Bergung

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Die blechernen Sirenen, die das Eintreffen der Feuerwehr verkündeten, verstummten. Kurz darauf erkannte Phil das Einsatzfahrzeug seiner Feuerwehrkollegen durch die stehenden Fahrzeuge.
Das Einsatzteam um Emil Riever verließ das Fahrzeug und wurde von den Polizisten in Empfang genommen, die ihn direkt zu ihm schickten.
„Hey Phil, was hast du für uns?“ wollte Emil wissen und grüßte die Rettungsdienstler. „Unser Patient ist eingeklemmt, wir kriegen ihn eigenständig hier nicht raus und brauchen eure Hilfe“ erklärte Phil und deutete in den Fußraum der Fahrerseite. Dabei fiel ihm das Handy ins Auge, welches in dem Moment begann zu klingeln. „Polizei? Kommt ihr bitte mal kurz?“ Rief er Dirk zu, der sich gerade wieder umgewandt hatte. „Wat gibbet?“ fragte er, als Phil ihm das Handy entgegen hielt. „Das lag hier im Fußraum.“ - „Auf der Fahrerseite?“ Dirk nahm das Handy und begutachtete es. Gesplittertes Display, gut, war auch kein Wunder. Sonst schien es intakt zu sein, wenn man dem Anruf glauben durfte den es gerade empfing. Dirk zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete es. „Hat vielleicht was mit dem Unfall zu tun. Unfallursache, oder so was. Im Fußraum des Fahrers hat es jedenfalls nichts zu suchen“ gab Phil zu bedenken und der Polizist nickte. „Da könntest du recht haben. Ich nehm das mal mit. Mensch da hat aber einer Ausdauer“ bewunderte er den Anrufer, der mit unterdrückter Nummer gewählt hatte und seit fast einer Minute klingeln ließ. Er war zu seinem Kollegen verschwunden, als Emil gerade mit seinem Team die Bergung des Mannes besprach.

Omar und Michael hatten zwischenzeitlich das KED System angebracht und versuchten mit Bens Hilfe, den verletzten Fahrer zu bergen. „Gut so, noch ein kleines Stück zu mir“ wies Debbie die Drehung an. „Ist alles in Ordnung bei Ihnen? Neue Schmerzen?“ René wollte den Kopf schütteln, wurde sich dann aber wieder seiner Immobilität bewusst. „Nein, alles okay“ gab er zurück. „Sie geben mir bitte sofort bescheid René, ja?“ - „Okay.“
Neben dem Fahrzeug stand bereits die Trage bereit, neben der nervös Jana wartete. „Kann da was schief gehen?“ fragte sie aufgelöst den Sanitäter neben sich, der sie zurückhielt. Franco hatte einen Arm um sie gelegt und rieb ihr aufmunternd über den Oberarm. „Meine Kollegen sind Profis, die machen das schon. Da passiert nichts, das versprech ich dir.“ - „Ganz sicher?“ wollte sie unsicher wissen, und Franco nickte nur. „Ganz sicher. Siehst du, er ist gleich draußen und dann fahren wir ihn in unseren Rettungswagen“ beruhigte er sie weiter. Unter Debbies Anweisung war der junge Mann nun sicher auf der Trage und wurde gerade angeschnallt, als Franco seine Freundin zu ihm ließ. Jana griff nach seiner Hand und schluchzte kurz auf. „Es tut mit so leid, Schatz. Ich hätte gleich auf dich hören sollen“ gab sie zu Bedenken, und Debbie sah sie fragend an. „Was meinen Sie damit, Jana?“ Die junge Frau sah auf. „Er wollte nicht fahren. Und ich hab ihn dazu überredet. Und dann kam dieses Wetter dazu, aber ich hab mich nur lustig gemacht über ihn“ rasselte sie viel zu schnell herunter, doch René drückte ihre Hand und forderte ihre Aufmerksamkeit. „Süße, mach dich bitte nicht verrückt. Ich will nicht das du hier liegen musst. Lass das alles so, wie es jetzt ist.“ - „Da hat er nicht so unrecht, wenn ich das richtig mitbekommen habe, hätten Sie auch hier liegen können. Vielleicht mit schlimmeren Verletzungen. Und vielleicht nicht hier, aber weiter vorn im Streckenverlauf. Machen Sie sich keine Vorwürfe, Kindchen.“ Sie legte Jana eine Hand auf die Schulter und lächelte. „Wir haben eine sehr gute Prognose für Sie beide. Jetzt darüber nachzudenken, was wäre wenn, das bringt sowieso nichts außer Kopfschmerzen. Davon dürften Sie beide die nächsten Tage noch genug haben schätze ich.“ Jana musste kurz auflachen. Während des Gespräches hatte ihr Team bereits den RTW erreicht und die Trage des Patienten befestigt.

„Okay Jungs, also schneiden wir ihn mit der Hydraulikschere raus. Das macht den wenigsten Dreck und geht am Effektivsten“ wies Emil seine Kammeraden an. „Phil, wie geht es dem Patienten? Ist er soweit noch stabil genug?“ „Klar, legt los. Je eher der hier raus ist, umso besser für ihn“ nickte er dem Team zu. Der Patient wurde samt dem Notarzt mit einem Tuch abgedeckt, um eventuell herumfliegende Splitter nicht abzubekommen. Dann machte sich das Team der Feuerwehr ans Werk. Emil machte dabei eine beunruhigende Entdeckung. Er wand sich an den Polizisten, der gerade neben ihn getreten war. „Alles okay bei euch?“ deutete Shayan auf die arbeitenden Jungs. „Ja, wir haben ihn gleich raus“ bestätigte der Einsatzleiter. „Ich hab aber gerade gesehen, dass hier was ausläuft.“ Er hockte sich vor den demolierten Wagen und sah darunter. „Der Boden sieht nicht besser aus als der Rest des Fahrzeugs“ gab er zu bedenken. „Das sieht mir aber von der Farbe und Konsistenz her aus wie Getriebeöl. Zumindest welches, das schon lange mal hätte gewechselt werden müssen.“ Shayan nickte. „Meinst du der Tank ist durch den Überschlag gerissen?“ - „Denkbar ist es“ bestätigte der Feuerwehrmann nachdenklich und erhob sich. „So wie der Wagen aussieht wundert es mich eher, dass der Fahrer noch lebt.“

Dirk hatte sich Notizen zu allen Aussagen gemacht und ging sie noch einmal durch. Das war soweit alles stimmig. Aber der Notarzt sagte etwas von unnatürlichen Pupillenreaktionen und das ließ ja auch nur einen Schluss zu. Er sah zu dem demolierten Pickup und überlegte. Der Wagen war in Schlangenlinien gefahren. Der Fahrer war also abgelenkt, oder stand unter einem Einfluss von irgendwas. Dann hatte er den Kleinwagen gerammt und abgedrängt, bevor er sich selbst überschlug. Ein Mann mittleren Alters kam plötzlich aus der Masse der stehenden PKW auf die Unfallstelle zu und Er kam ihm entgegen. „Hey, hey, hey, wo wollen Sie denn hin junger Mann?“ hielt er den Passanten auf. „Eigentlich zu Ihnen, wo ich sie hier gerade stehen sehe. Ich wollte Ihnen was zeigen, ich hab den Unfall aufgenommen.“ Dirk stutzte. „Sie haben den Unfall aufgenommen? Mit dem Handy, oder wie darf ich das verstehen?“ Der Mann schüttelte nur den Kopf und deutete zu einem Fahrzeug in zweiter Reihe. „Nein, ich hab ne Dashcam. Die läuft während der Fahrt immer.“ - „Ach so? Warten Sie mal kurz“ deutete er dem Zeugen an und rief seinen Kollegen zu sich. „Shayan, der Zeuge hier meint er hat den Unfall aufgezeichnet.“ Aufgrund des verwunderten Gesichtsausdruckes seines Kollegen fuhr er direkt fort. „Nicht mit dem Handy, er hat ne Dashcam. Die hat das wohl alles aufgezeichnet.“ - „Genau, ich kann Ihnen das Band zeigen“ deutete der Mann zurück zu seinem Auto. Shayan überlegte kurz und nickte. „Zeigen Sie uns mal die Aufnahme. Haben sie eine Möglichkeit, die separat abzuspeichern damit wir sie mitnehmen können?“ - „Ja klar, das geht. Die wird in meiner Cloud zwischengespeichert und ich muss sie manuell löschen. Aus der Cloud kann ich Ihnen die auch rausziehen und abspeichern.“ - „Ich kümmer mich drum“ nickte Shayan seinem Kollegen zu und verschwand mit dem Zeugen zu seinem Auto.

Die Bergung des Mannes hatte sich als nicht so schwierig herausgestellt. Er konnte bereits auf eine Trage gepackt und weiter versorgt werden. Zu Phils Erleichterung waren die Verletzungen nicht so schlimm, wie er sie sich ausgemalt hatte. Das eingeklemmte Bein war gebrochen. Keine wichtigen Arterien waren verletzt, und die weiteren Verletzungen hatten nun Priorität. „Okay, fertig. Und jetzt in den RTW, damit der so schnell wei möglich in den RTW kommt“ trieb Phil seine Leute an. Er hatte zur weiteren Versorgung Franco herangezogen, der für seine ursprüngliche Patientin nicht mehr benötigt wurde. Ihr ging es soweit gut, lediglich die äußeren Verletzungen zeigten, dass sie als Unfallopfer hier beteiligt war. Sie verließ die Seite ihres Partners nicht mehr und Ben passte auf sie mit auf. Die Kollegen der Feuerwehr hatten die Splitter teilweise aus dem Weg geräumt und brachten die Hydraulikschere zum Einsatzfahrzeug zurück.
Im RTW erhielt Phil weider Besuch des Polizisten, der sich nach dem Gesundheitszustand seines Patienten erkundigte. „Er ist immer noch nicht ansprechbar und reagiert auch nicht auf die Schmerzreize. Was mich aber wundert sind nach wie vor seine Pupillen. Die haben sich null verändert und sind immer noch so. Ich tippe hier fast auf irgendeinen Intox. Kann dir aber nichts genaues sagen“ warf er nach, als er Dirks fragenden Blick sah. „Also können wir aber davon ausgehen, dass er sich irgendwas eingeworfen hat vor der Fahrt. Weil nach Alkohol riecht der ja nicht, ne?“ Phil schüttelte den Kopf. „Alkohol nicht, nein. Das hätte ich gerochen, ich war die ganze Zeit bei ihm. Im Auto war auch nichts zu sehen. Ich weiß halt nicht, ob er im Auto noch irgendwas hat. Tablettenblister oder sowas, von dem Zeug was er genommen hat.“ - „Ja gut, das kriegen wir ja raus. Ich geh gleich rüber und nehm den Wagen noch mal links. Wenn da was ist kann ich dir bescheid geben.“ - „Das wär gut, damit wir wissen mit was wir es zu tun haben. Der ist zwar stabil, aber ich weiß nicht wie lange.“ Franco fluchte in dem Moment. „Mist. Ich muss noch mal kurz rüber, die Ampullentasche liegt noch drüben.“ Dirk lachte kurz. „Dann haben wir ja den selben Weg.“

Emil hatte seine Jungs mit dem Bindemittel bereits zurück zum verunglückten Kleinwagen geschickt. Die Notärztin hatte bemerkt, dass aus diesem ebenfalls eine Flüssigkeit auslief, allerdings handelte es sich dabei um das Benzin. Er wollte nun seinerseits einen Sack des Bindemittels holen und sich um die Öllache unter dem Pickup kümmern.

Shayan erhielt eine mehr als beunruhigende Funknachricht von Arnold. Er ließ augenblicklich den Augenzeugen samt der Aufzeichnung stehen und eilte zurück zur Unfallstelle. Mit hektischem Winken und Rufen versuchte er die Jungs am Unfallwagen auf sich aufmerksam zu machen, doch nur Dirk sah ihn verwundert an. Dann ging alles zu schnell, um zu verstehen was passierte.

Neben dem schwarzen Wagen versuchte Dirk mit Francos Hilfe eine Packung Medikamente zu entziffern, als dessen Kollege Manfred Klein gerade auf sie zu kam. Dirk sah aus dem Augenwinkel seinen Kollegen Shayan hektisch winken, dann erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit, und aus Reflex stieß er den neben ihm stehenden Sanitäter zur Seite. Franco landete direkt in Manfreds Armen, der ihn gerade noch vor einem Sturz bewahren konnte. Eher sich einer der beiden aber wundern konnte über die Aktin des Polizisten, waren nur noch laut quietschende Reifen und splitterndes Glas und Metall direkt hinter ihnen zu hören.

Fataler UnfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt