Der vertraute Geruch ihrer Mutter hüllte das winzige Tigerjunge ein. Nur ein Geruch und den Klang ihrer Stimme, die sie seit wenigen Herzschlägen wahrnehmen konnte. Dennoch waren die Eindrücke von der Tigerin um sie vertraut und liebevoll.
Plötzlich mischte sich ein zweiter Geruch dazu, er war bedrohlich und strahlte Macht aus, wie eine schwarze Wolke. Das Junge maunzte ängstlich und drängte sich noch näher an das beruhigend pochende Herz ihrer Mutter, der großen Tigerin.
Eine Stimme erklang, sie war hart und schneidend, wie die Dunkelheit und die schroffen Steine, die die junge Tigerin umgaben. »Du weißt, was du tun musst, ich hatte gehofft es würde anders kommen, wir werden sie verbannen müssen.« Antwortete der fremde Tiger nach einer Ewigkeit des Schweigens. Die Worte waren für das Junge unverständlich und sie konnte den Sinn hinter ihnen nicht verstehen, doch sie hörte die Enttäuschung und wusste instinktiv, dass es um sie ging.
Sie spürte, dass das Herz ihrer Mutter schneller schlug. Die große Tigerin hatte Angst. Um sie. »Wir warten bis sie einen Namen angenommen hat, Feuerklaue, sie ist meine Tochter, wir sollten ihr trotzdem eine Chance geben.« Das verzweifelte Fauchen ihrer Mutter schnitt dem Jungen ins Herz. Sie verstand zwar nichts von dem, was Geredet wurde, doch sie spürte die Verzweiflung und die Angst ihrer Mutter. Sie konnte außerdem die Enttäuschung und ebenfalls eine Spur Angst bei ihrem Vater spüren.
Er knurrte noch etwas, doch das Junge war vor der Erschöpfung der vielen Gefühle und neuen Eindrücken eingeschlafen. Unwissend, dass sie ihr ganzes Leben vor sich hatte, und Gedankenlos, was die Zukunft ihr bringen würde.
***
Das Junge öffnete die Augen. Erneut regten sich die Eindrücke in ihr, doch dieses Mal kannte sie es schon. Licht sickerte durch einen Felsspalt, um sie herum. Dunkelheit und Steine. Der Himmel und die Seiten waren ebenfalls aus Stein. Die Tigerin hatte zum zweiten Mal in ihrem Leben ihre Augen geöffnet. Beim ersten Mal hatte sie sie direkt wieder geschlossen. Ein Tuch hatte sich über ihr Gehör und ihren Geruchssinn gelegt, doch sie konnte sehen!
Zum ersten Mal sah sie ihre Mutter. Fasziniert blickte das Junge um sich. Sie hatte Angst, dass alles verschwinden würde, wenn sie die Augen wieder schloss. Sie bemerkte den Blick ihrer Mutter und piepste mit ihrer hohen Stimme vor Begeisterung »Ich kann sehen! Ist das die große Welt?« Das Junge tappte ehrfürchtig weiter auf dem Stein, der hart auf ihre zarten Pfoten traf. Weiter hatte sie sich noch nicht von ihrer Mutter weg getraut. »Nein, du wirst die Welt kennenlernen.« Schnurrte ihre Mutter »Hoffe ich« fügte sie leise hinzu. Das Junge blinzelte verwirrt, der traurige Tonfall machte sie nachdenklich, doch sie traute sich nicht zu fragen.
»Wolke, sie ist jetzt bereit.« Das Junge drehte sich ruckartig um. Sie hatte den Tiger schon öfters in ihrer Nähe gespürt. Das war ihr Vater. Er hatte eine kraftvolle Ausstrahlung, doch trotzdem konnte sie seine Liebe zu ihr spüren.
Die kleine Tigerin blickte auf. Ein großer Tiger stand in einem Lichtspalt der zwischen den harten Steinen hindurch sickerte. Sein Pelz war nicht wie der ihrer Mutter, er war rot. Als ihr Vater sich zu ihr umdrehte und ihr in die Augen blickte, zuckte sie zurück. Eine kalte Welle hatte sie getroffen. Die Augen waren eisblau und funkelten machtvoll. Sie blinzelte schnell und das Gefühl der erdrückender Macht verschwand.
Sie blickte noch einmal in die Augen ihres Vaters. Er blickte sie an. Sie konnte Verzweiflung darin sehen, doch sofort verschloss sich seine Miene wieder. »Nein Feuerklaue, wir...« das verzweifelte Knurren ihrer Mutter erstarb, als Feuerklaue bedrohlich knurrte »Wir haben schon diskutiert. Mach es dir, und mir auch das kannst du mir glauben, nicht noch schwerer als es sowieso schon ist. Es ist für das Rudel am besten. Das Wohl des Rudels steht an erster Stelle.« In seiner Stimme schwangen Zweifel mit, doch als das Junge ihm den Blick zuwandte straffte er entschlossen die Schultern.
***
Ein lauter Schrei unterbrach die Stille. Todesvögel, nicht aufschauen, entschlossene Stärke zeigen! Redete sich das Junge ein. Wolke, ihre Mutter hatte ihr das eingeschärft und es half. Keiner der langhalsigen gruseligen Vögel beachtete sie.
Vorsichtig stellte sie einen Fuß vor den anderen. Trockenes Gras pikste in ihre Ballen. Kurz vorher hatte sie sich noch unter Bäumen mit riesigen Ästen bewegt, doch jetzt tapste sie auf einer weiten Ebene mit Gras, dass ihr bis zu den Ohren ging und sandigem Boden, der ihre Schritte sacht abfederte.
Sie blickte zum Himmel hoch. Er war so riesig. Die kleine Tigerin suchte den Stern. Er leuchtete hell und hatte an seiner Seite zwei weitere Sterne.
In diese Richtung sollte sie immer weitergehen, bis sie den Stein der Namen fand. Ach nein, es war der Fels der Namen. Sie verstand nichts davon, was war das? Diese Namen. Bis jetzt war sie einfach nur sie gewesen.
Leise trabte sie weiter. Jetzt genoss sie den Wind zwischen den Grashalmen und die unendlich vielen schönen Sternen über ihr. Nach einer Weile fühlte sie sich erschöpft. Der Atem kam keuchend aus ihrer Lunge. Die Welt war so groß! Bisher dachte sie, die dunkle Höhle wäre die einzige Welt. Doch sie hatte es geahnt. Öfters hatte sie Gerüche wahrgenommen. Gerüche von anderen Tigern, aber gesehen hatte sie nie einen. Das Junge blicke zu den Sternen. Sie verblassten bereits, die Sonne würde bald aufgehen. Ihr erster Sonnenaufgang, den sie sehen konnte!
Aber wie sollte sie es bis zu dem Fels der Namen schaffen, bevor die Sonne aufging? Vor ihr dehnte sich die Savanne aus. Ihre Mutter hatte ihr alles beschrieben. Mehrmals war ihre Stimme dabei gebrochen. Das Junge ließ vor Trauer den Schwanz hängen.
Irgendwo zwischen Horizont und ihr waren Bäume. Dazwischen glitzerte Wasser und daneben war ein riesiger Fels, der Steil nach oben ging.
Die Tigerin kroch völlig ausgelaugt zu dem Wasser. Noch nie war sie so weit gelaufen. Es war ein kleiner See, in dem sich die Sterne spiegelten. Aus einer kleinen Quelle am Fuß des Felsens sprudelte unaufhörlich Wasser.
Das Junge blinzelte erschöpft zu dem Felsen. »Du musst da hoch, so wie jedes andere Junge, wenn es stark genug ist dafür.« Halltenn die besorgten Worte ihrer Mutter in ihrem Kopf nach.
Das Junge kroch bis zu dem Felsen und blickte die steile Wand hoch. Wie sollte sie das schaffen? Sie rammte ihre Krallen in den harten Stein und hievte sich ein Stückchen hoch. Sie versuchte es immer wieder, doch nach kurzer Zeit verkrampften sich ihre Muskeln. Ich muss es schaffen! Ich bin doch ein ganz normales Junges, jeder hat es geschafft! Knurrte sie innerlich vor Verzweiflung.
Sie blickte zum Himmel. Der Mond schickte seine letzten Strahlen über die Weite. Ich muss es schaffen, bevor die Sonne aufgeht, ich werde nicht ohne etwas zurückkehren! Sie setzte sich und schloss die Augen. Es schien, als leuchteten die Sterne durch ihre Lider. In der Mitte glitzerte ein großer blauer Stern. Neue Energie durchströmte sie. Ein warmes Gefühl kribbelte in ihrem ganzen Körper, als wäre der Stern in ihr, als würde er durch ihren Körper strömen. Neue Energie erfasste sie. Es war, als schickte der Stern ihr neue Kraft. Das Junge öffnete die Augen wieder. Der Stern war verschwunden.
***
Die Tigerin saß auf dem Plateau. Unter ihr schimmerte der See, indem sich die Sterne spiegelten. Sie richtete den Blick auf den Horizont und schloss die Augen. Hallo Stern! Die Tigerin öffnete die Augen wieder und sprang auf. Die Stimme war überall um sie herum. Sie hallte auf dem Felsen wieder. Der Stern wird immer in deinem Herzen leuchten. Du bist der Stern der Hoffnung. Und jetzt geh, Stern, und folge deinem Herzen.
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Stern der Hoffnung
FantasyDie Tigerin saß auf dem Plateau. Unter ihr schimmerte der See, indem sich die Sterne spiegelten. Sie richtete den Blick auf den Horizont und schloss die Augen. 𝐻𝒶𝓁𝓁𝑜 𝒮𝓉𝑒𝓇𝓃! Die Tigerin öffnete die Augen wieder und sprang auf. Die Stimme...