Zirkusbesuch

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Gertrude. Eine alte Frau mit kurzen weiß-gräulichen und der ein oder anderen kahlen Stelle. Jedoch hat sie noch Glück gehabt. Alle ihre Freunde haben gesagt, dass sie mit 60 eine Glatze hat, da sie schon früh an starkem Haarausfall gelitten hat. Mit ihrer kleinen Handtasche, mit dem blauen schnörkellichen Blumenmuster, die sie sich kurz vorher, als sie aus dem Auto ausgestiegen ist, um ihre zerbrechliche Schulter gezwängt hat, und in ihrer Hand ihre Enkelin, der sie vor schon Monaten versprochen hat, in den Zirkus zu gehen, der immer Mitte des Monats in ihrer Stadt aufgebaut wird, steht sie nun vor dem hellerleuteten Schild, dass den Zirkus einleitet.
Wenn sie ehrlich ist, hatte sie gehofft, dass ihre Enkelin es schon längst vergessen hätte, da sie in mit ihren jungen 5 Jahren noch nicht einmal weiß, was sie gestern in der Vorschule gelernt hat. Oder dass sie es so lange Verschieben kann, bis es für sie unmöglich ist zu gehen. Sie mag den Zirkus nicht. Zu viele Farben mit zu vielen Lichtern und dazu zu viele verschiedene Musik, die so laut aufgespielt wird, dass man es noch am Ende des Platzes hören kann.

Anna, das kleine quirlige Mädchen mit den braunen, etwas zerzausten, Haaren, dass die zittrigen Hand ihrer Oma hält, geht es da ganz anders. Die ganzen Farben begeistern sie und sie ist kurz davor ihre Oma zu fragen, ob sie sowas auch in ihrem Blau-Pinken Zimmer haben darf. Am liebsten würde sie jetzt fragen, ob sie ihr ganzes Zimmer in den verschiedensten Farben anmalen, aber sie ist sich sicher, dass ihr Vater es verbieten würde, da er erst letzten Monat ihr Zimmer, nach einem Besuch im Schwimmbad, blau anmalen musste. Im nächsten Moment denk sie aber an die bunten Wachsmalstifte, die sie unter ihren T-Shirts in der Kommode versteckt hat, und ein verschmitzten Lächeln schleicht sich auf ihre schmalen Lippen.
Die bunten Lichter und die Musik erinnern sie an die Karnevalls Party im Kindergarten und sie wünscht sich, dass sie jetzt mit Elena, ihrer besten Freundin, hier sein könnte, damit sie sich bunte Schmetterlinge auf ihre Gesichter malen lassen können und wild, wie es sich eben für eine fünfjährige gehört, zu der Musik tanzen können. Vielleicht gäbe es dann auch einen Schluck von dem schwarzen Zeug, was sie nur zu ganz besonderen Anlässen trinken darf, was aber so lecker süß schmeckt.
Anna zieht ungeduldig an der Hand ihrer Oma, da sie unbedingt noch die gigantischen Elefanten angucken möchte, bevor die Show losgeht. Sie hegt die Hoffnung, dass sie einen von ihnen streicheln darf, aber bezweifelt dies, da ihre Oma viel zu große Angst davor hat, dass ihr irgendwas passiert.

Nach einer Zeit lässt Gertrude die Hand ihrer Enkelin los, da sie einfach nicht mit ihrer Geschwindigkeit klar kommt, sie ist schließlich auch nicht mehr die jüngste. Sofort rennt Anna los und Gertrude achtet darauf, dass sie nicht zu weit voraus rennt. Sie könnte sich niemals verzeihen, wenn ihr etwas zustoßen könnte. Sie muss an den Tag zurück denken, an dem sie ihre Tochter bei eben so einer Veranstaltung aus den Augen verloren hat. Ein Schauer überzieht sie bei dem Gedanken, wie sie sie Stundenlang gesucht und nicht gefunden hat. Durch Zufall hat Gertrude sie dann beim Entenangeln auf dem Tresen gefunden mit einem Schokoeis, welches über ihr ganzes Gesicht verteilt war. Äußerlich ist sie sichtlich genervt von den Menschenmassen, die keine Rücksicht aufeinander nehmen und sie einfach an einer vorbei quetschen und einander aus dem Weg schubsen. Aber innerlich genießt sie es, mal wieder unter Menschen zu kommen. Nachdem ihr Mann im letzten Jahr gestorben ist, ist sie in ein Loch gefallen, aus dem sie nicht so schnell wieder rausgekommen ist. Ihr Herz schmerzt bei dem Gedanken, dass eben jener eigentlich mitkommen wollte, damit Anna auf den Elefanten reiten konnte. Aber sein Herz versagte und Gertrude weiß, dass sie auch nicht mehr sonderlich lange hat und Anna soll wenigstens noch ein paar schöne Erinnerungen an sie haben.

An dem Elefantenkäftig angekommen quetscht Anna ihren kleinen Kopf zwischen die Gitterstäbe und als Außenstehender könnte man Angst haben, dass sie dort stecken bleibt. Fasziniert beobachtet sie, wie die Zirkusmitarbeiter die Elefanten für die Show vorbereiten. Auf dem Rücken tragen sie diese Gurte an denen man sich festhalten kann. Anna hat sie schon mal gesehen, als ihre Mutter sie dazu gezwungen hat sich auf ein Pferd zu setzten mit der Begründung "Irgendwann wirst du mir noch dankbar dafür sein." In der Halle war noch ein anderes Mädchen, welches auf dem Pferd geturnt hat, mit so einem Gurt, wie es der Elefanten trägt.
Bis heute versteht sie immer noch nicht, was ihre Mutter mit diesen Worten sagen wollte. Sie will nicht Reiten. Das ist so schnell. Und Pferde sind Angsteinflösend. Elefanten dagegen haben eine lustige Nase mit der sie trinken können und andere Nassspritzen. Darauf würde sie schon eher reiten wollen. Die Leute, die bei den großen Geschöpfen drinnen stehen, ziehen den Elefanten grade lustige Hüte auf, mit bunten Bommeln dran. Innerlich schreibt Anna sich diese auf ihre Geburtstags-Wunsch-Liste und sie hofft, dass sie es bis in drei Monaten nicht schon wieder vergessen hat. Außerdem streicht sie ihren Wunsch Tierärztin zu werden auch durch, mit Elefanten zu arbeiten zu arbeiten ist doch viel besser. Sie will jetzt irgendwas mit Elefanten arbeiten oder im Zirkus, damit sie den Elefanten auch so lustige Hüte aufsetzen kann. Eine Hand legt sich auf ihre Schulter und ohne hingucken, weiß sie, dass es die von ihrer Oma ist. Sie zittert leicht, wie es sich für ihre Oma gehört, und die Kälte der Hand, die von ihr gar nicht mehr weg zu denken ist, dringt durch ihr Oberteil bis auf ihre Haut.

"Wollen wir uns schon mal reinsetzen", fragt Gertrude ihre kleine Enkelin, die ihren Kopf immer noch zwischen die Gitterstäbe gequetscht hat, damit sie alles besser sehen kann. "Noch bisschen", erwidert sie jedoch und versucht ihren Kopf noch weiter durch das Gitter zu stecken. Gertrude nimmt ihre Hand von der Schulter ihrer Enkelin und holt sich ein Taschentuch aus ihrer Tasche, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sie steckt es wieder ein, da sie sich ist, dass es bestimmt im Laufe des Tages nochmal einmal brauchen wird. Am liebsten würde sie sich irgendwo anlehnen. Verschnaufen. Da sie aber ihre Enkelin nicht aus den Augen lassen will, würde nur der Elefantenkäftig in Frage kommen. Aber das kommt nicht in Frage. Gertrude hat Angst vor ihnen. Mit den großen Beinen und den scharfen Stoßzähnen können sie einen ganz leicht verletzten. Sie stellt sich ein Stück nach hinten. Noch nah genug an Anna dran um sie zu hören, falls irgendwas sein sollte, aber in sicherer Entfernung zu den großen Biestern. Gertrude könnte die Faszination ihrer Enkelin zu den großen Dingern noch nie nachvollziehen und insgeheim hofft sie, dass das sich diese auch in den nächsten Jahren wieder legen wird. "Kinder. Was?" Sie hatte nicht bemerkt, dass sich jemand neben sie gestellt hatte, der ebenfalls die begeisterte Anna anguckt. Wahrscheinlich ist der in dem Alter von Gertrude, aber es ist schwer einzuschätzen. Seine Glatze glänzt in dem hellen Sonnenlicht und die paar weißen Haare, die er zu den Seiten abstehen hat, bewegen sich im Wind, als würden sie Tanzen. "Da sagen sie was", antwortet Gertrude. "Manni", stellt sich der Mann in dem blauen Karohemd vor, welches die Farbe von Gertrudes Tasche hat. "Gertrude", stellt sie sich ebenfalls vor und ergreift mit zitternder Hand die ebenso zitternde Hand des Mannes neben ihr. Für einen kurzen Moment entsteht eine Stille, in der Gertrude nicht weiß was sie sagen soll. Ob sie irgendwas vom Wetter reden soll. Oder wie furchtbar Elefanten sind und dass sie die Faszination ihrer Enkelin nicht nachvollziehen kann. Aber Manni erlöst sie von dem Druck etwas zu sagen:" Wie wäre es wenn wir mal wo anderes Treffen. Vielleicht auf einen Kaffee? Dann ohne Elefanten." Er muss wohl die Abneigung gegen diese Tiere in ihrem Gesicht abgelesen haben und geduldig wartet er auf ihre Antwort. Wie automatisch greift sie zu ihrem Ringfinger, an dem bis vor ein paar Wochen noch ihr Ehering steckte, den sie aber mittlerweile feinsäuberlich in eine kleine Schatulle gelegt hatte und diese weit hinten in ihrer Schublade verstaut hatte. Wenn sie zusagen würde, würde sie sich schuldig fühlen. Als würde sie ihren Mann betrügen. Und obwohl alles in ihr schrie, sie solle es nicht machen, sagt sie: "Wieso denn nicht?" Sie redet sich ein, dass sie es vielleicht so lange Verschieben könnte, bis sie es nicht mehr schaffen Kaffee trinken zu gehen oder bis er es schlicht und einfach vergisst. Aber wahrscheinlich würde dies so gut klappen wie bei Anna, die sich mittlerweile schon so weit in den Käfig eingedrückt hat, dass sie mit einer Fingerspitze das beeindruckende Tier berühren kann.

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14.10.2019

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