Kurz spiele ich mit dem Gedanken, mich einfach umzudrehen und davon zu rennen. Ich will diese wirklich grandiose Idee gerade in die Tat umsetzen, als mir einfällt, womit der Unbekannte im Supermarkt gedroht hat. Er will mich anzeigen, wenn ich nicht mitfahre, und er kennt meinen vollständigen Namen. Mir bleibt im Grunde genommen nur die Wahl, ob ich meinen Zukunftsplänen jetzt auf der Stelle lebe wohl sagen möchte, oder ob ich mich auf sein Angebot einlasse und in den sauren Apfel beiße. Seufzend richte ich die Mütze auf meinen Haaren, damit meine Ohren weiterhin geschützt sind, und dann schreite ich im gemütlichen Tempo auf den Mann und seine Angeberkarre zu. Seinen Mantel trägt er noch immer offen und die Zigarette glüht noch kurz zwischen seinen Fingern, ehe er sie auf den Asphalt fallen lässt und mit seinen teuren Turnschuhen unschädlich macht. Angeekelt schüttel ich mich, kurz bevor ich ihm gegenüber, sichtlich unschlüssig, stehen bleibe. Nikotin und Drogen jeder Art ekeln mich einfach nur maßlos an. Niemals werde ich wohl verstehen, wie man sich selbst schaden kann, um für verschwindend geringe Zeit auszuschalten, so nennt Erec es immer. Ob er gerade high ist? Ich sollte bald nach Hause, sonst passiert noch etwas Schlimmes. Was soll das hier generell werden? Mein Blick fährt neugierig die Seite des Sportwagens ab, doch von den Kratzern ist kaum noch etwas zu erkennen, farblich jedenfalls. Beim genaueren Betrachten fallen mir nämlich noch immer gut sichtbare Unebenheiten auf der Beifahrertür auf. Wahrscheinlich wurden die Türen bisher nur neu lackiert und man wartet ein mögliches Verfahren ab, damit der Täter, potenziell aktuell fälschlicherweise leider noch immer ich, für die entstandenen Schäden aufkommt. Allerdings ist bei mir bei Weitem nicht so viel zu holen, um auch nur Bruchteile des nötigen Vermögens abzudecken. Ich verdiene relativ gut für meinen Berufszweig und wir kommen gut über die Runden, was natürlich noch besser ginge, wenn Erec sich nicht ab und zu an meinen Geldreserven bedienen würde, um sich die nächste Dosis zu gönnen, aber einen Großteil meines ersparten Geldes verwahre ich eh an einem sicheren Ort, den er zum Glück noch nicht gefunden hat.
,,Komm, steig ein. Ich will nicht ewig hier rumstehen."
Er klingt weder freundlich noch abweisend, die Worte erscheinen einfach ganz neutral. Langsam öffne ich die Tür und lasse mich auf den hellen Ledersitz gleiten. Die Innenausstattung verbirgt den Reichtum des Fahrers nicht im Geringsten. Es gibt einen leuchtenden Bildschirm, das Lenkrad ist mit etlichen Knöpfchen versehen und am Amaturenbrett leuchtet eine dezente LED-Lichtleiste. Ich schnalle mich an, dann ist es ganz leise bis er sich räuspert.
,,Ich habe mich über euch informiert..."
,,Woher kennst du meinen Namen, verdammt?"
,,Die alte Dame, die mich nachts noch beschimpfte, wurde am nächsten Tag sehr gesprächig, als ich ihr von dem Vorfall erzählte. Sie hat mir eure Wohnung gezeigt und natürlich fühlte sie sich dazu verpflichtet, mir zu helfen, euch eure gerechte Strafe zuzuführen. Scheinbar seid ihr nicht ihre Lieblingsnachbarn."
Während er in so hohen Tönen von Frau Zirmski schwärmt, mache ich mir eine mentale Notiz, dass ich sie im Treppenhaus wohl eher die Stufen küssen lasse, statt sie höflich zu grüßen, oder ihr auch noch ihre Einkäufe hoch zu schleppen, wie ich es zur Zeit manchmal mache, immerhin wiegen ihre Taschen teilweise so viel, als würde sie nur Backsteine transportieren und damit wird eine Frau ihres Alters nicht mehr allein fertig, weshalb ihr jede helfende Hand wirklich willkommen ist, was sie immer lautstark verkündet hat. Diesen Service werde ich ganz sicher einstellen, wenn der Hausdrachen es mir nun nachträglich auf diese Weise dankt.
,,Der junge Mann war dein Bruder, oder?"
,,Das geht dich gar nichts an."
,,Hör mir mal zu, Lora. Ich kann dafür Sorgen, dass ihr richtig Probleme bekommt. Bei einer Wohnungsdurchsuchung würden die Beamten sicherlich illegale Stoffe finden. Das wäre der Tropfen, der zusammen mit der Anzeige wegen dem entstandenen Schaden an meinem Wagen, das Fass zum Überlaufen bringen würde. Ihr würdet die Wohnung verlieren, du den Job. Niemanden würde es ehrlich interessieren, was aus den Junkiegeschwistern werden würde."
,,Woher..."
,,Woher ich weiß, dass ihr Dorgen habt? Glaubst du denn, dass ich seine Augen nicht gesehen habe? Ich erkenne einen Junkie, wenn er vor mir steht."
,,Das ist alles ein Missverständnis. Ich habe dein Auto nicht beschädigt, wirklich! Das war diese Tusse. Die ist plötzlich ausgerastet, hat rumgeschriehen und dann musste dein Auto dran glauben, damit habe ich nichts zutun. Lass mich da raus. Ich bin unschuldig, verdammt nochmal!"
,,Wie soll ich dir das glauben, wenn alles gegen dich spricht?"
Ich drehe mich frustriert weg von ihm und verschenke meine Arme vor dem Oberkörper. Schmollen ist sicherlich nicht angebracht, aber ich würde so gerne. Oder rumschreien und alles kurz und klein schlagen. Resigniert seufzend schließe ich meine Augen. Je länger ich in diesem Wagen sitze, umgeben von hochwertigem Leder und allem möglichen teuren Krimskrams, desto mehr sinkt meine Laune. Langsam erwacht das Monster in meinem Kopf zum Leben und streckt sich erstmal ausgiebig. Der Druck auf meine Schläfen nimmt unaufhörlich zu. Die Migräne streckt sich noch ein Mal, bevor sie ihre Tentakeln in beinahe jede Windung meines Gehirns steckt, so als würde sie etwas in den Tiefen meines Wesens suchen. Nur leider tut jede Berührung ihrer Tentakeln so unfassbar weh, dass mir die Tränen kommen, dabei schaue ich nichtmal ins Licht, was den Kraken nur noch mehr anziehen würde. Angestrengt kneife ich meine Augen zusammen und konzentriere mich auf meine Atmung. Das hilft nicht, lenkt mich aber ein wenig von den Qualen und diesem Ungeziefer ab, die mich fast täglich heimsuchen. Eine neue Welle fährt durch meinen Kopf und ich kann nicht anders, als schmerzvoll zu stöhnen.
,,Ist alles ok bei dir?"
Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Obwohl sie nur ganz leicht auf meiner Seite ruht, habe ich das Gefühl, als würde sie mich immer tiefer in den Sitz drücken und darunter durch. Meine Kehle wird ganz trocken und ich wünsche mir einfach nur noch, dass es endet wie auch immer das gehen könnte. Meine Medikamente sind so viel zu weit entfernt von mir und verschaffen mir auch erst nach mehreren Stunden die komplette Erholung.
,,Bring mich nach Hause, bitte."
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vorurteilhaft
Short Story,,Und weil du meinen Zwilling kennst, kennst du mich? Ich wünschte, die Welt wäre so einfach."