schien sich zu fassen und bedachte mich mit einem strengen Blick. Schnell streckte ich den Rücken noch ein bisschen weiter durch und stieg hinter den anderen her um meine Stifte zu holen. Natürlich würde ich einen verstecken. Einen, von dem sie nichts wusste. Einen, den ich seit damals hatte, seit ich mich erinnern kann. Den ich beschützte wie meinen Augapfel. Warum ich das tat, wusste ich nicht. Nur, dass er wichtig war. Ob als Balsam für meine Seele, oder doch als etwas anderes konnte ich nicht sagen.
~
Später saßen Mary und ich wieder in unserem Zimmer. Sie schien verloren ohne ihre Bücher. Meinen Stift hielt ich unter dem Kissen fest. Ruby und Allison würde es gegnüber in ihrem Zimmer nicht anders gehen. "Ari?" sie holte mich wieder aus meinen Gedanken. "Ja?" langsam setzte ich mich auf, darauf bedacht den Stift unauffälig in den Kissenbezug zu schieben. Mitlerweile schaffte ich das flüssig, so oft hatte ich es gemacht. "Würdest du mir eine Geschichte erzählen?" ihre Rehaugen strahlten unter der Decke, die sie bis zur Nase hochgezogen hatte. Es war keinesfalls kalt, doch unter der Decke fühlte man sich eben geborgen. Natürlich verstand ich den Wunsch danach. Geborgenheit fand man hier nur unter den anderen Waisen. Und nichtmal da war sie immer sicher. "Natürlich. Was möchtest du hören?" ich lächelte warm. Mary tat mir noch immer Leid. All unsere Geschichten waren auf gewisse Weise tragisch. Sie war da keine Ausnhme. Doch ihre Augen machten es unmöglich kein Mitleid zu empfinden. "Erzähl mir von den Göttern, bitte" sie sah mich eindringlich an. "Aber natürlich." mit dem Blick zum Fenster gerichtet, die Sterne und den Mond im Blick begann ich zu erzählen, bei jedem Wort klebte sie mir an den Lippen. Man sagte mir immer, ich sei eine gute Geschichtenerzählerin. Also ließ ich meine Worte den Raum füllen: "Man erzählt sich, es habe mal zwei Götter gegeben, ..."
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~1130 Wörter
Und damit hello zum zweiten Kapitel der Story. Mitlerweile hab ich viel zu viele Gedanken auf einmal, wie die Geschichte weitergehen könnte haha xD
Aber gut, sagt Bescheid, wenn ihr Fehler seht. Hatte keine Lust nochmal korrektur zu lesen c:
Bis denne :D
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Ember and Ash
FantasyEine Gesellschaft, in der sich alles um Macht dreht. Eine Gesellschaft, in der du nur überlebst, indem du ein Jemand bist. In dieser Zeit lebt Ari, ein Waisenkind unbekannter Herkunft und umgeben von Trostlosigkeit. Eine Geschichte mit Spannung, Ro...