,,Halt an."
Ich weiß nicht, wo wir uns befinden, weil ich meine Augen aus Angst vor direkter Einstrahlung von Licht nicht geöffnet habe, seitdem die Schmerzen mich heimsuchen. Unter die Schmerzen hat sich eine zunehemd unerträgliche Übelkeit gemischt, die in naher Zukunft unschön ihren Höhepunkt finden wird. Wenn ihm sein Auto lieb ist, sollte er meinen Worten folgen.
,,Ist das wieder so ein Trick, damit du abhauen kannst?"
,,Ich würde es nicht darauf ankommen lassen."
Erst will ich ihn persönlich ansprechen, da fällt mir auf, dass ich seinen Namen bisher noch immer nicht kenne, doch es hat mir nichts ausgemacht bisher und so schlimm ist das auch nicht.
,,Gut."
Abrupt wird der Sportwagen in den Stand gebremst und es drückt mich tief in den Sitzt. Mir wird dadurch noch übler und ich zögere keine Sekunde. Ich reiße meine Augen auf und greife noch etwas blind nach der Autotür. Schwungvoll geht sie auf und ich falle ihr beinahe hinterher in die Nacht, würde der Gurt mich nicht zurückhalten. Hastig mit zitternden Fingern löse ich den Gurt und dann lasse ich die frische Nachtluft mich umgeben. Ich sinke auf den Bordstein nieder und meine Hände tasten fahrig den kalten Grund ab, doch es gibt keinen Ausweg mehr. Die abrupte Bremsung hat alles nur noch schlimmer gemacht. Das Pochen wird noch stärker und ein Schluchzen verlässt meinen Körper, dann verabschiede ich mein Mittagessen auf den Bordstein und bleibe keuchend sitzen. Hundeelend ist kein Ausdruck für meine Gefühle. Am liebsten würde ich mich in eine Decke hüllen und einfach schlafen. Schlafen bis sich alle meine Probleme von selbst lösen. Im Hintergrund wird eine Autotür zugeschlagen und dann ertönen Schritte, die sogar meinen keuchenden Atem, der kleine Wölcken bildet, übertönen.
,,Bist du etwa schwanger?"
Erschöpft streiche ich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und blicke zu ihm hoch. Zum Glück steht er aus meiner Perspektive genau vor einer Laterne, sodass mich diese nicht blenden kann. Ich wische mir die getrockneten Tränen von den Wangen. Langsam verarbeite ich seine Worte und starre stumm zu ihm hoch. Er erscheint mir plötzlich regelrecht riesig neben mir, aber seine Worte nehmen ihm den Ernst, den seine Erscheinung vielleicht haben könnte.
,,Hast du etwa Angst, dass das Kind von dir ist?"
,,Wie sollte das denn gehen?"
,,Na siehst du, dann hat es dich auch nicht zu interessieren."
Ich würge erneut und während er unbeteiligt neben mir steht, entleert sich mein Magen wiederholt. Erneut überrollt mich eine Welle der altbekannten Müdigkeit, dafür treten die Kopfschmerzen langsam in den Hintergrund. Beinahe erfreut darüber richte ich meinen Blick wieder auf und lasse meine Haare los, die ich schützend in den Händen gehalten hatte. Ich erblicke schmucklose triste Fassaden und eine Laterne, die flackernd um ihr Überleben kämpft. Sie geht an, leuchtet und erlischt, bevor sie ihr Licht wieder erlangt und verliert. Kurz schaue ich dem Spiel zu, bis es mir bekannt vorkommt. Ich kenne genau eine einzige Laterne, die soetwas in genau diesen Abständen macht und die kann ich von der Küche aus gut sehen. Er hat mich wirklich nach Hause gefahren und wir sind fast angekommen. Ich drehe mich um und kann tatsächlich das Haus sehen, in dem ich schon geboren wurde, vor einundzwanzig Jahren. Erleichterung fährt in meine Glieder. Ich hatte bis gerade angenommen, dass er mich nicht nach Hause bringt, sondern anderes mit mir macht.
,,Es ist nicht schlau, wenn man schwanger ist, noch weiter Drogen zu sich zu nehmen."
,,Wie kommst du darauf?"
,,Naja, dein Bruder ist doch ein Junkie..."
,,Und weil du meinen Zwilling kennst, kennst du mich? Ich wünschte, die Welt wäre so einfach."
Wütend erhebe ich mich, klopfe den Dreck von meinen Hosenbeinen ab und gehe auf noch immer wackeligen Beinen auf den Sportwagen zu. Ich kann es nicht fassen, dass er so dreist ist und mir soetwas unterstellt und gleichzeitig überhaupt Spekulationen über die Hintergründe des Befindens einer Person aufstellt. Verächtlich schnaube ich, als ich meine Handtasche vom Boden aufsammel, die wohl gemeinsam mit mir aus der Autotür gefallen war. Sie schlägt mir gegen die Beine, doch davon lasse ich mich nicht beeinflussen.
,,Jetzt sei doch nicht sofort beleidigt, Lora."
,,Ist doch wahr."
Ich danke meiner zuvorigen Übelkeit, denn die Kopfschmerzen sind so gut wie vergangen, obwohl sie mich üblicherweise stundenlang quälen. Ich finde selten schnelle Erlösung. Jetzt kann ich davon profitieren und mich schneller auf den Weg zur Haustür machen. Eine meiner Hände stützt sich an dem Metall des Autos ab, als ich mich wieder aufrichte. Kurz dreht sich alles, dann sehe ich die Welt wie sie mir bekannt ist. Mit Schritten, so schnell wie ich eben dazu in der Lage bin, steure ich auf diese verlockende Sicherheit zu. Den von mir verursachten Dreck kann ich auch morgen noch beseitigen, oder zumindest wenn dieser Mann wieder weg ist, aber selbst wenn er liegen bleiben würde, würde es niemandem auffallen so oft wie hier ein vergleichbares Missgeschick geschieht. Im Grunde genommen ist es sogar biologisch abbaubar und gar nicht so dramatisch schlimm, aber ekelig bleibt es. Der Geschmack in meinem Mund geht auch nach mehrfachem Schlucken nicht weg, aber da kann ich nichts machen. Tatsächlich bin ich schneller, als ich angenommen hatte und erklimme bald die drei Stufen.
,,Hau nicht wieder ab! Bleib hier!"
Der Mann umfasst meine Schulter von Hinten und will mich zurück ziehen, doch ich umklammere erschrocken die Türklinke, was mich an Ort und Stelle stehen bleiben lässt. Die harten Kanten drücken sich zwar schmerzhaft in meine Finger, aber ich denke nicht daran, ihn gewinnen zu lassen. Er scheint das zu bemerken, denn der Zug an meiner Schulter lässt nach. Ich entriegel die Tür mit meinem Schlüssel und will gerade in den Hausflur verschwinden, als er mich nochmal anspricht.
,,Bleib hier, Lora."
Langsam drehe ich mich zu ihm um. Ich habe verstanden, dass er mir nicht glauben will, aber ich habe alles getan, was er von mir haben wollte, dann soll er sich nicht so anstellen, sondern mich endlich nach Hause lassen. Ich bin erschöpft und will nur noch in mein Bett. Ein Glas Wasser wäre auch nicht schlecht.
,,Ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast, jetzt lass mich in Ruhe."
Beschwichtigend hebt er seine Hände, mit den Handflächeln zu mir, während er irgendetwas murmelt, von dem nur das Wort Hormone bei mir ankommt und am liebsten hätte ich ihm genau wegen diesen Hormonen eine Ohrfeige verpasst, aber ich kann mich im letzten Moment noch zurückhalten. Erbost balle ich meine Hände zu Fäusten und presse meine Lippen zusammen. Nachdem ich ihn nochmal angefunkelt habe, drehe ich mich um, passiere die Tür und drücke sie sofort hinter mir ins Schloss. Er hat kein Recht, in mein Leben einzugreifen, oder es zu kommentieren, oder irgendetwas zu tun.
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vorurteilhaft
Short Story,,Und weil du meinen Zwilling kennst, kennst du mich? Ich wünschte, die Welt wäre so einfach."