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Ich konnte in den nächsten Tagen gar nicht aufhören, an ihn zu denken. Ich wusste ja, dass man als Teenager manchmal viel zu schnell Gefühle entwickelte, aber so schnell?

Kopfschüttelnd schreibe ich weiter an meinen Hausaufgaben. In Drama müssen wir einen Konflikt als Szene ausarbeiten. Ich bin mit Liam und Harrison in einer Gruppe und wir haben uns für Social Anxiety entschieden. Wir wollen einen Konflikt mit einem Lehrer schildern, wo der Lehrer keine Rücksicht auf die Angststörung des Schülers nimmt. Das passiert leider viel zu oft.

,,Hallo mein Schatz, möchtest du mit mir Abend essen?", fragt meine Mum lächelnd, als sie den Kopf zur Tür rein steckt. ,,Ja, bin in zwei Minuten unten", antworte ich und klappe mein Heft zu. Ich wasche mir noch die Hände und ziehe mir meinen Pulli aus, Heizungsluft ist so schrecklich heiß und trocken.

,,Was gibt's denn?", will ich neugierig wissen, als ich den leckeren Duft wahrnehme. ,,Spaghetti Carbonara." Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich lege Besteck für uns beide auf den Tisch.

,,Wie war dein Tag, gibt es etwas Neues?" - ,,Wir haben in drei Wochen unsere Drama Performance, alle Eltern sind eingeladen. Das Studio wurde extra neu gemacht und wir haben sogar einen neuen Lichttechniker!", erzähle ich ihr begeistert und sehe ihr dabei zu, wie sie mir die heiße Soße über meine Nudeln löffelt. Der Duft verteilt sich im ganzen Raum und ich greife gierig nach meiner Gabel und meinem Löffel.

,,Das klingt toll, ich schreib mir das später in den Kalender. Verrätst du mir schon, was ihr spielt?" - ,,Ich kann dir nur sagen, dass es emotional wird und du noch einige Zeit darüber nachdenken wirst", schmunzle ich und sie schüttelt lächelnd den Kopf. ,,Deine Lehrerin ist aber auch wirklich toll, ich hab sie schon lange nicht mehr gesehen. Vielleicht kann ich mich ja dann endlich mal wieder mit ihr unterhalten." Ich nicke darauf nur.

,,Du Schatz, ich muss morgen ein bisschen länger arbeiten, soll ich dir was vorbereiten?", fragt sie lieb. ,,Nein, alles gut. Ich hab morgen um vier ja eine Therapiestunde und danach kann ich einfach zum Thailänder gegenüber gehen. Wenn du willst bringe ich dir ein Curry mit." - ,,Das wäre lieb, ich werde nicht vor halb sieben zu Hause sein."

,,Wie geht es Liam? Will er vielleicht am Wochenende zum Essen kommen?" Ich überlege kurz. Ein Samstagabend mit Liam klingt nicht schlecht und dann kann ich ihm vielleicht auch mehr von Mr Tomlinson erzählen. ,,Ja gerne, ich frag ihn morgen mal. Er wird sowieso ja sagen, er liebt dein Essen", lache ich und Mum sieht mich zufrieden an. ,,Du siehst gut aus heute", sagt sie. Meine Wangen werden ein bisschen heiß und ich lächle dümmlich. ,,Mummy..." Sie macht mir immer in ganz komischen Momenten die süßesten Komplimente und das macht mich immer ganz verlegen.

,,Ach mein Großer, ich freue mich doch nur, wenn es dir gut geht." Ich nicke lächelnd und lehne mich herüber, um sie auf die Wange zu küssen, woraufhin sie sich lachend meine Spucke wieder abwischt. ,,Hab dich lieb, Mum."

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Ich liege abends in meinem Bett und starre an die Decke, an der noch ein paar von meinen alten Leucht-Sternen kleben und höre meiner alten Platte mit dem Soundtrack von Dirty Dancing zu. Sie hängt zwar alle zehn Minuten, aber das ist mir egal, ich hab die zu meinem elften Geburtstag bekommen, als ich ganz begeistert von Plattenspielern war.

,,Do you love me, do you love me", singe ich leise mit und trommle mit meinen Fingerspitzen auf der Bettdecke herum.

Meine Augen flattern zwischen meinem Fenster und meinem Schreibtisch hin und her. Von draußen scheint leichtes Laternenlicht herein, auf meinem Schreibtisch brennt eine Kerze. Langsam schlafe ich ein.

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,,Hallo Harry, bitte setz dich schon einmal ins Büro", begrüßt mich die Dame am Empfang und ich schlurfe durch die große weiße Tür. Ich habe das Gefühl ich rieche immernoch nach der Tinktur, die mir Liam aus Versehen in Chemie auf meinen Ärmel geschüttet hat und rümpfe meine Nase. Besonders attraktiv fühle ich mich nicht. Mein Nacken tut mir weh und meine Augenringe gehen sicherlich bis nach Somalia und weiter.

Ich setze mich auf die Couch und lehne meinen Kopf an die Lehne. Der Tag war lang und anstrengend. Ich hatte Chemie, Drama und war noch im Fitnessstudio der Schule. Die Sixth-Form hatte zwar ein besseres Angebot als die GCSE-Kurse, war aber auch total anstrengend. Die Lehrer erwarteten unfassbar viel von dir und denken, du hast kein Leben außerhalb der Schule, das dir Probleme bereiten könnte.

,,Oh Hallo, du bist ja schon da", sagt Mr Tomlinson lächelnd und schließt die Tür hinter sich. Er trägt einen schwarzen Hoodie und eine einfache Jeans. Er sieht unglaublich hübsch aus. ,,Ja, ähm hallo", erwidere ich zögerlich und zwinge mich, meinen Blick abzuwenden. ,,Wie geht's dir, irgendwelche spannenden Ereignisse?" - ,,Nicht wirklich, nur etwas Stress", seufze ich und fahre mir über meine Handgelenke. ,,Ich habe heute einen Fragebogen für dich, den du bitte für die Diagnose ausfüllen musst."

Er reicht mir ein kleines Heftchen und einen Kugelschreiber und setzt sich an seinen Schreibtisch. ,,Sag einfach Bescheid, sobald du fertig bist." Ich nicke daraufhin und schlage die erste Seite auf. Es sind Fragen wie "Redest du oft über deine Gefühle" oder "Wirst du schnell genervt wenn du traurig bist" und dann muss man Ja oder Nein ankreuzen. Das Ganze geht über fünf Seiten und ich mache mich daran, alles zu beantworten.

Immer mal wieder schiele ich zu ihm herüber und beobachte, wie seine blauen Augen hin und her huschen und wie sein Kieferknochen sich leicht anspannt. Sofort kommt mir meine kleine One-Man-Show in den Kopf und ich werde rot. Was würde er nur von mir denken, wenn er das wüsste... Ich will es mir gar nicht vorstellen.

,,Fertig", murmle ich und er steht auf und setzt sich zu mir. Er nimmt den Fragebogen entgegen und legt ihn auf den Glastisch. ,,Manche Fragen kommen dir vielleicht dumm vor oder kindisch, aber es ist wichtig, dass alles dokumentiert und ehrlich von dir beantwortet wird." Seine Stimme ist rau und ich starre auf seine schmalen, weichen Lippen. Sie glänzen leicht, weil er sich darüber geleckt hat und ich will, dass er sie auf meine presst.

Schnell schüttle ich meinen Kopf. Benimm dich verdammt nochmal, schreit mein Gehirn.

,,Wieso ist es wichtig, ob ich in einer Beziehung bin?", frage ich ihn. Das wurde auch auf dem Fragebogen abgefragt. ,,Manchmal fühlen sich Leute in einer Beziehung unterdrückt oder unwohl, dann versuchen wir mit ihnen darüber zu sprechen." Ich nicke verstehend.

,,Sind Sie vergeben?", rutscht es mir heraus.

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blöder cliffhanger, ich weiß :)

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 28, 2020 ⏰

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therapist || L.S. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt