49 Tage vorher.

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Tell me a story into that goodnight.

Ben ist gestern kurz bevor meine Familie zurückkam wieder gegangen. Meine Mutter mag ihn nicht. Er weiß es. Sie zeigt es. Schon wieder eine Sache, die ich an ihr nicht mag. Sie zeigt immer ihre Gefühle, egal, ob sie jemanden danit verletzt. Hauptsache jeder weiß, wie sie denkt und fühlt. Dann musste ich mir alle Einzelheiten des Theaterstückes anhören. Wie toll es doch war. Jana war natürlich die Beste von allen. John war schon ungeduldig. Er war müde. Erst eine Stunde später konnte ich ihn ins Bett bringen. Er will immer noch, dass ich ihm eine Geschichte erzähle, damit er einschlafen kann. Dann lese ich ihm meine selbst geschriebenen Sachen vor. Ja, ich schreibe. Mein Traum ist es, wenn man irgendwann von mir spricht, mein Name gehört zu dem Grundwissen, mein Buch ist ein Bestseller und ich nerve Kinder in der Schule mit meinem Buch. John ist sozusagen der Vortester. Als ich ihm das sagte, schaute er mich stolz an und grinste. "Der Vortester von einem Buch.", plapperte er nach. Ich nickte. Manche Leute sagen ich hätte eine Engelsgeduld.

Ich werde wie immer von John geweckt. Er rüttelt an mir. Ich blinzle vorsichtig. Über mir schwebt sein grinsendes Gesicht. Ich spiele unser morgendliches Spiel. Ich schließe die Augen wieder und rühre mich nicht. Ich atme ganz ruhig. John fängt an auf dem Bett rumzuhüpfen und quietscht leise. Er weiß, dass er leise sein muss, sonst weckt er die anderen. Und das gäbe Ärger. Mittlerweile sitzt er auf meinem Bauch. Ich schnelle lachend nach oben und kitzle ihn durch. John schreit kurz auf und springt wieder auf den Boden. "Jonah, du bist endlich wach!", sagt er erfreut und hockt sich auf den Boden. "Gehen wir heute in den Zoo?" Ich seufze auf und lehne mich an die Wand. "Ich weiß es nicht, John.", antworte ich. "Du musst gleich Mum oder Dad fragen." Er nickt eifrig und fragt mich nicht weiter. Jeden Morgen die gleiche Frage. Er will in den Zoo. Die Schlangen sehen. Er liebt Schlangen. Er lacht, wenn sie sich schlängeln, wärend ich mich eher vor ihnen ekel. Ich habe ihm schon mehrmals vorgeschlagen mit mir zu gehen, aber er will mit allen gehen. Mit Mum, Dad und Jana auch. Aber die haben keine Lust oder etwas wichtiges vor, wenn man sie darauf anspricht. Wenigstens das könnten sie für ihren Sohn machen. Ist doch nichts Großes.

Ich rapple mich auf und steige aus dem Bett. "Also gut, dann ziehen wir uns mal an.", sage ich. John steht auf. Er würde am Liebsten den ganzen Tag im Schlafanzug rumlaufen. Für mich wär das kein Problem, aber meine Mutter würde durchdrehen. Wir schleichen in Johns Zimmer, es ist direkt rechts von meinem. Links von meinem Zimmer ist das von Jana. An jeder Zimmertür hängt ein J. Wir fangen alle mit J an. John, Jonah, Jana. Spißiger geht es kaum. Jana hat ein typisches Mädchenzimmer, so wie man es sich vorstellt. Es ist ordentlich, an den Wänden hängen Poster und Plakate von ihren Auftritten und von irgendwelchen Boygroups. Auch ein paar Zeichnungen von ihr hängen über ihrem Bett. Sie kann echt alles. Manchmal bin ich eifersüchtig auf sie. Sie kann alles, hat alles und Mum und Dad lieben sie über alles. Ich war immer das schwarze Schaf. Ich musste einmal eine Klasse wiederholen, ich bin in so ziemlich allem unbegabt und habe immer John am Hals. Aber John nervt mich nicht. Natürlich schon manchmal. Es ist anstrengend, wenn man kaum mal seine Ruhe hat. Johns Zimmer ist kaum dekoriert. Nur ein paar Bilder von Schlangen und anderen Tieren hängen an der Wand. Auch sein Zimmer ist nicht unbedingt das ordentlichste, aber das macht nichts. Ich komme auch in seinem Chaos zurecht. Ich ziehe aus dem einen Kleiderstapel eine Hose heraus und hole dann ein Oberteil aus der obersten Schublade in dem Kleiderschrank rechts von der Tür. Ich lege es ihm hin und lasse ihn dann alleine. Umziehen soll er sich selbst. Noch bis vor einem Jahr musste ich ihm dabei helfen. Das kann er jetzt selbst.

Ich tapse barfuß zurück in mein Zimmer und ziehe mich ebenfalls um. Dann gehe ich wieder zu John rüber. Er ist fertig. Er kämpft nur noch mit dem einen Ärmel. "Jonah!", ruft er mit leiser Panik in der Stimme. Ich helfe ihm und dann grinst er wieder. Wir schleichen uns nach unten in die Küche. Ich schaue auf die Uhr. Die Sonne steht im Dunst des Morgens. Es ist erst halb acht Uhr. Sogar für Johns Verhältnisse ist das früh. Ich mache mich daran, das Frühstück vorzubereiten. John deckt schon den Tisch. Ein lautes Klirren. John jault auf. Ich lasse alles liegen und laufe ins Wohnzimmer. John steht neben dem halb gedeckten Esstisch, die Augen auf dem Boden und rauft sich die Haare. Eine einzelne Träne läuft ihm über die Wange. Das Gesicht hat er verzogen. Er hat einen teller fallen gelassen. Ich lege einen Arm um ihn. "Nicht schlimm, John.", sage ich und schaue auf die Scherben die auf dem Boden verteilt liegen. Er schaut mich an. "Die waren eh hässlich.", meine ich und er lächelt leicht. Er fährt sich mit dem Ärmel übers Gesicht und ich hole einen Kehrbesen. 

Nach dem Frühstück setze ich mich an meine Arbeit. Ich muss noch was für die Schule machen. John sitzt neben mir auf dem Sofa und spielt irgendetwas mit zwei Kuscheltieren. Dabei murmelt er die ganze Zeit vor sich hin. Um zehn kommen unsere Eltern rein. Beide sind noch im Schlafanzug und ich sehe, wie John ein bisschen beleidigt die Vorderlippe vorschiebt. Ich wuschel ihm durch seine sowieso schon in alle Rischtungen abstehenden Haare und wünsche Mum und Dad einen guten Morgen. Sie murmeln etwas zurück und mache sich träge ans Essen. John springt direkt auf und hopst zu ihnen an den Tisch. "Gehen wir heute in den Zoo, Mum?", fragt er aufgeregt. Sie schaut ihn genervt an. "Nein.", sagt sie kalt. Ich verdrehe die Augen. Wieso kann sie ihm das nicht mal schonender beibringen? Er schaut traurig auf seine Hände. Kurz herrscht Stille, dann schaut er wieder auf und fragt: "Und morgen?" Meine Mutter schaut ihn wütend an. "Nein." Er verzieht das Gesicht. Gleich wird er wieder weinen. Ich bin wütend. Ich stehe auf und ziehe John zu mir. Ich koche über. "Wieso nicht? Wieso könnt ihr nicht einmal etwas für ihn tun, etwas, dass ich glücklich macht? Das muss euch doch möglich sein! Nur einmal in den Zoo! Andere Eltern gehen jede Woche in den Zoo mit ihren Kindern! Wie kann das sein?!", schreie ich sie an. Schon seit Wochen ist es Johns größter Wunsch. Und das ist doch eine Kleinigkeit. Mum hat ihere Augen geschlossen und ist angespannt. Dad hat Panik in den Augen. Er schaut sie an, dann wieder mich, dann John, dann wieder Mum. Er sagt nichts, nimmt nur Mum in den Arm. Ich stoße laut Luft aus. Das musst raus. Wie kann das so schwer sein? John schaut mich mit großen Augen an. Verständnislos und ängstlich. Er hat nicht verstanden, warum ich auf einmal so losgeschrien habe. Ich lächle ich gequält an und lasse ihn los.

Jana kommt verschlafen rein. "Was ist denn hier los?", fragt sie. Die hat mir gerade noch gefehlt. Unsere Familie hat echt eine Macke. Sie schaut Mum an und Dad, der sie immer noch im Arm hält. Dann huscht ihr Blick zu mir und sie schaut mich strafend an. Ich bin schuld. Wie immer. ich fahre mir durch die Haare. "Musste das sein, Jonah?", fragt sie mich wütend. Sie will Streit. Aber dazu habe ich keinen Nerv. "Ich gehe jetzt.", sage ich. Mum reißt ihre Augen auf. "Nimmst du John mit?", fragt sie. Ich balle die Fäuste zusammen und verkneife mir eine provozierende Antwort und nicke einfach nur. John folgt mir in den Flur. Er ist imer noch verwirrt über die Situation eben und in seinem Kopf rattert es. Ich lasse ihn weiter nachdenken und gebe ihm seine Jacke und Schuhe. Ich selbst ziehe mich auch an. Ich muss John seine Schuhe binden und ihm nocheinmal bei der Jacke helfen den Ärmel zu finden. Ich schlage die Haustür hinter mir zu und steige in das Auto. Ich nehme den Geländewagen meines Vaters. John steigt auf der Beifahrerseite ein. Er weiß, wo es hingeht. In den Wald. Er ist gar nicht weit weg von hier und ich liebe es dort. Er ist mein Rückzugsort. John findet dort auch immer etwas, womit er sich beschäftigen kann. Also habe ich meistens meine Ruhe. Oft laufe ich einfach. Sauge die frische Waldluft in mich ein, mache meinen Kopf frei. Dort ist es auch, wo ich meine Geschichte schreibe. Mein Buch. Hier habe ich die besten Ideen. Ich rase los. Ich sehe noch das Gesicht meiner Schwester an dem Küchenfenster, wie sie uns nachschaut.

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