„Wie konntet ihr sie einfach abziehen lassen, Majestät? Wir hätten sie bezwingen und alle verbliebenen Schattenkrieger ihrer Körper entledigen können", herrschte Nimiel den Fürsten fassungslos und rauer als beabsichtigt an.
Schnell kniete sie nieder und senkte ihr Haupt vor ihm.
„Verzeiht, ich wollte eure Entscheidung nicht anzweifeln, aber ich verstehe sie nicht", setzte sie untertänig nach.
Mandelion zog sie sanft wieder auf die Beine und fasste sie bei den Schultern. Er sah ihr tief in die Augen und sagte:
„Es gibt Dinge, die sind zu verworren, um sie zu verstehen und es mag sein, dass ich töricht handelte. Mein Herz sagte mir jedoch, dass dies nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit war, um diese Fehde zu entscheiden. Das ist eine Sache zwischen mir und dem Herrn der Schatten und niemand von euch hätte involviert werden sollen. Es tut mir leid um jede Seele, die diese Welt heute verlassen hat, aber nur so konnte ich mit ihm in Kontakt treten. Er ließ sich nicht von mir rufen. Ich habe es viele Male versucht. Also blieb mir nur, darauf zu warten, dass er käme um mich zu vernichten. Deshalb schickte ich so viele fort, wie wir entbehren konnten und ließ euch so gut vorbereiten, wie es mir möglich war."
Der Fürst war voller Trauer. Er blickte über die reglosen Leiber, die den Boden des Palasthofes bedeckten. Nimiel sah ihn verständnislos an.
„Wie meint ihr das? Wie kann es eine Sache zwischen euch und ihm sein? Es geht mich genauso an. Er hat meine Mutter auf dem Gewissen! Viele von denen, die hier liegen, haben Freunde, Familie und Geliebte durch die Schattenbrut verloren. Die, die noch am Leben sind, trachten den Horden von Morlith und ihrem Herrn nach den ihrigen. Wisst ihr warum wir uns zum Dienst in eurem Heer und als Magierlehrlinge gemeldet haben? Weil wir Rache nehmen wollen!", schrie Nimiel ihm nun wutentbrannt entgegen.
Es war ihr egal, ob der Fürst sie dafür bestrafen würde. Sie konnte nicht an sich halten.
Mandelion sah sie jedoch weiterhin mild an und sagte leise:
„Rache und Unverstand haben uns in diese Situation gebracht. Rache wird sie nicht beenden. Du kannst die Schatten nicht töten. Sie sind ewig wie der Wind, die Sonne, der Mond...ein Teil des Gefüges dieser Welt. Was erhältst du, wenn Licht und Dunkelheit sich treffen?"
Nimiel schüttelte verständnislos den Kopf.
„Was meint ihr damit, Majestät?"
Er wies auf den Boden zu ihren Füßen und ihr Blick folgte seiner Geste.
„Was siehst du dort?", fragte er sie.
„Meinen Schatten", erwiderte Nimiel.
„Und wie gedenkst du, diesen zu beseitigen?", fragte Mandelion weiter.
Die weiße Magierin zögerte kurz und antwortete dann:
„Das kann ich nicht. Er erscheint mit dem Lauf der Sonne, oder im Schein anderer Lichtquellen und wandelt sich mit ihnen. Aber es ist doch nur ein Schatten. Er besitzt keine Seele."
„Doch du besitzt eine, oder etwa nicht? Liegt es nicht an dir, zu entscheiden, ob du und dein Schatten dem Licht dienen, oder ob ihr der Dunkelheit verfallt?"
Nimiel wusste nicht was sie darauf antworten sollte. Mandelion strich ihr zärtlich über die vor Aufregung errötete Wange.
„Die Schatten sind weder gut noch böse. Sie tun das, was man ihnen aufträgt, wenn man über sie gebietet. Der Herr der Schatten ist der Dunkelheit anheim gefallen, doch die Elfen waren nicht schuldlos daran. Auch ich habe nicht alles getan was ich hätte tun können. Anais hat ihn so lange gebannt wie es ihr möglich war und auch Merandil hat seinen Teil der Aufgabe erfüllt, ohne dass er darum weiß. Ohne seine Macht wäre der Dunkle nicht bis zu mir vorgedrungen und ohne seinen Einfluss hätte er keine Gnade walten lassen. Die lichte Seite in ihm erstrahlt wieder. Noch ist die Flamme winzig, kaum mehr als ein Funke der Hoffnung. Doch vielleicht vermag sie zu wachsen. Es tut mir leid um deine Mutter und um dich, die du schwer an der Bürde deiner Last trägst. Auch trauere ich um jeden heute Verlorenen. Aber sag mir... wird es sie zurückbringen, wenn der dunkle Herr fällt?"
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Schattengrenze - ein Elfenroman über Licht und Schatten
FantasíaDie Elfe Anais ist die Hüterin der Quelle Aranils, welche Ursprung aller Magie ist und das Leben im Einklang mit der Natur hält. Eines Tages trifft sie dort auf Merandil, den schreckliche Träume plagen und der auf Hilfe durch die Magie der Quelle ho...