Kapitel 6

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Nachdem ich mich ausgeweint hatte, haben Lynn und ich uns etwas zu essen gekocht. Das ganze war recht amüsant, da Lynn nämlich überhaupt nicht kochen kann. Sie schaffte es sogar Nudeln zu versauen. Ich kann mich noch daran erinnern, als wir uns einmal Spaghetti Bolognese machen wollten, hatte sie es geschafft, dass die Nudeln angebrannten. Bis heute frage ich mich wie sie das zu Stande gebracht hatte.

"Jetzt fühle ich mich viel besser.", sagte Lynn während sie sich vielsagend über ihren Bauch streichelnd zurück lehnte. "Pass nur auf, dass du nicht zu dick wirst, so viel wie du isst würde es mich nicht wundern". Schnippisch warf sie sich ihre Haare, welche ihr über die Schulter gefallen waren, wieder zurück und verschränkte ihre Arme unter der Brust. Bei diesem Anblick konnte ich nicht länger ernst bleiben und begann daher zu kichern. Ich erkannte in Lynn's Gesicht, dass sie sich echt anstrengte nicht auch zu lachen, aber es dauerte nicht lange und schon stieg sie mit ins Gelächter ein.

"Hallo!", ertönte die Stimme meiner Mutter aus dem Vorzimmer, als ich versuchte mich wieder in den Griff zu kriegen, doch ein Blick in Lynns Gesicht reichte, damit ich erneut zu lachen anfing. Es tat echt gut mal wieder so zu lachen. Es lenkt einen von den ganzen Problemen des Alltages ab, die Abwehrkräfte werden gestärkt, der Stresspegel sinkt, es werden Glückshormone freigesetzt und man trainiert gleichzeitig auch noch seine Bauchmuskeln, wenn man einen derartigen Lachanfall, wie Lynn und ich ihn hatten, bekommt.

"Na ihr zwei. Ihr scheint es ja sehr lustig zu haben.", sagte meine Mom, als sie ins Wohnzimmer kam und mir einen Kuss auf meinen Scheitel gab. Ich wischte mir die Tränen weg, die sich vor lauter lachen gebildet hatten und umarmte meine Mom. "Hey Mom. Es ist eh kein Problem, dass Lynn da ist oder?" "Natürlich nicht. Lynn gehört ja schon längst zur Familie dazu.". Ein sanftes Lächeln umspielte die Lippen meiner Mutter, als sie meine beste Freundin ebenfalls zur Begrüßung in den Arm nahm.

Lynn und ich kannten uns schon seit 12 Jahren und in all der Zeit gab es keinen einzigen Tag an dem wir uns nicht sahen. Egal bei welchem Wetter, ob wir krank waren oder nicht, wir waren immer zusammen, selbst im Urlaub. In all den Jahren ist sie für mich wie eine Schwester geworden. Ein Leben ohne sie wäre für mich nicht mehr vorstellbar.

Ich ließ meinen Blick durch das Wohnzimmer gleiten, welcher bei der weißen Uhr mit schwarzen, römischen Ziffern hängen blieb. "Wann musst du zu hause sein?", fragte ich Lynn, die nun ebenfalls zur Uhr blickte und dann auf ihr Handy. Ihre Stirn legte sich kurz in Falten, was bei ihr immer der Fall war, wenn sie über etwas nachdachte. "Meine Mom hat noch bis 16:30 Schicht, also kann ich noch ein bisschen bleiben."

Ihre Mutter arbeitete als Rezeptionistin in einer Arztpraxis und das schon seit dem ich denken konnte. Sie und meine Mutter hatten sich bei der Arbeit kennengelernt und sind seit dem gute Freunde, ich denke, dass es einfach Schicksal war, dass auch Lynn und ich beste Freunde wurden.

Erschöpft ließ sich meine Mom auf die Couch visasvis des Esstisches fallen und schloss ihre Augen. Momentan waren sie und mein Dad immer erschöpft. Ich glaube das hing mit der damaligen Situation zusammen. Es war für uns alle nicht leicht. Traurig ließ ich meinen Blick auf meine Hände sinken und versuchte nicht erneut in Tränen auszubrechen. Um mich abzulenken nahm ich die leeren Teller von mir und Lynn und trug sie in die Küche und stellte ich sie in die Abwasch. Es dauerte nicht lange und schon stand Lynn neben mir. Ich bemerkte natürlich ihren mitleidigen Blick, aber ich wollte kein Mitleid. Mir ging es gut, zumindest versuchte ich mir dies einzureden. Vielleicht würde es mir ja gelingen, dass ich mir das selbst abnahm.

Ohne sie anzusehen reichte ich ihr ein Geschirrtuch und schon machte sie sich daran die von mir abgewaschenen Teller und Gläser abzutrocknen. Mit einem feuchten Wetex reinigte ich die Küchenzeile und auch die kleine Kücheninsel in der Mitte des Raumes. Lynn ging mit einem trockenen Tuch drüber und schon war die Küche wieder sauber. "Alles gut?" "Was meinst du?", stellte ich ihr als Gegenfrage. Ich weiß ganz genau was sie meinte, aber ich wollte nicht schon wieder darüber reden. Sie legte ihren Kopf leicht schief und sah mich eindringlich an. Ich konnte nicht anders als meine Augen zu verdrehen und kassierte daher einen Schlag auf meinen Oberarm.

"Ich hab einen bessere Idee als zu reden.", sagte ich ihr und Lynn sah mich neugierig an. "Wie wär's, wenn wir einfach spazieren geh'n, jetzt wo die Sonne scheint sollten wir es genießen." "Na gut", genervt ließ sie einen Seufzer aus. "Kann ich meine Schulsachen daweil dalassen?". Mit ihren Hundeblick sah sie mich an, aber das wäre nicht nötig gewesen, da ich ihr so oder so vorgeschlagen hätte ihre Sachen einstweilen in mein Zimmer zu stellen. "Ich weiß nicht ob du kannst, aber du darfst deine Sachen da lassen.", sagte ich mit einem Grinsen. Diesen Satz sagte ich immer, wenn mich jemand fragte, ob er irgendetwas könne. Ich meine, von wo soll ich wissen, ob diese Person es kann, ich weiß nur, ob man darf oder nicht.

"Haha, sehr witzig bist du." Lynn hasste es, wenn ich das sagte, aber ja, ich konnte nicht anders. Im Vorzimmer zogen wir uns unsere Schuhe und Jacken an. Ich hatte mich für meine schwarzen Converse und meine helle Jeansjacke entschieden. "Mom, wir gehen noch etwas raus.", rief ich meiner Mutter zu, welche sich nun den Fernseher aufgedreht hatte. "Ist gut. Bis später und mit niemanden mitgehen." Das sagte sie jedes mal und das obwohl wir schon längst keine kleinen Kinder mehr waren, aber irgendwie fand ich es süß. Es zeigte mir, dass sie sich dennoch Sorgen um uns machte. "Machen wir eh nicht. Bis später." "Bis dann."

Kaum trat ich aus dem Haus wurde ich von der kühlen Frühlingsluft empfangen. Es war ein richtig schöner Frühlingstag für Minneapolis. Die Sonne schien daher war es nicht all zu kalt. Langsam gingen wir in Richtung unseres Lieblingsplatzes, welcher der Stadtsee war. Rund um den See verläuft ein Pfad, der perfekt zum spazieren und Radfahren ist. Im Winter ist der See zugefroren und man kann dann darauf Eislaufen. In der Mitte des Sees befinden sich zwei bewaldete Inseln, die als Schutzgebiet für wild lebende Tiere dienen. Es ist einfach ein unbeschreiblich schöner Ort.

Den Weg dort hin haben wir geschwiegen. Dafür war ich Lynn auch sehr dankbar. Es war keine unangenehme Stille, sondern einfach ein angenehmes Schweigen. Wir beide waren in unseren eigenen Gedanken versunken und gingen nebeneinander her. Kaum waren wir an dem See angekommen setzten wir uns auch schon ans Ufer und betrachteten die untergehende Sonne, die sich im Wasser spiegelte und so alles in die schönsten Farben tauchte.

"Ich habe Angst." ertönte meine leise und etwas angeschlagene Stimme, während ich meinen Blick stur aufs Wasser gerichtet ließ. Lynn brauchte etwas, bis sie merkte, dass ich etwas gesagt hatte und drehte sich zu mir. Sie sah mir in die Augen und schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln. Dennoch sah ich etwas in ihren Augen aufflackern, was ich aber nicht genau deuten konnte. Es schien so, als hätte auch sie Angst. "Ich weiß Elenchen. Ich auch." Wir nahmen uns in den Arm und hielten uns ganz fest, als wären wir der jeweilige Anker des anderen.

Ich hatte Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Ich hatte Angst einen meiner Eltern zu verletzen. Ich hatte Angst davor Lynn zu verlieren und eines Tages meine Entscheidung zu bereuen. Denn nichts kann jemals wieder rückgängig gemacht werden.

Never say NeverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt