Mitternacht

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Das höchste Gut, dass du deinem Fürsten anbieten kannst, ist Nützlichkeit. Bist du nicht nützlich, kannst du genauso gut tot sein.

Auszug aus: Hausregeln der Kasten

***

Der Fuß unter Nirans weißem Laken, das seine untere Körperhälfte bedeckte, wippte auf und ab. Mit jedem Wort, das Lamduan sagte, wurde das Tempo schneller. Es war ein Glück, dass sich Nirans zusammengezogene Augenbrauen auf seine Wächterin richteten.

»Wie oft habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich in meinem Zimmer nicht gestört werden will?«

»Verzeih mein Fürst«, antwortete die Wächterin, ohne eine Mine zu verziehen. »Aber die Umstände schienen ein schnelles Handeln erforderlich zu machen.«

Die Situation erinnerte Sari an ihr letztes Zusammentreffen mit Niran. Wieder stand sie in seinen privaten Räumlichkeiten, nur hatten sie heute die Tür genommen. Außerdem fehlte vom Ausländer jede Spur.

»Ein schnelles Handeln? Mitten in der Nacht?« Niran schnaubte. »Ich bin nicht glücklich.«

»Damit werden wir leben müssen, mein Fürst.«

Nirans Stirnrunzeln wurde etwas milder und sein linker Mundwinkel zuckte. »Nun zu diesem kleinen Dunghaufen.«

Während er sich das Laken wie eine Robe um die Hüfte wickelte, verstärkte sich Lamduans Griff auf der Schulter des Jungen. Im Licht der Kerzen wirkte er jung, kaum älter als Sari selbst. Auf der anderen Seite musste er bereits volljährig sein, um eine Zeichnung zu tragen. Mittlerweile war er wach und sah den Schmugglerfürsten mit weit aufgerissenen Augen an. Beinahe tat er Sari leid. Doch dann blickte sie zu Jayse, die an einem Insektenstich pulte. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ihr Abend deutlich angenehmer verlaufen.

»Wie heißt du?«, fragte Niran kalt.

Der Junge schlug seine Augen nieder und starrte auf den Boden.

Wenn möglich wurde Nirans Gesichtsausdruck noch finsterer. Sari spürte Jayses warmen Körper, der sich näher an ihre Seite schob.

»Ich, Niran, Fürst der siebten Gilde, befehle dir mir deinen Namen zu nennen.«

Zunächst schien es, als ob der Junge wieder nicht reagieren würde, doch dann schüttelte er den Kopf.

Niran stieß einen Ton aus, der irgendwo zwischen Überraschung und Unglauben angesiedelt war, bevor er sich zu Lamduan umdrehte. »Lass ihn nach unten bringen. Vielleicht überzeugen ihn zehn Schläge auf die Fußsohlen, dass man einem Fürsten gehorcht.«

»Jetzt, Herr?«

»Ja, Lamduan. Jetzt.«

Alle schwiegen, bis die Wächterin den Jungen zur Tür geschleift und an die dort positionierten Krieger übergeben hatte. Sie sprach erst wieder, als die Tür von außen geschlossen wurde. »Ist das eine gute Idee, Herr? Die Bestrafung sofort durchführen zu lassen?«

Schnaubend zog Niran das Laken höher und stapfte zu einem Sofa, das zwischen Schrank und Bett positioniert war. »Ich weiß nicht, Lamduan. Aber du scheinst eine Meinung zu haben. Erleuchte mich.«

»Normalerweise droht man die Strafe erst an und schaut, ob der Betroffene aus Furcht einknickt.«

Niran hob abwehrend die Hände. »Verzeih mir, dass ich mitten in der Nacht nicht zu Winkelzügen aufgelegt bin. Er wird mir sagen, was ich hören will. Auf die eine oder andere Art.«

Ein Diener streckte seine Kopf durch die Tür. »Wünscht ihr eine Erfrischung, mein Herr?«

»Ich wünsche, zu schlafen«, schnauzte der Fürst zurück. Der Diener wollte sich mit aufgerissenen Augen zurückziehen, da schnippte Niran kurz. »Begleite die Keikis ins Dienstbotenquartier und suche ihnen ein Lager. Heute nacht schlafen sie bei uns.«

Die Legende - Eine Göttermeer GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt