Die Wolke, die sich durch seinen heißen Atem in der eisigen Winterluft gebildet hat, steigt langsam zum grauen Himmel auf, um sich dann aufzulösen und Eins mit den dichten Wolken zu werden.
Milo beeilt sich, damit er noch vor der alles verschlingenden Dunkelheit an dem imposanten Gebäude ankommt. Seit seinem ersten Tag hat er es gehasst, dieses Haus, von dessen Fassade steinerne Augen der Engelsskulpturen auf dich hinunter starren und unermüdlich bewachen zu scheinen, die Lider nie geschlossen.
Doch heute hat er keine Zeit, flüchtig an der Häuserwand herauf zu blicken, mit dem Wunsch, die Engel seien verschwunden, trotz des Wissens, dass sie niemals aufhören werden, das Regierungsgebäude zu bewachen.
Er eilt durch den blanken Flur, auf dessen spiegelglatter Fläche Milo sein verschwommenes Spiegelbild wahrnimmt, während er sich bewusst wird, wie ausgemergelt er aussieht. Seit Oktober hat er keine Woche verbracht, ohne von einem wichtigen Staatsmann zum nächsten, unglaublich dringenden sowie selbstverständlich unaufschiebbaren Termin zu reisen, und momentan ist er zu allem Überfluss auch noch für drei arme, einsame und für ihn gerade vor allem anstrengende Menschen zuständig. Doch seinen ständigen Verdruss, der ihm nicht von der Seite weichen will wie ein anhänglicher, nach Fressen bettelnder Straßenhund, darf er ihnen niemals zeigen. Sein erschöpftes Inneres ist nur ihm vorbehalten, vor Fremden versteckt es sich in den dunkelsten Nischen seiner selbst.
Hinter sich hört Milo schnelle Schritte, sobald er sich umdreht erblickt er das bestimmte, wie immer unergründliche Gesicht von Mr. Burton. Die letzten Monate hat er es unzählbar viele Male angeschaut und jedes einzige Mal ist ihm ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Doch Milo weiß selbst nicht, warum der Mann, er schätzt ihn auf Mitte vierzig, ihm eine solch unbegreifbare Angst einjagt. "Darf ich Sie bitten, mir zu Folgen?", hallt seine tiefe Stimme durch das prunkvolle Eingangsportal. "Natürlich, Sir.", antwortet Milo hastig. Seine Worte verklingen nach einem Moment, indem sie unbeantwortet in der Luft, zwischen den beiden Männern in der verlassenen Halle standen, fast traurig, nach dem Aussprechen der Laute nun für immer verbraucht zu sein.
Milo findet sich in einem leeren Saal, welcher ebenso prachtvoll wie der Rest des Bauwerkes gestaltet ist, wieder. Auf den kühlen Steinplatten der Tische scheitern eine zarte Porzellanschüssel mit Keksen, Nuss, vermutet er, und ein Rosenstrauß, dessen orange und rote Blüten in einer ovalen Glasvase deponiert sind, daran, den Raum etwas gemütlicher erscheinen zu lassen.
Obwohl er damit gerechnet hat, zuckt Milo unmerklich zusammen, als hinter ihm die Worte "Willkommen bei uns." ruhig und bestimmt ausgesprochen werden. "Ich danke Ihnen für ihre Einladung. Was ist der Grund dieser Zusammenkunft?" Er hasst diese aufgesetzte Freundlichkeit, die umständlich die Härte der eigentlichen Worte verstecken zu versucht, den Hass in den Sätzen verschleiert, damit du dich im Nebel verirrst und dort deinen eigenen Willen vergisst. Ja, das ist das Ziel dieser Höflichkeit. Dir klar zu machen, dass deine bescheidene Meinung bei solch wichtigen Themen keine Rolle spielt, sondern du von Forderungen und Gesetzen überrollt wirst, wenn du sie nicht nur dir, keinem anderen, vorbehältst.
"Ich denke, ich muss ihnen nicht mitteilen, dass Ihnen die Zeit davon läuft. In den letzten vierzehn Tagen ist es allein in London zu siebenundzwanzig Todesfällen auf ihr Verschulden gekommen, Mr.Locklear. Sie besitzen eine Verantwortung, die sie nicht abschütteln können.".
Der Minister schüttelt eindringlich den Kopf, als bedaure er die Toten und durchdringt Milo mit seinem kalten Blick. Milo hätte alles darauf gewettet, dass er dieses Mienenspiel vor dem Spiegel geübt hatte, um seinen Aussagen eine gewisse Dramaturgie zu verleihen. In seinen Augen sieht es einfach nur lächerlich aus, wie Mr.Haddock dort sitzt, mit geneigtem Kopf, falsches Mitgefühl vorgaukelnd.
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Lügenmantel
Ciencia Ficción2115. Das düstere Leben auf der Erde wird immer trauriger, herzloser, einsamer. Der Kontrolle des Staates ist kein Entkommen möglich, die Bürger sind gefangen im eisernen Griff der Reichen und Mächtigen. So auch Milo. Er ist das Instrument der Regie...