Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis ich endlich auf mein Zimmer gehen konnte. Natürlich hatte der Fremde für einen ziemlichen Tumult gesorgt. Mein Onkel und Kommandant Riley wurden sofort über die Geschehnisse im Ballsaal informiert und eilten zu eben diesem. Die Wachen versuchten in der Zwischenzeit die Gäste so gut wie möglich zu beruhigen, doch die Mehrheit verließ entsetzt das Schloss und schwor wenn nicht zwingend nötig nie wieder ein Fuß hinein zu setzen. Mir sollte es recht sein. Weniger scheinheilige Gesichter für die ich ein falsches Lächeln aufsetzen musste. Nachdem alle Gäste das Schloss verlassen hatten, entschied mein Onkel eine Notfallbesprechung in seinem Büro abzuhalten. Während mein Onkel, Kommandant Riley und einige der ranghöheren Wachen darüber diskutierten wie es sein konnte, dass ein Hexer ungeachtet der im Vorfeld festgelegten Sicherheitsmaßnahmen das Schloss betreten konnte, flüsterte mir meine Cousine Lydia zu: "Ich kann nicht fassen, dass du mit diesem fremden Mann getanzt hast! Du bist verlobt Davina! Wie wie kannst du deinen Verlobten nur so eine Schande bereiten?" Ich flüsterte ungehalten zurück: "Was kümmert es dich, ob ich meinem Verlobten eine Schande bereite oder nicht liebe Lydia?" Lydia wurde leicht rot und antwortete: "Du bringst nicht nur Schande über ihn sondern Schande über unsere ganze Familie!" Ich schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Lydia war schon in unserer Kindheit eine grauenhafte Lügnerin gewesen. Sie mochte es so hinstellen, dass es ihr nur um die Ehre unserer Familie gehe, doch ich kannte den wahren Grund wieso es sie so sehr interessierte, dass ich mit einem anderen als meinem Verlobten beim Ball getanzt hat. Dieser Grund war mein Verlobter selbst. Graf Leander von Avidan. Leander war ein freundlicher Mann, aber in meinen Augen der langweiligste Mensch der mir je untergekommen war. Meine Ehe mit ihm war keineswegs ein Zeichen unserer innigen Liebe zueinander. Ich musste heiraten. Und das schnell. Es war natürlich nicht sehr schwer geeignete Kandidaten für eine Heirat zu finden. Schließlich war ich eine Prinzessin die bald Königin werden würde. Beinah jeder Mann der dem Kleinadel unseres Landes angehörte und im heiratsfähigen Alter war, hatte sich bei mir vorgestellt und sich sicher erhofft irgendwann um meine Hand anhalten zu können. Allerdings konnte ich ihnen diese Hoffnung meist sehr bald nehmen. Ich wollte keinen Mann, der mein Königreich regierte. Ich wollte es regieren. Daher konnte ich keinen Mann gebrauchen, der sich durch die Ehe mit mir einen schnellen Weg zum Thron erhoffe. Daher kam es mir gerade recht, dass Leander mir bei unserem ersten Treffen kaum in die Augen sehen konnte und immer recht verlegen gewirkt hatte, als er mit mir gesprochen hatte. Ich war mir sicher, ich würde mit Leander gut auskommen können. Ich würde ihn zwar nie lieben, aber den Rest seiner Tage mit jemanden zu verbringen, den man nicht aus tiefster Seele hasste war für mich schon mal ein recht guter Grundstein für eine gelingende Ehe. Allerdings vermutete ich, dass es da jemanden gab, den Leander sehr liebte. Und diese Person war meine liebe Cousine Lydia. Ich hatte die Gelegenheit die beiden in einigen vermeidlich ungestörten Momenten zu beobachten. Ich kannte den Blick mit dem Lydia und Leander einander ansahen. Ein Blick der unsagbar viel Zuneigung, wenn nicht sogar Liebe, ausdrückte. Ich bemerkte wie Lydia immer wieder wie zufällig Nähe zu Leander suchte. Oder auch wie ich diesen schon mache Nacht in der Nähe des Zimmers meiner Cousine gesehen habe. Es tat mir leid für die beiden. Ich mochte Lydia. Sie war in der letzten Zeit wie eine Schwester für mich geworden. Daher tat es mir umso mehr weh, dass sie wegen mir ihre Liebe zu Leander würde aufgeben müssen. Unter anderen Umständen hätte ich mir einen anderen Ehemann gesucht, doch die Zeit drängte.
Lydia wandte sich von mir ab, entschuldigte sich bei meinem Onkel und begab sich auf ihr Zimmer. Ich hingegen wurde sowohl von meinem Onkel als auch von Kommandant Allister ausgiebig befragt. Sie wollten wissen, ob ich irgendwelche nähere Anhaltspunkte über den Hexer beitragen konnte, doch ich konnte ihnen nicht weiterhelfen. Weder wusste ich einen Namen, noch hatte ich eine Ahnung wie der Fremde es schaffen konnte in den schwer bewachten Ballsaal zu gelangen. Nachdem ich ihnen mehrfach versichert hatte, dass ich absolut nichts über die Geschehnisse des Abends wusste, wurde mir endlich erlaubt auf mein Zimmer zu gehen. Auf dem Weg wurde ich von einem Wachmann begleitet. Auf dem Weg fiel mir auf, dass deutlich mehr Wachen als sonst im Schloss postiert waren. Scheinbar wollte mein Onkel sicher gehen, dass es niemanden mehr gelingt ungesehen in das Schloss einzudringen. Ich wollte gerade die Tür meines Zimmers schließen, als der Wachmann der mich begleitet hatte sich kurz räusperte. Ich musterte den Mann kurz. Er war jung. Wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als ich und wirkte sehr verlegen als er mir unauffällig einen Briefumschlag zusteckte. Ich sah ihn fragend an, doch in seiner Miene fand ich keinerlei Regung. Ich sah mir den Briefumschlag kurz an und nickte dem Wachmann kurz zu. Ich konnte mir schon denken von wem der Brief stammte. Ich ging auf mein Zimmer, schickte meine Zofe weg und öffnete lächelnd den Brief. Meine Vorahnung hatte sich bestätigt. Der Brief stammte von Fynn. Einem jungen Soldaten der im Schloss seit etwas mehr als zwei Jahren als Wachmann beschäftigt war. Nach dem Tod meiner Eltern hatte ich mich schutzlos gefühlt. Ich hatte mich tagelang in meinem Zimmer eingeschlossen. Weder wollte ich jemanden sehen, noch von jemanden gesehen werden. Meine Zofe versuchte immer wieder mir gut zuzureden, doch es half nicht wirklich viel. Eines Tages berichtete sie mir, dass ein neuer Soldat ins Schloss abkommandiert wurde. Sowas war immer etwas recht besonderes. Ein Soldat musste wahre Heldentaten hinter sich gebracht haben um die Ehre zu erhalten die königliche Familie bewachen zu dürfen. Einige Tage später entschloss ich mich, mich zum Training der Schlosswachen zu schleichen. Dort sah ich Fynn zum ersten Mal. Er zeigte im Zweikampf mit seinen Kammeraden sein Können. Kommandant Riley beobachtete ihn dabei haargenau. Dem Kommandanten entging nie auch nur der kleinste Fehler. Nachdem der Zweikampf durch den K.O. von Fynns Gegner beendet wurde, konnte man ein kleines Lächeln auf den Lippen des Kommandanten erkennen. Er zeigte sich nur äußerst selten zufrieden mit den Schlosswachen. Daher brachte Fynn diese kleine Reaktion des Kommandanten bereits viel Achtung von seinen Kammeraden. Nach dem Training wollte ich Fynn in einem ruhigen Moment abpassen um ihn zu bitten mir zu zeigen wie ich mich selbst zumindest in einem geringen Rahmen verteidigen konnte. Wobei diese Bitte mehr eine Höflichkeitsfloskel war. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihm befehlen können, mich zu unterrichten, doch das wollte ich nicht. Ich wollte das erste Gespräch mit ihm nicht damit beginnen, dass ich ihm befehle erteilte. Ich ging zu ihm, holte gerade Luft um ihn anzusprechen, als er blitzschnell meinen Arm packte, mit einer ruckhaften Bewegung an mir zog und mich zu Boden schmiss. Schockiert und voller Angst starrte ich ihn an. Er musterte mich einen Bruchteil einer Sekunde mit sehr ernstem Gesicht. Als er erkannte, wen er gerade überwältigt hatte, stand auch ihm der Schock im Gesicht. Er half mir auf und sagte schnell: "Prinzessin! Ich...es tut mir leid! Ich hab euch hier nicht erwartet." Er wirkte nervös und wartete wahrscheinlich nur darauf, dass ich ihn von den anderen Wachen aus dem Schloss werfen ließ. Doch ich unterbreitete ihm stattdessen meine Bitte von ihm unterrichtet zu werden. Seit dem waren Fynn und ich so etwas wie beste Freunde geworden. Ich konnte über alles mit ihm Reden. Er war zu einem der Menschen geworden, denen ich am meisten vertraute. Lächelnd las ich, was Fynn mir in dem Brief mitzuteilen hatte.
Davina,
ich erwarte dich morgen vor dem Sonnenaufgang auf dem Trainingsplatz. Ich hoffe der Ball war trotz der....unerwarteten Ereignisse schön. Ich wünsche dir eine gute Nacht und freue mich auf unser Training morgen.
Bis dann
Fynn
Ich löste die Spangen aus meiner Friesur, öffnete mein Korsett und schlüpfte aus meinem Kleid. Ich sollte mich früh zur Ruhe legen, dachte ich. Ich wollte schließlich morgen früh beim Training ausgeschlafen und konzentriert sein. Ich hasste es so früh aufzustehen, doch es war leider nicht anders möglich. Nach Sonnenaufgang füllte sich der Trainingsplatz mit den Soldaten der Schlosswache. Fynn und ich legten beim Training sehr viel Wert darauf, ungestört zu sein. So konnte ich frei mit ihm reden und musste nicht befürchten, dass einer von Fynns Kammeraden meinem Onkel von meinen Trainingseinheiten berichtete. Ich mochte mir gar nicht vorstellen was mein Onkel davon hielt, dass ich als Prinzessin mich nicht nur regelmäßig mit einem Wachmann abgab, sondern mir von diesem auch noch breibringen ließ zu kämpfen. Ich legte mich also in mein Bett, schloss die Augen und hoffte auf einen geruhsamen Schlaf. Doch dieser war mir leider nicht gegönnt. Im Traum kam mir immer wieder das gleiche Bild vor Augen welches mir selbst im Schlaf einen Schauer über den Rücken jagte. Das einzige was ich sah, waren stahlblaue Augen und eine schneeweiße Schnabelmaske
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Lost Kingdom
FantasiaDavinas Leben war immer unbeschwert. Als Prinzessin des Menschenreiches Partago konnte sie tun und lassen was sie wollte...bis ihre Eltern starben und der Thron an ihren grausamen Onkel weitergereicht wurde. Aus dem einfachen Leben wurde ein Leben v...