Gemeinsam

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Langsam geht der Mann voran.

Sein Gesicht wirkt jung, nahezu kindlich, doch seine Bewegungen sind schwer und schleppend, wie die eines alten Mannes. Jeder Schritt ist eine Überwindung, jeder Atemzug, ein Kampf.

Trotzdem geht er weiter und lässt die Landschaft an sich vorbeiziehen. Trotzdem verlangsamt er seine, ohnehin schon schwerfälligen Schritte kein bisschen. Denn der Funken der Entschlossenheit in seinem Inneren glüht und solange er nicht vollkommen erlischt, gibt der Mann nicht auf.

Er kämpft sich durch kalte Eiswüsten und spürt wie ihm die Kälte in die Glieder kriecht und seinen Atem in der Luft gefrieren lässt. Wie eine kalte Umarmung umschließt ihn der Frost und ihm bleibt nichts anderes übrig, als einfach weiterzustapfen.

Mit geschlossenen Augen und gebeugter Haltung kämpft er sich durch den Sturm und lässt die gefrorenen Wassermassen, in Form von Schneeflocken auf sich einpeitschen.

Der Wind reißt ihm die Kapuze vom Gesicht und trägt seine wärmenden Handschuhe davon, hinein in die stetig weiße Landschaft. Doch immer noch, lässt er sich nicht stoppen. Immer noch gibt er seine Suche nicht auf.

Die Suche nach wärmenden, freundlichen Händen, die die seinen umschließen werden. Die Suche nach starken, schützenden Armen, die ihm umschlingen werden. Die Suche nach flinken, kräftigen Beinen, die ihn verteidigen werden. Die Suche nach gütigen, liebevollen Augen, die ihm Mut geben werden. Und die Suche nach weichen, zarten Lippen, die ihn mit ihrem Lächeln aufmuntern werden.

Für diesen Wunsch nimmt er alle Schmerzen auf sich und macht selbst vor dem schlimmsten Schneesturm nicht halt. Seine Seele ist durchströmt von Hoffnung und Entschlossenheit, doch trotzdem schwinden seine Kräfte.

Er ist alleine.

Niemand hilft ihm, als er stürzt und niemand reicht ihm die Hand, um ihn wieder auf die Beine zu ziehen.

Zusammen mit seiner körperlichen Stärke, scheint auch die Geistige zu schwinden und es bleibt kaum mehr, als ein verglühendes Feuer in seinem Inneren übrig.

Das Feuer in seinem Herzen ist beinahe erloschen und hinterlässt nur noch eine kälter werdende Glut. Eiskristalle scheinen sich um sein Herz herum zu bilden und eine seltsame Taubheit umgibt seinen Körper und sein Inneres. Seine Gedanken scheinen plötzlich, wie in Watte gepackt zu sein.

Doch es ist ein angenehmes Gefühl. Es lässt ihn alle Schmerzen vergessen und lullt ihn in einen tiefen Schlaf des Vergessens ein, der ewig dauern kann.

Tiefe Schwärze umhüllt ihn, lässt die Kälte und die Schmerzen verschwinden und bringt ihn an einen fremden Ort. Einen Ort ohne Sorgen und ohne Verletzungen.

Die Schwärze hüllt den Mann ein, in ihre Umarmung, die sich nicht abschütteln lässt und ihn seine Suche vergessen lässt. Er lässt sich fallen und von den schwarzen Schwingen des Schlafes davontragen.

Er vergisst seinen Kampf und treibt in der ewigen Schwärze. Zusammen mit seinem Kampf, verschwinden auch die Schmerzen und es existieren, nur noch die Ruhe und die Dunkelheit, die alles andere vertreiben.

Doch plötzlich durchbricht ein Lichtstrahl die Finsternis und mit dem Licht kehren auch die Schmerzen wieder zurück. Sie scheinen auf den Mann einzustechen, wie spitze Speere, die ihre Widerhaken in sein Fleisch bohren.

Doch sie erzielen die richtige Wirkung. Der Mann erwacht aus seinem tiefen Schlaf und nimmt seinen Kampf wieder auf.

Er nimmt wahr, wie warme Hände seine kalten und klammen Finger umfassen und wie sich kräftige Arme um ihn schlingen und ihn in die Luft heben.

Warmer Atem streift seine Nasenspitze und er schafft es mit Mühe, seine Augen zu öffnen, deren Wimpern mit kleinen Eiskristallen überzogen sind. Daraufhin blickt er geradewegs in dunkle, freundliche Augen, die ihn liebevoll anstrahlen. Unterhalb der Nase seines Retters bilden seine von der Kälte geröteten Lippen ein zartes, aufmunterndes Lächeln.

Nun muss er nicht mehr kämpfen, denn er hat gefunden, wonach er suchte.

Während er von den starken, schützenden Armen gehalten wird und sich tragen lassen kann, weiß er, dass er gewonnen hat. Denn nun ist er nicht alleine. Nun können die beiden sich fremden Menschen, ihren Kampf bewältigen. Gemeinsam.

ANMERKUNG DES AUTORS

- geschrieben von clari13955

Das hier ist dann wohl der letzte Beitrag hier, von meiner Seite aus. Ich hoffe die Kurzgeschichte gefällt euch und ich hoffe natürlich auch, dass sich dieses Buch in Zukunft mit vielen schönen Kurzgeschichten füllen wird.

LG
Clari

Kurzgeschichten von verschiedenen AutorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt