Kapitel 1b

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Sofia las zwei Jahre später auf ihrem Bildschirm:

Hey, hast du Zeit? Wir müssen reden.

Das war Michajl. Sie antwortete ihm, sie würde ihn im Park treffen, während sie aufstand und ein paar Sachen wie Geldbeutel und Schlüssel in ihre Umhängetasche warf, um ihn zu treffen.

Flugs band sie sich die Haare zu einem Flechtzopf, zog sich einen Schal, Jacke, Stiefel und Handschuhe an, bevor sie die ärmliche Einzimmerwohnung, die sie seit einem Jahr selbst finanzierte, verließ.

Nachdem sie den Weg die Treppe hinunter dazu genutzt hatte, ein Kaugummi zu essen und ihre Kopfhörer zu entwirren, drückte sie die Eingangstür auf und ging raus.

Die Tür fiel hinter ihr mit einem Krachen ins Schloss und ließ sie trotz Kopfhörer zusammenzucken.

Die Stadtluft füllte mit einem tiefen Einatmen Sofias Lungen und zwang sie zum Husten.

Zügig verwandelte sie das geschäftige Stadtgeräusch in Lo-Fi, und fragte sich, wie sie die Stadt ertragen könnte, besäße sie keine Kopfhörer.

Mit größter Besorgnis und in Begleitung der sanften, dumpfen Melodien überquerte sie die Straße, einige Tauben stoben auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig auf, die Fahrbahnmarkierung war blass und die Straße gezeichnet von zahlreichen Schlaglöchern, in denen sich orange leuchtendes Wasser sammelte. Ein klein wenig sahen diese Pfützen aus wie Lavalöcher, oder Portale in eine andere Welt. Es war nicht viel los auf den Straßen, wie ungewöhnlich. Der Biedermeier war seit einigen Tagen in die Stadt gezogen, kaum hatte man den Weltkrieg ausgerufen. Viele fürchteten nun einen Angriff auf das Herz Russlands, Moskau, durch die Amerikaner.

Sofia konnte nicht sagen, wieso dieser Krieg überhaupt herrschte. In den Medien hier war nichts zu finden, gar nichts, außer, dass die Amis Schuld seien.

Sofia steuerte geradewegs auf den nächsten Park zu.

Schon aus der Ferne sah Sofia ihn an einer gusseisernen Parkbank stehen. Mit seinen Stiefeln scharrte er in abgeworfenen Blättern, eine Flasche Alkohol in der Faust. Die großen Ahornbäume streckten ihre Äste weit über den Weg wie ein Dach, der Rasen war bunt mit Laub bedeckt.

Sofia überquerte eine letzte Straße, als er sie bemerkte und entschlossen auf sie zu lief. Sofort fiel ihr auf, dass sein Schritt unsicher und unkoordiniert war, sie beeilte sich und schloss ihn in eine Umarmung, sobald sie bei ihm war. Er schlang seine breiten Arme um Sofias Schultern, legte dabei eine Hand in ihre Haare und drückte ihr Gesicht an seine Brust. Die kalte Wodkaflasche in seiner Faust spürte Sofia am Hosenboden ihrer Jeans, und seine Kleider rochen neu und sein Atem nach Alkohol. Erst nach langer Zeit lösten die sich voneinander, noch immer hielt er sie an ihrer Taille mit einer Hand. Sie hob den Kopf, um ihn genauer zu betrachten. Einige kleine Bächlein Salzwasser liefen ihm über die Wangen, sie streckte ihre Hand aus und wischte sachte mit dem Daumen über sein nasses Gesicht.

„Was ist passiert?"

Er antwortete zunächst nicht, zog sie nur wieder in eine Umarmung, legte sein Gesicht in ihr Haar, atmete tief ein, als wolle er Sofias Geruch in Gänze aufnehmen.

„Morgen ist es soweit."

Sofias Körper wurde von einer plötzlichen Anspannung erfasst. Wie konnte sie das nur vergessen? Morgen, Michajls achtzehnter Geburtstag. Verdammte Wehrpflicht.

SofiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt