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"Morgen~" Finn grinst mich an. "Gut geschlafen?"
"Ging . ." Die Lehrerin erzählt noch irgendwas unbedeutendes und wir können uns wieder aufteilen. Ich laufe mit ihm langsam Richtung Schulhof.  "Es ging?"
"Nicht schlechter als sonst . ." Wir setzen uns diesmal auf eine Mauer.
Finn seufzt. "Woran liegt es?"
"Keine Ahnung. . . Hast du gut geschlafen?"
"Es ging. Mira weint zurzeit oft in der Nacht."
"Warum?" Ich werde hellhörig.
"Ach..das passiert halt manchmal.. Alpträume und so" meint er nur.
"Mhm . .verstehe . ." schon komisch . . Ich hole den Fragebogen hervor und blättere durch.
"Womit fangen wir an?"
"Was ist dein Lieblingstier ?" Ich gehe in mich und überlege währenddessen selbst.
"Mh..das ist schwer..ich mag viele Tiere." Er überlegt. "Raubkatzen und Hunde."
Ich notiere das unkommentiert.
"Und dein Lieblingstier?"
"Ich denke Füchse. Egal ob Rotfuchs, Bengalfuchs, Kapfuchs, Steppenfuchs oder andere Fuchsarten."
"Wow du scheinst dich gut auszukennen."
Ich zucke mit den Schultern. "Hab eben Zeit mich über sowas zu informieren."
"Erzähl mir etwas über Füchse."
"Aber das gehört nicht zur Aufgabe."
"Ist doch egal." Finn muss schmunzeln. "Es interessiert mich."
"Ich. . Kann dir später davon erzählen . ."
"Wieso denn nicht jetzt?"
"Weil wir diese Zettel noch ausfüllen müssen."
Er seufzt "Na gut.."
"Kannst du gut Schauspielern?"
"Ich würde sagen ja, warum?"
"Das ist eine Frage die hier drauf steht . ."
"Ah achso..natürlich." Finn lacht verlegen.
süß . .warte . .Was? Ich muss mich zusammen reißen und mich auf diese Zettel konzentrieren.
"Timo?" Finn schaut mich fragend an. "Ich fragte, ob du dich für die Umwelt einsetzt."
"Oh . . Sorry . . Nicht wirklich . ."
"Ist es dir egal?"
"Nein . ."
"Also hast du noch nie darüber nachgedacht?"
"Doch schon . ."
"Aber?"
Ich zucke mit den Schultern. "Du?"
"Mir geht es wie dir.."
"Oh . .okay" Ich schreibe es nieder. unerwartet . .
Wir stellen uns noch einige normale Fragen bis Finn sich wieder eine pikantere aussucht. "Was macht dich traurig?"
"Die Menschheit. Und dich? . ." Ich wollte schnell von mir abwenden.
"Huh? Ehm.." Er sieht zur Seite. "Meine Eltern.." Sein Blick richtet sich auf einen Punkt und er unterdrückt seine Emotionen schnell und überspielt diese mit einem Lächeln. "Naja ab und zu gibt es immer etwas was nicht so glatt läuft was?"
Ich mustere ihn. "Was ist mit deinen Eltern ?"
Finn schüttelt mit dem Kopf. "Sie wohnen nur nicht mehr bei uns."
"Und warum ?" Das frage ich mich schon lange . .
Er wirkt plötzlich so bedrückt . . Da stimmt doch was nicht . . Vorsichtig berühre ich ihn an der Schulter.
Tränen bahnten sich ihren Weg aus seinen Augen und drohten seine Wange hinunter zu laufen. Doch bevor dies geschieht, wischt er sie hektisch weg. "Vergiss es." Meint er lächelnd.
"Willst du reden . .?" Ich schaue ihm in die Augen. So ein Angebot von mir ist einmalig. Ich kenne diese soziale Ader gar nicht.
Finn behält sein Lächeln. "Worüber denn? Es gibt nichts Timo..mach dir keine Gedanken."
"Mach ich nicht . ." Ich schaue zur Seite und dann auf den Fragebogen und blättere durch die Fragen.
"Gut." Er steht auf. "Ich gehe kurz auf Toilette.. bin gleich wieder da.." und damit verschwindet er ins Schulgebäude.
Ich seufze. Was ist denn los mit mir? Mich sollte das gar nicht interessieren. Mir geht es plötzlich extrem schlecht. Sind das Schuldgefühle? Aber was kann ich denn dafür dass es ihm so geht? Ich stehe auf und suche nach ihm. Ich kenne die Ecken wo man sich am besten verkriechen kann  und finde ihn tatsächlich. Er hat Kopfhörer drin. Mein Blick fällt auf sein Handy, welches ein Video abspielt. Ich schaue es mir eine Weile an, bevor ich mich wortlos neben ihn setze.
Das Video ist nach einigen Minuten zu Ende. Stumm greift Finn danach. Sein Blick richtet sich auf. "Timo..?"
"Lüge mich nie wieder an. Ich mag das nicht." Meine ich nur und stütze meinen Kopf auf meiner Hand während ich an einen Punkt starre.
".tut mir leid.." entgegnet Finn etwas perplex. Er sieht wieder nach vorne. Nach einer Weile lehnt er sich leicht an mich und legt seinen Kopf auf meine Schulter "..nur kurz..versprochen..." sagt er leise.
"Okay . ." Es fühlt sich komisch an. Aber es ist irgendwie auch . . schön?
Finn schließt für einen Moment die Augen. Ich denke nach langem mal an gar nichts. Mein Kopf ist einfach leergefegt.
"Sie sind schon eine Weile nicht mehr da..."
"Verstehe . ." Ich lasse ihn einfach reden.
"Vor fast 3 Jahren..hatten sie einen Autounfall... Seitdem..lebe ich mit Mira alleine..."
"Wie ist das passiert ?"
"Ein Lkw war auf ihrer Spur.. und ist frontal ins Auto gefahren...es..war nichts mehr übrig...von der vorderen Seite unseres Autos...ich wurde ins Krankenhaus gebracht..sie..nicht..
"Ich verstehe . ." Durch das fehlende Mitgefühl fällt es mir schwer ihm Zuneigung zu zeigen. Ich habe Verständnis für sein Denken und Fühlen aber mehr konnte ich nicht entgegen bringen.
"Entschuldige.." Er setzt sich wieder normal hin und wischt die Tränen weg.
"Kein Problem . . Können wir weiter machen?"
"Ja natürlich."
"Am besten du wäschst dir kurz das Gesicht mit Wasser,  dann erkennt man nicht, dass du Tränen vergossen hast."
"Sehe ich so schlimm aus?" Er überprüft das mit seiner Handykamera. "Nagut..komm." Wir laufen kurz zum Klo, wo er sich das Gesicht wäscht und gehen wieder zur Mauer.
Dort angekommen erledigen wir noch einige Fragen.
Es klingelt und unsere Wege trennen sich.
Ich sitze im Klassenraum und lasse den restlichen Schultag über mich ergehen.
Als es später wird, nehme ich meine Sachen zusammen und laufe zu einem Café wo ich mich schließlich nieder lasse.
"Timo!!" ruft eine zierliche Stimme durch die Reihen.Überrascht sehe ich auf und erblicke Mira die mich augenblicklich umarmt. Mit einem kleinen Lächeln erwidere ich die Umarmung des kleinen Mädchens und setze sie neben mich. "Wo ist Finn?"
"Mh? Da vorn." Sie zeigt in Richtung Kasse.
"Mira?!" Mit zwei Eistüten in der Hand läuft Finn durch das Cafe, bis er sie in der hintersten Ecke erblickt. Finn seufzt erleichtert und geht zu ihr. "Du kannst nicht einfach weglaufen, Mira!" meint er streng und will noch etwas anfügen als er mich neben ihr sitzen sieht. "Timo..? Was machst du hier? Ach verdammt!" meint er als ihm das Eis auf die Hand tropft. Schnell gibt er Mira ihr Eis, nimmt eine Serviette und wischt die Sauerei weg. "Entschuldige.."
Ich beobachte Finn. Er scheint ziemlich durch den Wind zu sein. Kein Wunder wenn Mira einfach weg läuft. "Kein Problem." entgegne ich nur und sehe kurz zu Mira die glücklich an ihrem Eis leckt. Schon ein interessanter Zufall, dass sie ausgerechnet heute zu dieser Zeit hier auftauchen, während ich hier sitze. "Setz dich doch . ." meine ich ohne groß vorher darüber nach zu denken. komisch . . Normalerweise hätte ich erst überlegt was Vorteile und Nachteile wären.
"Danke." Finn lächelt, setzt sich gegenüber und isst sein Eis. "Was machst du hier?"
"Ich. . Wollte nur etwas warmes trinken . ." Und vermeiden nach Hause zu gehen
"Verstehe. Bestell was du willst. Wir laden dich ein, nicht wahr Mira?" Er sieht zu ihr und sie nickt grinsend.
"Das . . Ist doch nicht nötig."
"Du kannst uns beim nächsten mal einladen."
"Beim . . Nächsten mal ?" wie oft wollte er das hier machen?
"Ja wieso?" Finn lächelt breit.
Ich weiche seinem Blick aus und schaue  auf den Tisch. "Nur so . ."
"Hast du damit ein Problem?"
"Nein . ." Ich sehe zu Mira und plötzlich fällt mir wieder was ein. "Wann . . Soll ich zu dir kommen ?"
"Oh stimmt..mh..hast du vielleicht am Sonntag Zeit? Morgen kommt Liam und am Samstag wollte ich ihr Ruhe gönnen."
"Klar . ." als ob ich je was vor habe . .
Er lächelt. "Super!"
Als mein Tee kommt nippe ich an diesem. Ich wusste kein Gespräch mit Finn anzufangen . . Daher belasse ich es einfach bei der Stille.
Ich versuche die anderen beiden auszublenden und versinke wieder in meiner Gedankenwelt.
Mira wird es irgendwann zu langweilig weshalb sie anfängt nicht nur Finn sondern auch mich mit Fragen zu löchern.
Sie reist mich komplett aus meiner Welt und stellt Fragen ohne vorher darüber nachzudenken. Fragen die sonst keiner einfach so stellen würde . .
"Wo sind deine Eltern Timo?"
"Bei mir zu Hause . ." Mich bedrückt diese Frage etwas.
"Wie sind die so?" Mira schaut mich mit großen Augen an.
Ich unterdrücke meine Gefühle und denke nach. Was antwortet man einem Kind? Muss man ihnen die Wahrheit sagen? "Sie sind . . Nett."
"Nett?" Sie legt ihren Kopf schief. "Spielen sie mit dir?"
Finn mustert mich. "Mira..ich denke das reicht ja? Wieso spielst du nicht etwas in der Spielecke?"
"Nagut.." Sie steht auf und geht dorthin.
"Alles okay..?"
Ich nicke nur und behalte den Blick gesenkt. Die Fragen haben ziemliche Erinnerungen hoch gespült was gewisse Emotionen hervor rief. Ich fühle mich plötzlich so erdrückt.
"Timo..?" Finn sieht mich besorgt an und setzt sich neben mich. "Es tut mir leid, falls Mira etwas falsches gesagt hat.."
"Schon gut . ." Da wir uns auf der Bank befinden und ich direkt am Fenster sitze habe ich keine Fluchtmöglichkeit. Es ist mir einfach nur unangenehm.
Finn legt eine Hand auf meine Schulter und sieht mir direkt in meine Augen. "Timo..lüg mich doch nicht an." Er mustert mich und verliert sich für einige Sekunden in meinen bunten Augen.
Als meine Augen auf seine treffen und er meine Schulter berührt wird mir plötzlich ganz heiß und ich spüre wie meine Augen feucht werden.
Ohne darüber nachzudenken, legt Finn seinen Arm ganz um mich und zieht mich an sich, sodass niemand sonst meine Tränen sehen kann. "Alles ist gut..." flüstert er, als ein leises Schluchzen zu hören ist. Meine Hände krallen sich wie von selbst in sein Shirt und meine waren Gefühle kommen zum ersten mal bei jemand anderem zum Vorschein.
Er streichelt behutsam meinen Rücken und lässt mir einfach die Zeit mich zu beruhigen. Mit der Zeit verstumme ich. Ich habe mich beruhigt und löse mit vorsichtig von ihm. Mir ist das plötzlich extrem unangenehm und ich würde am liebsten fliehen. "Tschuldige. ." sage ich leise.
Finn schenkt mir ein sanftes, aufrichtiges Lächeln und wischt mit seinen Daumen meine Tränen von der Wange. "Schon gut..manchmal braucht man das.." flüstert er.
"Wie du meinst . ." Ich schaue weg und versuche meine Gedanken zu ordnen.
Er überlege kurz und kramt einen Filzstift aus seiner Schultasche, zieht meine Hand zu sich und malt einen lächelnden Smiley auf meinen Handrücken.
Verwirrt blicke ich auf meine Hand und sehe dann in Finns Gesicht. Grinsend mustert er mein verwirrtes Gesicht. "Wenn du traurig bist..male ich dir ein lächelndes Gesicht, sodass du nicht alleine bist..." meint er. "Naja..so hat es meine Mom immer gesagt...sie meinte, dass sie immer an meiner Seite ist, sobald ich diesen Smiley male. Er lächelt mich an. Ich lächle tatsächlich leicht und sage kaum hörbar. "Danke . ."
Sein Lächeln wird noch breiter als er das hört. "Nun..bin ich an deiner Seite ja?"

Dunkle Schale, heller KernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt