Abschied

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Mein Herz raste in meiner Brust und ich konnte nicht glauben, was ich sah. Das war bestimmt nur ein Traum.

"Rain!" wieherte da das Pferd und in diesem Moment bestand kein Zweifel mehr. "Spirit!" schrie ich, dann galoppierte ich los, zu meiner großen Liebe! Er stürmte ebenfalls geradewegs den Hügel hinunter und zu mir. Wir umkreisten uns einmal, dann bremsten wir ab und schon schmiegte ich mich an meinen Geliebten. Als ich sein weiches Fell spürte, wusste ich, dass das hier kein Traum war. Ich hatte keine Ahnung, wie das sein konnte, aber Spirit war zu mir zurückgekommen. "Aber... wie? Wie ist das möglich?" fragte ich mit bebender Stimme und sah ihn immer noch ungläubig an. "Little Creek hat mich gefunden und zurückgebracht." antwortete er sanft und ich drehte den Kopf zu meinem besten Freund, der uns lächelnd beobachtete. Ich war komplett überwältigt von meinen Gefühlen.

"Das ist unglaublich! Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen!" meinte ich. "Und ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Ich bin so froh, dass du es geschafft hast." erwiderte Spirit und in seinen wunderschönen braunen Augen glitzerte es verdächtig. Lange standen wir eng aneinander geschmiegt da. Ich konnte es nicht glauben, ich dachte, ich würde den Hengst nie wieder sehen! Nach all der Angst waren wir wieder vereint. Und das hatten wir Little Creek zu verdanken.

Spirit und ich drehten uns nun beide zu dem Indianer und trabten Seite an Seite auf ihn zu. "Du bist der Hammer, weißt du das? Das vergesse ich dir nie!" schnaubte ich und drückte liebevoll meinen Kopf an Little Creeks. "Du bist eine Kämpferin. Ich wusste, dass du es schaffst, Rain" murmelte er und strich mir über die Stirn. Dann trat er einen Schritt zurück, er blickte erst Spirit an und dann mich. Ich sah von einem zum anderen und erkannte Traurigkeit in ihrer beiden Blicke. In dem Moment zerbrach etwas in meinem Inneren. Ich realisierte, was die beiden so bedrückte.

Little Creek wollte Spirit freilassen. Endgültig. Der Mustang hatte so viel für das Dorf getan, er verdiente die Freiheit. Es wäre falsch, ihn hierzubehalten. Das alles las ich aus dem Blick des Indianers. Aber eine entscheidende Sache veränderte alles. Ich sollte mit ihm gehen. Und obwohl mir der Gedanke überhaupt nicht gefiel, wusste ich, dass es das Beste für alle war. In einem kleinen Winkel meines Herzens hatte ich gewusst, dass es unweigerlich darauf hinauslaufen würde. Ich konnte ohne Spirit nicht mehr leben, das war mir in den letzten Tagen mehr als bewusst geworden. Ich erinnerte mich an all die Jahre, die ich mit Little Creek verbracht hatte. Er hatte mich niemals im Stich gelassen und mich immer aufgebaut. Und jetzt waren wir hier. Es war, wie er einmal gesagt hatte: Der Kreis schloss sich. Und obwohl es mir schwerfiel, mein Zuhause zu verlassen, wusste ich, dass es das einzig Richtige war.

Und Little Creek wusste es auch, denn er trat zu mir und sah mich traurig an. "Ich werde dich immer im Herzen tragen." meinte er sanft und dieser Satz brach mir das Herz. Dann streckte er die Hand aus und nahm die Feder aus meiner Mähne. Das Symbol unserer Freundschaft. Tränen stiegen mir in die Augen, ich trat zu ihm und er umarmte mich innig. Ich drückte fest meinen Kopf an seine Schulter und wollte nicht loslassen. Es fiel mir so schwer, ihn zu verlassen. "Ich werde dich niemals vergessen, Little Creek. Danke für alles!" flüsterte ich. Schließlich war er es, der sich von mir löste und sich dann an Spirit wandte, der ihn traurig ansah. Auch ihm fiel es nicht leicht, das spürte ich.

Während sich die beiden voneinander verabschiedeten, sah ich Dalta. Sie stand bei den Zelten am Rand und sah mich mit Tränen in den Augen an. Ich trabte zu ihr und sie schmiegte sich schluchzend an mich. "Es tut mir so leid, Dalta" sagte ich mit zitternder Stimme. Meine beste Freundin schüttelte den Kopf und meinte "Nein, es muss dir nicht leidtun. Ich bin froh, dass Spirit wieder da ist. Ich dachte nur nie, dass es zu einem Abschied kommen würde. Aber Spirit und du, ihr gehört zusammen. Und du hast es verdient, frei zu sein. Du hast so viel für uns getan, du musst jetzt an dich selbst denken."

"Bist du sicher? Es fällt mir so schwer, euch alle zu verlassen" erwiderte ich traurig. "Mach dir um mich keine Sorgen. Ich werde schon klar kommen. Aber vergiss mich nicht" murmelte sie. "Dalta, wie könnte ich dich jemals vergessen? Du bist meine beste Freundin und wirst es auch immer bleiben, egal, wie weit wir voneinander entfernt sind. Ich danke dir, dass du immer für mich da warst" Sie schluchzte noch einmal, dann lächelte sie "Mach es bitte nicht noch schwerer. Du wirst immer ein Teil der Herde bleiben, vergiss das nicht!" Das rührte mich sehr. Spirit sah mich ruhig an und ich wusste, es war Zeit, zu gehen. "Pass bitte gut auf Little Creek auf, Dalta. Ihr werdet alle immer in meinem Herzen bleiben." Sie nickte. "Versprochen, Rain. Spirit, pass gut auf sie auf!" rief sie meinem Geliebten zu, woraufhin ich ein wenig lachen musste.

Nun war es Zeit. Hinter mir stieg Spirit mit einem lauten Wiehern auf die Hinterbeine, ein letzter Gruß an Little Creek. Ich folgte seinem Beispiel und als Antwort stieß der Indianer seinen typischen Wolfsruf aus. Das war das Signal. Spirit galoppierte los. Ich zögerte noch einen Moment und sah noch einmal auf Lakota Village. Auf mein Zuhause. Ein letzter Blick zu Dalta und zu Little Creek, dann galoppierte ich hinter dem Mustang hinaus in die Freiheit.

Rain's GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt