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Weil mein Chef, eigentlich mag ich ihn wirklich, vor einem halben Jahr die tolle Idee hatte, dass es seinen Mitarbeitern mehr Abwechslung verschafft, wenn wir alle paar Wochen unseren Einsatzort wechseln, ziehe ich einen völlig überbeladenen Einkaufswagen hinter mir her, in den bergeweise Nudelpackungen von den Kollegen der Lagerung gestapelt wurden. Ich weiß nicht, ob ich meine Körpergröße oder mein Gewicht dafür verfluchen sollte, dass es der Grund dafür ist, dass ich mit dem Einkaufswagen bei jeder Abbiegung, entweder ein Regal, oder einen Menschen mitnehme, oder aber riesige Bögen gehen muss und selbst dann schaffe es nur so ganz haarscharf, die möglichen Katastrophen zu verhindern. Als ich dann aber schnaufend vor der Regalwand zum Stehen komme, fällt mir ein, dass ausgerechnet die Nudelabteilung zu den Abteilungen gehört, die nicht nur an einem Ende der Verkaufsfläche ist, sondern auch über extra große Regale verfügt. Ich hätte mir eine Leiter mitnehmen sollen, aber ich sehe es absolut nicht ein, zurück zu gehen, um mir eine zu holen, dann müsste ich ja den ganzen Weg nochmal machen. Es wird auch ohne klappen. Zur Not stelle ich mich einfach in den Einkaufswagen, das ist doch kinderleicht. So beginne ich damit, die Regale von unten nach oben immer weiter mit den Packungen zu füllen, bis ich die Regalbretter fast nicht mehr erreichen kann. Ich wundere mich, was im Vorfeld hier passiert sein könnte, denn die Regale waren nahezu leergefegt. Gab es eine Rabattaktion, von der ich nichts mitbekommen habe? Für diese Theorie würden jedenfalls die teilweise noch existierenden roten Etiketten sprechen. Ich schaue auf den Wagen und stelle erleichtert fest, dass nur noch gut 10 Packungen übrig geblieben sind. Zuerst versuche ich eine Klettertechnik, aber kaum stehen beide Füße nicht mehr auf dem verdreckten Boden, kommt mir das Regal gefühlt entgegen, weshalb ich erschrocken abspringe. Theoretisch weiß ich, dass diese Regale an Decke und Boden ausreichend fixiert sind und nicht kippen können, aber aus Gründen der Sicherheit verwerfe ich diese Idee. Entschlossen schaue ich den Einkaufswagen an. Es führt kein Weg mehr dran vorbei, ich werde in ihn steigen müssen. Dafür wird der Einkaufswagen neben das Regal gezogen und eine meiner Hände klammert sich an eines der Bretter. Langsam hebe ich ein Bein an und schaffe es haarscharf, die hohe Kante zu überklettern, bevor es für meine Jeanshose kritisch würde. Wie ich dann darin endgültig lande, ist mir nicht klar, aber das Ergebnis zählt, weshalb ich mich motiviert daran mache, die Packungen an ihren Plätzen zu positionieren. Irgendwann bin ich damit allerdings fertig, doch der Weg aus dem Einkaufswagen ist ohne einen Helfer, der den Wagen festhält mehr als kritisch. Bei jeder Bewegung, setzen sich die Rollen in Bewegung und ich kann mich nur panisch an das nächstgelegene Regalbrett klammern.

,,Soll ich dir helfen?"

Überrascht schaue ich über meine Schulter hinweg zum Eingang des Ganges, wo ein mir leider mittlerweile viel zu bekannter junger Mann steht. Ich will beinahe auflachen und weinen zugleich, weil er mir in letzter Zeit eindeutig viel zu häufig begegnet.

,,Erst flüchtest du vor mir und dann tauchst du hier wieder auf. Was soll das, Antonin?"

,,Willst du mich durch deine lieblichen Worte etwa vertreiben? Ich kann dich auch da drin verrotten lassen."

,,Unterstehe dich! Hilf mir lieber."

Antonin hatte sich mir genährt, doch entfernt sich nun grinsend rückwärts wieder.

,,Ach, ich finde dich darin aber gerade so schön hilflos."

,,Ey! Was soll das?"

Er hat einen Satz nach vorn gemacht und sofort damit angefangen, den Wagen um sich selbst zu drehen, weshalb ich fast seitlich rausgekippt wäre, hätte ich mich nicht in letzter Sekunde hingekauert und an dem Gitter festgekrallt. Ich weiß nicht, was er erreichen will, aber das kann in einem wortwörtlichen Schleudertrauma enden. Offenbar ist er ein Anhänger von abrupten Bewegungen, darum hält er den Wagen schlagartig an, was meinen Magen erneut Purzelbäume schlagen lässt.

,,Sagst du mir jetzt, wer meinen Lack ruiniert hat?"

,,Ich kenne ihren Namen nicht."

,,Das glaube ich dir nicht, Schätzchen. Willst du noch eine Runde drehen?"

,,Nein! Bitte nicht! Aber es ist die Wahrheit. Ich kenne den Namen dieser durchgedrehten Tante nicht. Sie hängt oft bei Erec ab, aber ich kenne sie nicht."

,,Würdest du sie wiedererkennen?"

,,Ist es nicht etwas übertrieben, wegen einem Blechschaden die Polizei mit einzubeziehen und sogar eine Gegenüberstellung zu organisieren? Willst du etwa jede Frau zwischen 19 und 24 einladen, die eine Vorliebe dafür hat, sich das Hirn weg zu schießen und die Haare beim Trip grau zu färben? Dann wünsche ich viel Spaß."

,,Wie soll ich sonst überprüfen, ob du die nicht nur ausgedacht hast, um von dir und deinem Zwilling abzulenken? Vielleicht war er es ja im Wahnzustand. Er konnte kaum gerade stehen."

,,Weißt du was? Du fährst mich heute wieder nach Hause und ich überprüfe, ob sie bei uns ist und wenn ja, hole ich dich nach. Na, wie klingt das?"

,,Wir werden gemeinsam in eurer Wohnung nachsehen."

Der junge Mann beugt sich zu mir herüber und stützt sich mit den Armen auf das Gitter, das ich noch immer umklammer, falls ihm erneut eine ähnlich teuflische Idee wie gerade kommen sollte.

,,Aber..."

,,Entweder das, oder ich zeige dich doch an."

,,Das ist Erpressung."

,,Also bist du dabei?"

,,Hab ich eine Wahl?"

Er nickt und ein jungenhaftes Grinsen schleicht sich auf seine Züge. Antonin scheint zu bemerken, dass ich keinen weiteren Kommentar zu dieser Sache äußern werde, doch das scheint seine gute Laune nicht im Geringsten zu beeinflussen. Er lehnt sich zurück und will sich schon von mir entfernen, als ich ihn hastig aufhalte.

,,Hilfst du mir dann jetzt hier raus?"

,,Na gut, komm her."

,,Du könntest auch einfach den Einkaufswagen festhalten, das ginge ganz sicher auch."

,,Wo bleibt dann der Spaß?"

Er umfasst meine Hüfte und hebt mich aus dem Wagen. Es ist mir ein Rätsel, wie er das macht, immerhin ist dieser Korb ziemlich tief, aber er schafft es und das ist die Hauptsache. Endlich wieder auf festem Boden, atme ich erleichtert durch und bevor ich Antonin meine Meinung zu seiner Idee unterbreiten kann, ist der Gang auch schon wieder leer. Irritiert schaue ich mich um. Er ist einfach gegangen, ohne zu fragen, wann meine Schicht endet... naja, wenn wir uns verpassen, habe ich kein Problem mehr. Vielleicht starte ich darum auch zum ersten Mal seit Wochen motiviert in die zweite Hälfte meiner Schicht.

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