Schicksal

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Die Fahrt zum Wald verlief größtenteils still. Alle, außer Patrick, der fuhr, blickten aus dem Fenster und betrachteten die Landschaft. „Wollen wir vielleicht demnächst mal wieder ins Kino?" fragte Manuel irgendwann. „Gerne doch." Erwiderte Maurice lächelnd. „Aber das ist so teuer. Lass uns doch lieber Heimkino bei uns veranstalten. Wir haben doch einen 4k Fernseher. Und wir können uns wieder von Maurice bekochen lassen." Schlug Michael vor und musste lachen, als er das beleidigte Gesicht seines Freundes erblickte. Maurice fand die Idee zwar auch gut, aber die Formulierung hätte besser sein können. Er wusste, dass Michael es extra so formuliert hatte, um Maurice's genervten Blick zu sehen. „Bin dabei. Dieses Mal jedoch zeige ich euch meine Kochkünste." Sagte Patrick stolz. „Du kriegst ja nicht mal einen Käsekuchen auf die Reihe." Neckte Manuel ihn. „Du bist auch nicht besser." Erwiderte Patrick genervt. „Ich weiß" sagte Manuel mit verschmitztem Grinsen. Plötzlich bremste Patrick schlagartig. Das Lächeln verschwand sofort aus Manuels Gesicht und auch die anderen Beiden erschreckten sich anständig. Patrick lachte herzhaft. Er konnte sich kaum mehr einkriegen. „Rache ist süß." Prustete er. Manuel sagte nichts mehr. „Sag nächstes Mal wenigstens Maurice und mir vorher Bescheid." Beschwerte sich Michael. „Ich versuche es." Sagte Patrick wieder gefasster. Das Tempo des Autos wurde wieder schneller. Es war ruhig. Irgendetwas war seltsam. So schien es für Michael jedenfalls. Der Himmel wirkte dunkler und eine Anspannung schien in der Luft zu liegen. Ihm war kalt. Er ergriff Maurice's Hand. Diese gab ihm immer Sicherheit. Auch dieses Mal schien die Berührung lindernd oder eher ablenkend. Doch selbst die Wärme von Maurice, vertrieb die Kälte nicht. Die Fahrt fuhr fort und langsam wurde Michael wieder entspannter. Er verdrängte erfolgreich die Anspannung, die er immer noch fühlte. Er war wahrscheinlich nur aufgeregt Rosie und ihre neue Bekanntschaft kennenzulernen. Der Wagen hielt an und die vier Freunde stiegen aus. Sie gingen einen kleinen Weg entlang. Die Blätter der Bäume raschelten und ein ruhiger Wind wehte. Hin und wieder hörte man die Vögel und ein paar Waldtiere. Kleine Steine knirschten unter den Füßen der Vier. Patrick summte ein leises Lied. Michael kannte es nicht. Mit einem Mal schien es so, als höre er Schreie aus der Distanz. Sofort drehte er sich in die Richtung, aus der das angebliche Geräusch kam. Verwirrt blickten die Anderen ihn an. „Habt ihr das gehört?" fragte Michael entgeistert. Manuel nickte. „Irgendwelche Jugendliche, die sonst was im Wald machen." Sagte er schulterzuckend. Das schien logisch. Doch wieso klangen die Schreie so bekannt? Die Freunde setzten ihren Weg fort. Schon von Weitem konnte man die kleine Hütte sehen, bei der sich die Vier fast regelmäßig mit Rosie trafen.

Vor der Hütte stand eine Bank, auf der es sich die junge Frau schon gemütlich gemacht hatte. Sie hielt einen Ring mit einem Topas als Edelstein in der Hand. Vorsichtig strich sie darüber. Der Wald schien zu flüstern. Unbekannte Stimmen, schrien, weinten, lachten und sangen kaum hörbar. Zielstrebig gingen sie auf die Hütte zu. Michael verdrängte die Stimmen. Rosie lächelte ihnen zu. Der Ring war nun wieder an ihrem Finger und wirkte unauffällig. Sie sagte etwas, was die Anderen nicht hören konnten. Die Tür der Hütte öffnete sich und zwei Personen traten aus ihr. Die schwarzen, kurzen Haare des einen lagen glatt an seinem Kopf und er trug ein simples weißes Hemd. Das Grinsen auf seinen schmalen Lippen wirkte einschüchternd. Der Blick der zweiten Person war teilnahmslos. Ein dunkler Schatten schien über seinen grünen Augen zu liegen. Seine blonden Haare waren matt. Sein Gesichtsausdruck war ausdruckslos. Die vier Freunde kamen näher. Michael an der Spitze. Der Wind nahm zu und die Stimmen wurden lauter. Rosie stand von der Bank auf und näherte sich der Gruppe. Ihre Gefährten folgten ihr. Ihr Blick hatte sich verändert. Der Himmel wurde dunkel. Es war eiskalt. Alles schien verlangsamt. Michael blieb wie automatisch stehen. Er zitterte leicht. Die Stimmen schienen ihn zu erdrücken. „Wäre es das, würden sie hier stehen und nicht ich." Sagte die eine tonlos. Etwas regte sich in Michael. „Ich lasse dich nicht noch einmal im Stich!" schrie eine Andere verzweifelt. Es fühlte sich an wie ein Stich ins Herz. Die Kälte begann an Michael empor zu kriechen. Sie lähmte ihn. „Ich will wissen wieso!" Verbitterung lag in der Stimme. Michaels Mund war wie zugeschnürt. Er konnte nicht reagieren. Die Stimmen verloren sich, nachdem sie gesprochen hatten. „Wir müssen ihm helfen!" rief eine weitere. Trauer. Wut. Angst. Seine Beine begannen an Stabilität zu verlieren. Verzweiflung kroch durch seine Adern. Die Perfektion bröckelte. Die Fassade fiel. Alles tat weh. Was war real? Träumte er das nur. Michael schloss die Augen. Das konnte nicht echt sein. Es war nicht echt. Es durfte nicht. „Ich werde das nicht überleben, das war schon von Anfang an klar." Er riss die Augen wieder auf. Michael erkannte seine eigene Stimme. Eine Person erschien vage in seinen Erinnerungen. Doch die Person schien verblasst, kraftlos, leblos. Michael wandte seinen Blick nach vorne. Nun war es soweit. Alles schien in tiefe Dunkelheit zu versinken. Sie war schon lange in diese Dunkelheit geworfen worden. Es gab kein Entkommen. Die Karten waren verdeckt. Die Fassade hatte lange genug gehalten. Es war Zeit für sie zu fallen. Rosie stand nun in etwas Entfernung vor Michael. Blätter flogen durch die Luft. Michael griff nach Maurice's Hand, doch da war nichts. Er blickte sich um. Die Konturen seines Freundes verschwanden. Eine Wunde bildete sich an seinem Bauch. Blut floss. Michael trat zurück. Auch Patrick und Manuel begannen zu verblassen. Schock lag in Michaels Blick. „Ein Ass im Ärmel." Sagte Rosie plötzlich. Ruckartig drehte sich Michael zu ihr. Ihre Augen leuchteten strahlend gelb. Der Ring leuchtete. Die Augen des Blondhaarigen waren pechschwarz und der Schwarzhaarige trug mit einem Mal einen Laborkittel. Eis bildete sich an Michaels Fingerkuppen. Der Sturm war unglaublich laut und doch konnte er Rosies Worte klar verstehen. „Du kannst deinem Schicksal nicht entkommen, Zombey." Sagte sie bedrohlich. Der Boden unter ihren Füßen begann Risse zu bekommen. Sie liefen geradewegs auf ihn zu. Er war das Zentrum des Sturms. Michael schrie und fiel auf die Knie. „Ich habe gerade erst angefangen." Sagte Rosie während die Risse größer wurden. Der Sturm verschlang Michael komplett und seine Schreie gingen in der endlosen Kälte unter.

Das Dunkle in Ihnen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt