Zuhause

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Mit einem leisen Geräusch drehe ich den Schlüssel im Schloss und drücke die Türe auf, die zu dem dunklen kalten Hausflur führt. Die Tür, die ich vor genau einem Jahr das letzte Mal geschlossen hatte. Der Flur, dessen Kälte ich das letzte Mal vor einem Jahr gespürt hatte. Ich ziehe meinen Koffer hinter mir her und die Tür fällt mit einem lauten Knall zu, weshalb ich kurz zusammenzucke. Es ist ungewohnt wieder hier zu sein. Nicht mehr bei den Kindern. Ich werde die Biester vermissen. Ich meine, ich vermisse sie ja jetzt schon. Wie sie bei jedem Wind und Wetter nach draußen gehen wollten. Wie sie immer die Insekten, die sie in irgendwelchen Bechern einfingen, mit nach drinnen oder nach Hause nehmen wollten, damit sie nicht allein sind. Ich weiß noch, als wir am See waren und sie, in einem kleinen Eimer, Fische gefangen haben. Es ist uns aber erst wieder auf dem Rückweg aufgefallen und dann wusste erstmal keiner, was wir machen sollten. Im Nachhinein sind wir wieder zurückgefahren, da man die Fische nicht von ihrer Familie trennen darf, so die Kinder, und haben noch Eis gegessen. Auch wenn es manchmal anstrengend war, war es doch mit die beste Zeit meines Leben und wenn ich könnte, würde ich jederzeit dahin zurückreisen. Ich hab viel Neues gelernt und auch neue Freunde gewonnen, die ich nicht mehr missen möchte. Aber jetzt bin ich wieder hier. Weg von den schönen und traumhaften Landschaften. Weg von den immer abwechslungsreichen Tagen und den schönen Momenten. Weg von den neuen Leuten, die man kennen gelernt hat und wahrscheinlich nie mehr wiedersehen wird. Ich weiß noch, wie wir einmal einen Ausflug nach Aurinkolahti gemacht haben und da in an den Strand gehen wollten. Im Nachhinein hat es wie aus Eimern geschüttet und alle stiegen wieder klitschnass in den Bus ein. Es haben sich zwar ein paar Eltern aufgeregt, aber es war trotzdem für alle ein schöner und lustiger Tag. Aber jetzt bin ich wieder hier, in einem der vielen Hochhäuser, die man überall in Deutschland finden kann. Bei gefühlt immer dem gleichen Wetter und den gleich so aufregenden Sachen, die hier mal passieren. Passend dazu kommt mir sofort das Gekläffe des Hundes, unserer alten Nachbarin, in die Ohren, die ein Stockwerk unter uns wohnt.

Mit langsamen Schritten mache ich mich, mit meinem Koffer in der Hand, auf in Richtung Treppe, während meine Schritte durch gefühlt, das gesamte Gebäude hallen. Der Koffer, der mich jetzt das ganze Jahr begleitet hat und jetzt schon fast auseinander fällt. Auch das knallige Rot, welches er hatte, als wir ich gekauft haben, ist schon verblasst. Ich muss wohl bald einen neuen kaufen. Schade eigentlich. Denn er war perfekt. Nicht zu groß. Und nicht zu klein. Man hat alles wichtige reinbekommen und hatte dann noch Platz, für ein paar extra Sachen.

Ich steige die kalten Stufen hinauf und bemerke, dass ich mal wieder vergessen habe, dass Licht anzumachen. Wie schon vor einem Jahr. Aber so ist es vielleicht auch besser für die Umwelt. Wieso brauche ich Licht, wenn ich auch so alles gut sehen kann? Früher, in der Schule, haben wir auch bei einem Lehrer immer das Licht ausgemacht. Wir haben dann gesagt: „Schon wieder einen Eisbären gerettet." Achja die Schule. Das war schon eine schöne Zeit. Und ein weiterer Lebensabschnitt den ich vermisse und am lieben wiederholen würde. Naja zumindest die letzten Jahre. Und ohne die Referate und Klausuren. Mühsam hebe ich das schwere Teil hoch, wie ich es auch schon vor einem Jahr runtergeschleppt habe. Dies werde ich nicht vermissen. Diese ständige hoch und runter geschleppe von dem Koffer, der einem dann auch immer wieder in die Hacken schlägt.

Nach genau 21 Stufen, einer Pause und gefühlt unendlich vielen Herzschlägen, komme ich in der ersten Etage an und versuche so leise wie möglich meinen Koffer abzusetzen, um unseren alten Nachbarn nicht zu wecken, der immer um diese Zeit ein Nickerchen hält. Wie auch schon vor einem Jahr. Es klappt eher so Semi-Gut, da es einfach unmöglich ist, schwere und große Sachen leise abzusetzen. Dies ist einfach ein Naturgesetz. Mit einem mulmigen Gefühl, bleibe ich vor unserer Türe stehen. Die alte, fast schon durchgetretene, Fußmatte liegt immer noch auf ihrem alten Platz. Auch das Türschild, auf dem mit geschwungener Schrift 'Familie Müller' draufsteht, hängt immer noch an dem altbekannten Platz. An der Tür hängt immer noch der alte vertrocknete Buchsbaumkranz, dessen Blätter immer mehr auf die Matte fallen. Damit hat Milan, der ein Stockwerk über uns wohnt und nebenbei auch noch mein bester Freund ist, die Wette gewonnen. Ich weiß nicht was ich erwartet habe. Dass vielleicht ein Fenster in den Flur eingebaut worden ist. Dass die alte Dame mit dem Hund, der mir seit Jahren den Schlaf raubt, endlich ausgezogen ist. Dass ich nicht vergesse, im Flur das Licht anzumachen. Dass ich unseren alten Nachbarn im Flur antreffe, als Bestätigung, dass er nicht wie jeden Tag um die Uhrzeit schläft. Dass vielleicht eine neue Fußmatte mit einem freundlichen 'Willkommen' gekauft wurde und die alte ersetzt hat. Dass vielleicht das Klingelschild ausgetauscht wurde, da wir, seitdem mein Vater ausgezogen ist, vor knapp zwei Jahren, keine richtige Familie mehr sind. Oder dass einfach der blöde Buchsbaumkranz endlich entsorgt wurde, weil er mehr Dreck macht, als dass er schön aussieht. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ich hatte gehofft, dass sich irgendwas ändert, in dem einem Jahr, wo ich jetzt weg war. Ich hatte mich eigentlich auf Zuhause gefreut, weil ich dann meine Mutter wiedersehe. Weil ich dann Milan wieder sehe. Aber jetzt? Jetzt hab ich Angst, dass in dem einem Jahr, in dem ich weg war, sich nichts verändert hat, ich mich jedoch völlig verändert habe. Wenn ich mich nicht mehr mit meiner Mutter oder Milan verstehe. Wenn mir neue Sichtweisen auf die Welt klargeworden sind, die man als Außenstehender nicht nachvollziehen kann. Ich lehne mich an die Wand und schließe die Augen. Vielleicht ist auch niemand da drinnen, wie schon vor einem Jahr, und meine Mutter ist arbeiten. Vielleicht hat sie vergessen, dass ich heute wieder komme, wie sie auch schon vor einem Jahr vergessen hat, dass ich fahre.

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