3402 des Zweiten Zeitalters
Die Dúnedain kamen zu spät. Die Stadt brannte bereits lichterloh, ein flackerndes Licht in der Nacht. So hell, dass kein Stern am Himmel zu sehen war, nur der bronzene Blutmond blickte höhnisch auf das Bild der Zerstörung herab, welches sich unter ihm erstreckte. Das Brüllen der Flammen und das Knacken der brechenden Hölzer übertönte alle anderen Geräusche der Nacht. Die Männer, die herbei geeilt waren, um die Seregemath, die Bewohner der verlorenen Stadt, zu schützen, blieben oberhalb des Hanges stehen und blickten in ungläubigem Entsetzen auf das Inferno herab, welches in der Talsenke wütete.
Sie waren zu spät. Die letzte Siedlung der Seregemath war vernichtet. Der dunkle Herrscher hatte sein Ziel endlich erreicht und die Letzten dieses einst großen und mächtigen Volkes vom Antlitz Ardas getilgt. Der Hass auf Morgoths Kreaturen brannte heiß in den Adern der Krieger, als sie auf den Ort herabblickten, an dem die Letzten dieses friedvollen Volkes zu Tode gekommen waren. Dafür würde Sauron bezahlen! Mit lautem Krachen stürzte der kleinere der beiden Türme in sich zusammen, Funken stoben in die Luft wie rot glühende Sterne.
Der Anführer der kleinen Schar gab mit fester Stimme Befehle, doch in seinen Augen glänzten Tränen.
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Als düster der Morgen dämmerte, umhüllte Rauch die Stadt wie einen dichten Mantel, der den Rittern das Atmen schwer machte und unaufhörlich die Tränen in die Augen trieb. Sie hatten keine Überlebenden gefunden, weder in den Wäldern, die sich dicht im schattigen Tal erstreckten, noch in den nahen Bergen. Auch dem Feind waren sie nirgends begegnet, so dass die Ritter ihrem Rachedurst keine Erleichterung hatten verschaffen können.
Der Anführer der Dúnedain versammelte seine Mannen hinter sich und mit einem letzten Blick zurück auf die schwelenden Überreste eines ganzen Volkes wollte er niedergeschlagen den Heimweg antreten. Doch eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ ihn innehalten und noch einmal den Kopf wenden. Seine scharfen Augen suchten den Hang oberhalb der schwelenden Ruinen ab und tatsächlich, gewahrte er dort erneut etwas. Mit einem scharfen Ruf wurden Männer ausgeschickt, die Gegend zu sichern, während der Anführer selbst einen Weg suchte, zu dem im Dämmerlicht des Morgens kaum sichtbaren Höhleneingang zu gelangen.
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Acht Gefährten begleiteten den Mann, die Schwerter gezogen, wachsam, auf einen Hinterhalt gefasst. Das Bild jedoch, welches sich ihnen in der Höhle bot, ließ selbst die erfahrenen Krieger innehalten. Im Inneren des Berges, nur ein paar Schritte vom Höhleneingang entfernt, erstreckte sich ein großer, kreisrunder Saal. Die Wände waren glatt wie die Oberfläche eines Sees bei völliger Windstille, während in den Boden blaue Zeichnungen und Runen eingemeißelt worden waren. Doch dickes, klebriges Blut füllte nun die zierlichen Rinnen, ergoss sich in dunklen Pfützen unter den Leibern, die verdreht und zerstückelt auf dem steinernen Untergrund lagen. Ein knappes Dutzend Diener Saurons waren an diesem Ort zu Tode gekommen, aber auch zwei Seregemath lagen dort, wie der Anführer der Dúnedain mit einem Blick erfasste.
Neben der Leiche des Jungen sank der Krieger auf ein Knie und schloss mit zitternden Fingern die ins Leere stierenden grünen Augen. „Ruhet in Frieden, mein Prinz", flüsterte der Dúnadan, der in dem Toten den jüngsten Sohn Königin Kemyáves wiedererkannte. Vom Gram über sein eigenes Versagen, den Seregemath nicht rechtzeitig zur Hilfe gekommen zu sein, gebeugt, stand der Anführer der Dúnadan auf. Ein kurzer Wink signalisierte seinen stummen Geführten, den Prinzen hinaus zu tragen, wo man ihn seinem Titel entsprechend bestatten würde.
Dann wandte der Mann sich dem zweiten, noch weit kleineren Körper zu. Das vormals weiße Gewand war getränkt mit dem rötlichbraunen Blut der Seregemath und dem Schwarzen der Ausgeburten Mordors. Behutsam drehte der Dúnadan das Mädchen mit dem flammendroten Haar auf den Rücken und hob den kleinen Körper hoch, um ihn ebenfalls zu Grabe zu tragen. Doch plötzlich flatterten die Lider des Kindes. Bis ins Mark erschrocken, wäre ihm seine kostbare Last beinahe entglitten, nur die Reflexe des langen Kriegerdaseins bewahrten sie davor. Heiß brandete die Freude durch seine Adern und der Dúnadan drückte das Kind so fest an seine Brust, wie er es wagte ohne ihm Schaden zu zufügen.
„Die Prinzessin lebt!" Sein Flüstern war heiser vor freudiger Überraschung. Die Dúnedain hatten nicht vollends versagt, solange dieses eine Herz weiter schlug.
Die Krähe, welche den Blick des Dúnadan auf den Eingang der Höhle gelenkt hatte, flatterte auf und war mit wenigen Flügelschlägen im Rauch verschwunden.
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Laurelin, die letzte Seregemath oder auch die Prinzessin ohne Volk, wie man sie hinter vorgehaltener Hand nannte, wuchs von diesem Tage an bei den Dúnedain des Nordes auf. Deren Anführer behandelte sie wie eines seiner eigenen Kinder und nachdem Laurelin erwachsen geworden war, heiratete die junge Frau seinen Sohn und Erben. Doch die Ehe blieb kinderlos und während ihr Gemahl im hohen Alter verstarb, blieb die Gestalt der Seregemath von der Zeit unberührt. Voll tiefer Trauer über ihren Verlust verließ Laurelin den Stamm und verschwand, bis sie einige Jahre später an Elendils Seite in die Schlacht des Letzten Bündnisses zog.
Obwohl äußerlich vom Zahn der Zeit verschont, trug die Seregemath doch tiefe geistige Wunden davon, beinahe all ihre Kindheitsfreunde und deren Kinder und Kindeskinder zu überleben. Ob durch Schwert oder geistigen Verfall, eines Tages starb jeder einzelne von ihnen und Laurelin blieb allein zurück.
Zuerst flüchtete sich die Frau zu den Elben, doch kehrte dort nie das Gefühl der Heimat zu ihr zurück und so wandte sie sich nach einigen Jahrhunderten auch von diesen ab. Das einsame Leben auf Wanderschaft wurde ihr Schicksal, von Ort zu Ort zu ziehen, ohne jemals wieder einen Menschen in ihr Herz zu lassen. Denn Liebe bedeutete nichts weiter als Verlust für die Unsterbliche.
Mit der Zeit gerieten die Seregemath in Vergessenheit und wer überhaupt noch von ihnen wusste, hielt die alten Geschichten für Legenden und Ammenmärchen. Doch irgendwo wandelt die Prinzessin ohne Volk noch immer, verflucht niemals sterben zu können.
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Der schmale Grat zwischen Liebe und Schmerz (Herr der Ringe Fanfiction) ✔️
Fanfiction2997 Drittes Zeitalter: Unsterblichkeit ist für Laurelin kein Segen, sondern der seit drei Jahrtausenden auf ihr lastende Fluch. Zur Einsamkeit verdammt durchstreift die letzte Seregemath die Gefilde Mittelerdes, in denen es keine Heimat mehr für s...