Sie waren immer noch nicht zurück.
Sianna blickte schweigend nach draußen. Jina ebenfalls.
Die beiden hatten nach Minas Geschichte noch einige Zeit beim Schwarzen Stein verbracht, mit anderen Frauen unterhalten und dann, als der Regen anfing, Unterschlupf in Sirajs Hütte gesucht. Sie aßen etwas gemeinsam, tauschten sich lebhaft aus, doch mittlerweile hatte sich ein düsterer Schleier über ihre Konversationen gelegt.
Sie machten sich Sorgen.
Ruil und Siraj waren nun schon stundenlang fort.
Ob es ihnen gut ging? Ob sie das Untier schon gefunden hatten? Ob sie es gerade zerlegten?
Jina war sichtlich nervös, sie streichelte geistesabwesend über ihren Oberschenkel, starrte ins Nichts und biss sich hin und wieder auf die Oberlippe.Das kannte Sianna nicht von ihrer Freundin. Jina war sonst eine Person, die stets gute Laune verbreitete, die nichts und niemand verunsichern konnte. Ruil passte zu ihr, er diente als Ruhepol. Beide waren so unabhängig voneinander, wie Sirajs Frau es selten erlebt hatte und dennoch in Zweisamkeit so liebevoll, so fürsorglich und so aufeinander bedacht, dass Sianna sie gelegentlich beneidete.
Und jetzt schien sie sich mehr Sorgen um ihren Mann denn je zu machen.
»Irgendwas ist passiert«, murmelte Jina leise.
»Ich denke, es ist bestimmt alles in Ordnung«, sagte Sianna und lächelte. »Ruil ist ja nicht alleine unterwegs, da sind viele erfahrene Jäger dabei. Die wissen, was sie tun.«
Sie nahm Jina in den Arm. Fuhr mit den Fingern sanft über ihren Rücken und versuchte, jeden dunklen Gedanken bezüglich Siraj und ihrem Vater aus ihrem Kopf zu vertreiben. Es gelang ihr nur kurz, bevor sie sich im Geiste genau wie Jorklara sah - hoffnungslos auf dem Bett kauernd, geplagt von dem Unwissen über den Verbleib ihres Mannes, alleine.
Der Regen hatte an Stärke zugenommen, stürzte auf das Holz der Hütte, rann am Ausgang hinab, sodass sich eine größere Pfütze gebildet hatte. Die Welt sah ganz schön düster aus.
Die Wolken ließen das Grau wieder auf die Welt los - wie Mina gesagt hatte: Die Sonne brachte die Farben auf die Welt. Nun aber herrschte statt bunter Wärme die dunkle Kälte. Kein Vogelgezwitscher, kein sanfter Wind, der über die grünen Blätter strich, nur das andauernde Geräusch des Regens und gelegentliche, heftige Windzüge, das Knacken von brüchigen, kraftlosen Zweigen, die von kahlen Stämmen losgerissen wurden.
Inmitten des Unwetters ertönte draußen plötzlich Geschrei.
Jina und Sianna schreckten beinahe zeitgleich hoch und lauschten.
»Kommt alle her! Sie sind wieder da!«, brüllte jemand.
Die beiden Frauen zögerten nicht. Sie stürzten in den Regen, liefen mit nackten Füßen durch die matschigen Pfützen, registrierten kaum das kühle Nass, was auf sie prasselte.
Sojas und Nala, Mina und Jorklara sowie mehrere dutzend andere hatten sich an den äußersten Ausläufern Juranos eingefunden, um die Jagdtruppe in Empfang zu nehmen. Einige ältere Kinder waren auch dabei, um ihre Eltern wieder zu sehen.
Und da tauchten sie langsam auf. Langsam gehende Gestalten, die sich im Grau des Regens aus dem Wald schälten.
Es waren wenige. Zu wenige.
»Wo ist der Rest?«, hauchte Sianna. Jina schüttelte den Kopf. »Ich... ich weiß nicht.«
Dann wurden die Schemen nach und nach erkennbar.
Jaira ging ganz vorne, ihr sonst so gerader und stolzer Gang wurde nun von hängenden Schultern und einem Schlurfen geprägt, sie hielt sich den blutverschmierten linken Arm. Ein Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, als ihr Sohn auf sie zu rannte und umarmte.
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Farben des Arkanen
FantasyDer junge Siraj wächst in Jurano auf, einem kleinen Dorf inmitten eines schier endlosen Waldes. Hier hat er seine Freunde, seine Frau, seine Familie. Niemand weiß, was sich hinter den Grenzen des Waldes verbirgt, was die Welt noch für Wunder - und S...