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BASIEREND AUF EINER WAHREN GESCHICHTE
DICHT AN DICHT stehen die schmalen Reihenhäuser der Cromwell Street in dem düsteren, proletarischen Viertel von Gloucester. Die Straßen sind still, gespenstisch still – keine Menschenseele in Sichtweite. Die ganze Straße wirkt verlassen, als hätte etwas ihr das Leben ausgesaugt. Nur das schmiedeeiserne Tor der Hausnummer 25 ächzt trotz Windstille, erfüllt die Stille die ganze Straße auf und ab. Und wagt man es, sich ihm zu nähern, öffnet es sich ein kleines Stück weit, als würde es nach einem rufen, einen dazu einladen, näherzukommen.
Tritt ein.
Der verblichene rosa Rauputzanstrich, die vergilbten Fensterrahmen, die heruntergekommene Häuserfront, und die nahezu unheimliche Stille, sie alle vermitteln den Eindruck, das Haus sei längst verlassen.
Doch die Fassade der Cromwell Street 25 täuscht.
Kein Haus der Straße hat so viele Geschichten zu erzählen wie dieses. Folgt man dem dunklen, schmiedeeisernen Tor und dessen verrosteten Verzierungen, gelangt man in den Garten. Unkraut wuchert aus den Terrassenplatten, und ein Baum liegt umgekippt auf dem viel zu hoch gewachsenen Rasen. Das Holz der kleinen Gartenscheune ist bereits modrig, und überall sind aufgegrabene Löcher im Boden. Der Wind bringt das Laub der Bäume zum Rascheln und Heulen dringt aus dem Dachstuhl des Hauses. Ist es der Wind? Es klingt beinahe menschlich.
Die vergilbte Haustüre steht ein Stück offen, als wartet sie auf unseren Besuch. Leise treten wir ein, und die Dielenbretter knacksen unter unseren Schuhsohlen. Ein knochenmarkerschütterndes Heulen fegt mit jeder Windböe draußen durchs Haus, und dessen Echo klingt fast wie ein leises Wispern, doch die Worte sind unverständlich.
Spinnweben haben das ganze Haus für sich vereinnahmt. Holzpanelle und verzierte Tapeten aus dem letzten Jahrhundert schmücken die Wände, lassen die Räume eng und bedrückend wirken. Staub bedeckt die Einrichtung wie ein darüber geworfenes Leinentuch, und weiße Farbe blättert von den Fensterrahmen. Altes, abgenutztes Kinderspielzeug liegt in allen Ecken, ob neben dem dunkelblauen Sofa, unter dem Esstisch, oder auf der Eichholzkommode im Flur, auf dem das hellblaue Wählscheibentelefon steht. Dunkle Flecken zieren die Mosaikfliesen, und sieht man genauer hin könnte man meinen, sie seien noch feucht.
Einst lebte ein junges Ehepaar mit seinen Kindern in dem kleinen Reiheneckhaus. Sie schienen eine große, glückliche Familie zu sein, und die Rahmen an den Wänden, mit all den verblichenen Bildern mit breiten Lächeln darauf, sollen dies wiederspiegeln. Die Nachbarn sprachen nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder.
Die jahrelang unbenutzten Leitungen krächzen noch immer, und der draußen aufziehende Wind fegt um die Dachpfannen und jagt jedem Besucher einen Schauer über den Rücken. Es klingt wie Hilfeschreie.
Aus dem Keller dringt ein leises Kratzen, ein Poltern, eine Art Flüstern, doch die Türe ist fest verschlossen und rührt sich keinen Zentimeter vom Fleck. Und das aus gutem Grund.
Das Holz der Treppenstufen, welche in das nächsthöher gelegene Stockwerk führen, beklagt sich mit jedem Schritt.
Mit jedem Stockwerk höher verglimmt die Idylle der glücklichen Familie. In der obersten Etage, direkt unter dem Dach, steht ein geschnitztes Himmelbett und ein mit rosa Samt ausstaffierter Salon mit einer Bar. Die Flaschen stehen kopfüber, bereit zum Zapfen, und blickdichte Vorhänge bedecken die Fenster. Fesseln und Peitschen liegen auf der rosa Tagesdecke.
In den Gemächern dieses Familienhauses geschahen unsagbare Dinge – Dinge, die der menschliche Verstand sich kaum ausmalen möchte.
Der weiße Bettbezug mag auf den ersten Blick ordentlich gemacht aussehen, doch schiebt man die Laken ein Stück zurück, kommen dunkelrote Flecken zum Vorschein. In den Schubladen der Kommode mit dem runden Spiegel darüber kommt neben ledernen Masken eine ganze Reihe von Messern, Werkzeugen und anderen zu Folterinstrumenten missbrauchten Gegenstände zum Vorschein.
Die Nachbarn sprachen nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder.
Keiner wusste, was sich im obersten Stockwerk des schmalen Reihenhauses zutrug. Zweiundzwanzig Jahre lang hielt der Horror Einstand in dem Haus, und keiner sagte ein Wort.
Die Nachbarn sprachen nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder.
Keiner wusste von dem übel zugerichteten Körper, die in der Grube der Garage lag und dort im Neben der Nacht herübergebracht und verscharrt worden war. Oder von denen, die im Keller begraben waren, und die einen Verband aus Klebestreifen um den Kopf trugen, in welche vorn ein dünner Plastikschlauch eingeführt worden war, der zur Nase führte und das Atmen ermöglichte, und so die Opfer eine Weile am Leben hielt.
Die Nachbarn sprachen nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder.
Das kleine Kräuterbeet im Garten behielt seine Geheimnisse für sich und verriet niemandem, um wessen menschliche Überreste, um wessen ungeborenes Kind sich seine Wurzeln schlugen. Niemand wusste, was in den Wänden des Hauses verborgen lag.
Die Nachbarn sprachen nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder.
Erst, als zwei Töchter des Ehepaares verschwanden, begann die Nachbarschaft zu tuscheln. Sie hätten sie unter ihrer eigenen Terrasse verscharrt, hieß es. Man lachte über diese Worte.
Man lachte und sprach ansonsten nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder.
Bis eines Tages die Beamten die Terrassenplatten aufbrachen, und man die sterblichen Überreste der ältesten Tochter Heather fand.
Die Nachbarn sprachen nur gut über das freundliche, nette und umgängliche Ehepaar und ihre Kinder, bis man eines Tages auf ihrem Grund neun verstümmelte, weibliche Körper vergraben fand.
Die Seelen der Opfer von Fred und Rosemary West werden so schnell nie wieder zu Ruhe kommen.
Das Haus ist nicht verlassen.
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Have You Locked The Door?
HorrorEine schaurige Sammlung von Kurzgeschichten über heimgesuchte Häuser, ausgegrabene Gräber, und auf ewig verdammte Hexen.