Kapitel 1 - Der Ausritt

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Kapitel 1

Der Tag, der ihr Leben verändern sollte, begann für Comadreja so, wie jeder andere Tag auch. Sie wurde durch das ruckartige Aufreißen der Gardinen, die vor den Fenstern hingen, geweckt. Ihr riesiges Himmelbett, von Decken und Kissen gesäumt, war zerwühlt, die aufwachende Person in den Tiefen aus Stoff und Federn versunken. Die hochgewachsene Frau, gertenschlank mit blonden Haaren, wie der Sonnenschein, welche die Vorhänge aufgerissen hatte, ging auf das Bett der Königstocher zu.

Diese kannte ihre Zofe schon ihr ganzes Leben lang, obwohl diese nur wenige Jahre älter war, als sie und wurde von ihr nun endgültig aus dem Schlaf gerissen: "Ihr müsst aufstehen, Prinzessin Comadreja! Die Sonne steht schon hoch am Himmel!"Comadreja nuschelte etwas Unverständliches in ihre Kissen hinein, gab jedoch sonst kein weiteres Lebenszeichen von sich. "Was sagtet Ihr, Eure Hoheit?", fragte die Zofe höflich nach, die geduldig neben dem Bett stand.

Genervt erhob sich die kleine Gestalt aus dem Schlund des Bettes, dessen Zähne aus Kissen sie nicht gehen lassen wollten und widerholte: "Du sollst mich nicht Prinzessin nennen, Sonja! Wie oft muss ich dir das noch sagen?" Sonja verneigte sich schnell und bat vielmals um Verzeihung. Schwungvoll erhob sich die Königstochter aus dem Bett und ließ sich von ihrer Zofe ankleiden und frisieren. "Du wirst mich sowieso niemals nur Comadreja nennen, nicht wahr?", fragte die braunhaarige Prinzessin niedergeschlagen und schloss frustriert die gleichfarbigen Augen.

"Nein, Mylady. Es ist eine Beleidigung Euch nicht gebührend anzusprechen", antwortete Sonja lächelnd. Dieses Schauspiel ereignete sich jeden Morgen aufs Neue und verband die beiden Frauen enger, als sie sich träumen lassen konnten. "Als Prinzessin steht Euch diese formale Respekterweisung zu, Mylady", ergänzte die Zofe noch, bevor Comadreja schließlich der Geduldsfaden riss: "Ach zum Teufel mit der Prinzessin! Schlimm genug, dass ich als Mädchen geboren bin, aber dann muss ich mich auch noch durch meine Prinzessinnenausbildung quälen!"

Sonjas Gesicht verfinsterte sich schlagartig. "Ihr solltet nicht über Eure Position klagen, Mylady. Ihr besitzt ein leichteres Leben, als Ihr Euch vorstellen könnt!" Dies bezweifelte Comadreja stark, denn am gestrigen Abend hatte sie ein Gespräch zwischen ihrem Vater und dem Priester mit angehört, welches sie betroffen hatte. Vielleicht war ihr Leben in der Vergangenheit leicht gewesen, doch die Zukunft würde gewiss kein Zuckerschlecken werden. Sie wusste, dass man sie, da sie ein Mitglied der königlichen Mesiron-Familie war, niemals anrühren würde. Kein Mann würde sie mit Gewalt ins Bett zwingen, niemals müsste  hoffen, dass heute etwas Essbares auf den Tisch käme.

Doch das Leben einer Prinzessin barg auch seine Gefahren. Je teurer die Kleidung aussieht, desto größer war die Gefahr überfallen zu werden. Nicht, dass ihr das schon einmal geschehen war und selbst wenn, würde der Schaden gering sein. Doch wie sie erfahren hatte, konnte man als Prinzessin Feinde haben, von denen man nicht glaubte, dass sie noch ein zweites Gesicht besaßen. "Es tut mir Leid, Sonja", entschuldigte sich Comadreja bei ihrer Zofe, die soeben ihre komplizierte Flechtfrisur fertig gestellt hatte.

"Macht Euch keine Gedanken, Prinzessin. Ihr habt Zeit, das alles zu lernen. Ihr müsst nicht die Verantwortung dieses Reiches übernehmen. Eure Schwester Mayra, Kronprinzessin von Mesiron, wird den Thron besteigen und selbst, wenn ihr etwas zustoßen würde, könntet ihr das Reich immer noch Prinz Lyphus übergeben." Nach ihrer Auffassung, würde sie dies auch genau so tun. Sollte ihrer Schwester jemals etwas geschehen, würde sie dem Thron abtreten. Denn Comadreja wollte kein Land regieren, das sich schon seit Jahrhunderten im Krieg befand. Sie fand diesen sinnlos und beängstigend. Er hatte schon so viele Leben gekostet, doch schien sich niemand nach dem Frieden zu sehnen, außer ihr.

Comadreja wusste ja noch nicht einmal, warum es diesen Krieg überhaupt gab. Ihr Vater, ihr Großvater und selbst dessen Großvater waren schon in den Krieg gezogen. Seit Generationen regierte der Krieg das Reich, ließ die Erde bluten und die Seelen schwarz werden. Vielleicht würde sie mehr über den Krieg wissen, wenn sie in ihrer Ausbildung mehr aufgepasst hätte, wie ihre Schwester, doch wie ihre Zofe schon gesagt hatte: Sie musste nicht die Verantwortung tragen und sie konnte es sich auch gar nicht vorstellen, das jemals tun zu müssen.

Comadreja - Die Kriegerin der SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt