Sie wirft die Wohnungstür hinter ihren Kinder zu und stellt sich vor, wie diese, mit ihren viel zu großen Schulranzen nun das Treppenhaus hinunter poltern, raus in die versmogte Stadt und über die Straße zum Busbahnhof.
Sie ist so müde.Schon lange tritt sie nicht mehr an das winzigen Küchenfenster, um besorgt ihren Söhnen nach zu sehen, zu kontrollieren, dass sie sicher auf der anderen Straßenseite ankommen, den richtigen Bus nehmen, keine Passanten, oder alten Damen anrempeln, oder ihren Kaugummi auf den Bürgersteig spucken. Schon lange nicht mehr.
Sie kehrt in die Küche zurück, ohne aus dem Fenster zu sehen, lässt sich mit leerem Blick auf den Stuhl sinken und trinkt, mehr aus Gewohnheit, als aus Genuss, den letzten, kalt gewordenen Rest Kaffee. Das tut sie jetzt immer. Trinkt den kalten Kaffee und denkt nichts. Diese zwei Minuten gehören ihr.Früher hätte sie vielleicht mit liebevollem Blick die Sauerei, die die beiden Kleinen auf dem Tisch zurück gelassen haben, betrachtet und gedacht, wie schön es ist ihre Söhne beim ausgelassenen Frühstücken zu beobachten, wie sie herumalbern und lachen und ihre Gesichter mit Marmelade beschmieren. Hätte vielleicht sogar die angeknabberte Brötchenhälfte aufgegessen, sich im Stuhl zurückgelehnt, die Augen geschlossen und sich glücklich gefühlt. Sich wichtig und unentbehrlich gefühlt. Aber jetzt fühlt sie sich nur einsam und zurückgelassen und irgendwie selbstverständlich.
Sie sehnt sich in ihr altes Leben zurück, vor den Kindern und schämt sich dafür. Als Paul sie noch auf diese ganz bestimmte Art angesehen hatte.
Er liebt sie noch immer, das weiß sie, aber sie hasst diesen halbherzigen, erschöpften Kuss auf die Wange, wenn er Abends nach Hause kommt. Hasst es wie er den Arm um sie legt, wenn sie zu ihm aufs Sofa kriecht, nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hat. Hasst es, dass er jeden Abend vor dem Fernseher einschläft und hasst sein Schnarchen dabei.Und jetzt sitzt sie da, die Tasse in Händen, starrt ins Leere und fühlt sich selbst ein wenig wie dieser kalt gewordene Kaffee.
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Streifzüge
Ficción GeneralIrgendeine graue Stadt. Ein farbloser Morgen, ein heißer Sommertag, ein einsamer Abend. Ausschnitte aus den Leben Fremder. Eine kleine Sammlung von Momenten...