Vorsichtig öffnete ich meine verklebten Augen. Mein Schädel brummte und ich spürte die Nachwirkungen des Alkohols. Orientierungslos starrte ich die mir gegenüberliegende Wand an. Im Dämmerlicht konnte ich nicht viel erkennen. Doch eins war mir schlagartig klar, ich war weder bei Bea noch bei mir. Erschrocken richtete ich mich auf und bereute es im nächsten Moment sofort wieder.
Ein stechender Schmerz schoss mir durch den Kopf und ich stöhnte auf. Ein Arm schoss an meine Stirn und ließ mich langsam sinken. Mein Magen rebellierte und mir war übel. Alles drehte sich um mir und in mir drin. Ich war kurz davor, mich übergeben zu müssen. Mehrere Minuten hielt ich die Augen geschlossen und blieb regungslos liegen. Jede weitere unnötige Bewegung würde mich nur näher an den Abgrund führen, also geduldete ich mich.
Während ich mich mit geschlossenen Augen auf mein Innerstes konzentrierte, lauschte ich auf die Umgebungsgeräusche. Ich konnte weder Autos, noch Wind, noch Tiere oder gar die Nachbarn hören. Es herrschte eine erdrückende Stille, die nur von der stickigen Luft getoppt wurde. Ich spitzte die Ohren und hielt den Atem an. Ganz leise konnte ich jemanden atmen hören.
Shit!
Schlagartig war ich hellwach und riss die Augen auf. Wer lag da neben mir? Ich wandte mein Gesicht der Person zu und blickte auf einen roten Haarschopf, der halb unter dem Kissen und halb unter der Decke vergraben war. Schlagartig prasselte alles auf mich ein.
Jona! Heiße Küsse. Innige Umarmungen. Verlangen. Lust. Alkohol. Jona sackt auf dem Boden zusammen. Ich bringe ihn nach Hause. Mehr Küsse, mehr Umarmungen. Nackte Haut. Erbrochenes. Wasser. Jona, der schläft. Enttäuschung. Schlaf.
Ich wand meinen Blick von dem schlafenden Jona ab und starrte die Decke an. Unmut baute sich in meiner Magengegend auf. Wir hatten es ein weiteres Mal geschafft, unsere Begegnung eskalieren zu lassen. Es fühlte sich für mich an, als wären wir Feuer und Wasser und bei jedem unser Zusammentreffen würden wir eine starke geysirartige Explosion verursachen. Ich war Feuer, hitzig, unkontrollierbar und voller Wärme. Er war Wasser, ruhig, besonnen und zugleich gefährlich. Aber wie lautete das Sprichwort? Gegensätze ziehen sich an.
Meine Gedanken schweiften ab und ich warf panisch einen Blick auf meine Armbanduhr, die ich merkwürdigerweise zum Schlafen nicht abgelegt hatte. Halb eins. Verflixt, Casimir ist jetzt seit gestern Abend allein.
Skeptisch sah ich Jona von der Seite an und hob dabei leicht meinen Oberkörper. Das Bett unter mir wackelte und die Bettwäsche raschelte. Doch nichts davon schien den Schlaf von Jona stören zu können. Seine Gesichtszüge waren völlig entspannt und er atmete ruhig ein und aus. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Er sah so friedlich aus. Ich hatte ihm die ganze Nacht beim Schlafen beobachten können, doch ich musste nach Hause.
Es kostete mich meinen gesamten Mut, um ihn leicht an der Schulter zu berühren.
»Jona?«, flüsterte ich. Doch es kam kaum ein Laut aus meinem Mund. Erst jetzt bemerkte ich, wie trocken mein Hals war und wie stark mir der Durst in der Kehle brannte. Ich räusperte mich einmal und sprach ihn erneut an. Doch noch immer reagierte er nicht.
Einmal rüttelte ich ihn sanft an der Schulter. Immer noch keine Reaktion. Missmutig verzog ich das Gesicht. Sollte ich jetzt, ohne etwas zu sagen, einfach gehen? Jede Faser meines Körpers schrie mir zu, dass es falsch wäre. Er war kein billiger One-Night-Stand, bei dem man sich am nächsten Morgen für die vergangene Nacht schämte. Es war Jona und ich empfand etwas für ihn. Zurzeit war es mit der Knospe einer Blume zu vergleichen. Zart, verletzlich, versteckt und voller Geheimnisse. Ein plötzliches Verschwinden meinerseits könnte der Blüte die Wurzel aus der Erde reißen und damit jede Chance eines Aufblühens der Beziehung zunichtemachen.
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Gegen Liebe gibt es keine Medizin Band 1
RomanceWATTY AWARD WINNER 2021 »Flirten war wie Fahrradfahren: Einmal gelernt, musste man nur die Kette gut ölen und sich wieder auf den Sattel schwingen.« Die junge Krankenschwester Nicky hat ihr Leben voll im Griff. Als Ausgleich zu ihrem stressigen Beru...