Kapitel 3

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~Anne~

Heute ist der Tag gekommen, auf den Richard und ich so lange hingefiebert hatten. Oder wie Richard jetzt vielleicht sagen würde „der Tag, der uns unmissverständlich beweisen wird dass sich jede Sekunde der Arbeit, die wir in dieses Klinikum gesteckt haben, sich gelohnt hat". Und wenn er dann ausnahmsweise  noch etwas Zeit mitgebracht hätte, würde er noch einen Satz anfügen wie „dieser Tag wird  einzig und allein uns gehören, alle Menschen, die für uns von Bedeutung sind werden kommen, um uns und unser Lebenswerk zu feiern".

Automatisch umgibt ein ruhiges und doch fast schon amüsiertes Lächeln meine, vom täglichen Leben gezeichneten Mundwinkel. Mit welcher Überzeugung und jugendlicher Frische Richard in den kräftezehrenden letzten Wochen, Sätze wie diese zum Besten gegeben hat.  Die Begeisterung, die trotz der Härte der letzten Zeit unkaputtbar von seinen Augen, wie Sternschnuppen in die Welt geschossen wurde, ist wahrer Ausdruck für die große  Hingabe die er für  dieses Projekt schon immer empfunden hat. Früher, ja früher war ich auch so. Die Leidenschaft hat ein imaginäres  Band zwischen uns gesponnen, welches uns immer dazu befähigt hat Höchstleistung für unseren Traum, „das Ding unseres Lebens" zu schenken. Wir wollten und wir konnten. Wir konnten alles dafür geben und alles um uns herum vergessen, um weiter zu kommen.  Es gab nur eine Sache die uns wahrhaftig Wichtig war.

Sicherlich brenne ich immer noch für dieses Projekt und wie Richard immer so treffend sagt, „sind WIR ja auch irgendwie dieses Klinikum"  Aber das Feuer der Leidenschaft, der Begeisterung, der alleinigen Hingabe ist in den letzten Jahren immer kleiner, schwächer und auch kälter geworden. Anders wie Richard spüre ich inzwischen das immer vortschreitende Alter. Nicht äußerlich, nein das definitiv nicht. Man könnte meinen, dass die Zeit an meinem Körper fast spurenlos vorbei gezogen ist. Anders aber an dem Teil meiner Selbst, der für andere nicht gleich sichtbar ist. Hier haben die Spuren der Zeit viele kleinere und größere Fragezeichen hinterlassen. Meine Seele lässt sich vielleicht mit Acker vergleichen, der gerade umgegraben wurde und so von zahlreichen Furchen durchwebt ist.

Meinem Mann, der für mich noch weit weite  mehr war, als einfach nur ein Lebenspartner, mit dem ich, unter einer Vision fast schon zu einer gemeinsamen Person in getrennten Körpern  verschmolzen war, scheint es in diesem Leben auszureichen als Überrest seines Daseins eine möglichst vollkommene Klinik zu hinterlassen. Als wir mit dem Aufbau des Klinikums begonnen hatten, sah meine Zukunftsvisionen ähnlich aus. Die Liebe zu Richard, welche mit einer unbeschreiblich schönen und für mich damals so neuen und ungreifbaren Erwiderung meiner Gefühle verbunden war, ergänzt mit dieser großen Begeisterung für die gleiche Sache, ermöglichte es mir, die harte Zeit meiner Kindheit hinter mir zu lassen. Es war, wie als ob ein Schalter in mir umgeschaltet worden wäre und ich plötzlich in einen Rausch eingetaucht bin, aus dem ich niemals aufwachen wollte. Wie eine besessene habe ich um Richard gekämpft. Die Schattenseite meiner Kindheit hatte sich tief in mein Herz gebrannt, in tattowierten Buchstaben stand geschrieben, was es aus einem Menschen machen kann, wenn er einen geliebten Menschen verliert.  Als meine Mutter meinen Vater verloren hatte, wurde sie zu einem ganz anderen Menschen was nicht zuletzt ich zu spüren bekommen habe. Zu lieben und geliebt zu werden hat mich, was ich rückblickend sagen kann, egoistisch und blind gemacht. Aber alleine schon der Gedanke daran, dass ich den Mann meines  Herzens verlieren könnte, hat mich innerlich schreien lassen. Mittlerweile sind diese Schreie in mir verstummt und ich bin immer mehr auf eigenen Beinen im Leben angekommen. Die verletzliche Seite an mir ist aber geliebten. Eine Angst, die verzweifelt versucht davor auszuweichen, was ich in den letzten Jahren versäumt habe. Ich weiß dass langsam die Zeit gekommen ist, in der ich aufhören muss immer alles nur um mich kreisen zu lassen. Denn eigentlich bin ich doch so gar nicht. Ich möchte nicht als Wesen von dieser Welt gehen, welches es nicht geschafft hat, die Liebe zu geben, die ich in mir spüre. Sicherlich mag meine Art gelebt zu haben nicht zu entschuldigen sein, aber ich halte die Enge in mir einfach nicht mehr als. Es ist als ob sich in meinem Inneren ein Gefäß, immer und immer weiter mit meinen Emotionen gefüllt hätte, bis es jetzt so voll geworden ist, dass es droht zu zerspringen, wenn nicht vorher der Korken rausgezogen wird. Viel Überwindung hat es mich gekostet und die letzten Zweifel werden wohl nie ausgelöscht werden aber Entschluss steht. Wenn der ganze Trubel um unsere Feier vorbei ist, möchte ich Richard darum bitten, dass wir uns eine gemeinsame Auszeit nehmen um Versäumnissen aus der Vergangenheit entgegen zu gehen. Denn ich denke, obwohl mein Mann diesbezüglich mir schon einen Schritt vor raus ist, gibt es bei ihm aus noch Einiges wo es unbedingt nötig sein wird neue Brücken zu bauen. Ein warmer Schauer durchläuft meinen, durch die Gedanken eingefrorenen Körper. Obgleich dieser Schauer etwas unangenehmes mit sich zu bringen scheint, gibt er das Gefühl das Richtige zu tun.

Die Melodie zwischen Zukunft und VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt