Kapitel 10

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Laura

Ich versank augenblicklich in den Tiefen ihrer Augen. Ich konnte in ihnen lesen wie in einem Buch. Niemals hätte ich gedacht, dass dies möglich war. Ich sah so unglaublich viel Angst, Unsicherheit und Trauer. Dies lies mich schwer schlucken, ich wollte ihr doch nur Freude bereiten. Und doch sah ich auch hinter all diesen negativen Gefühlen etwas, was mir die Tränen in die Augen trieb. Ich sah eine grenzenlose Zuneigung und eine endlose Verliebtheit, deren Ausmaß ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hatte. Ich sah dieses Glitzern und die Wärme, ich sah den Traum einer gemeinsamen Zukunft, in welcher wir beide zusammen sein konnten ohne irgendwelche Hindernisse. Ich sah den Wunsch zusammen auf einem Sofa zu kuscheln oder im Meer zu baden. Eine gemeinsame Wohnung zu beziehen und Kinder großzuziehen. Ich sah einfach Alles, was ich mir selbst erträumte.

Sprachlos lies ich die Sonnenbrille fallen. „Warum hast Du nie etwas gesagt?" fragte ich atemlos. Mein Herz schlug viel zu schnell und ich hatte das Gefühl als würde ich jeden Moment umfallen. Ich blickte ihr wieder in die Augen und sah Gewitterwolken aufziehen. „Bist Du nun zufrieden? Es gibt Gründe, warum ich Dir all das nicht gesagt habe. Es gibt Hindernisse, die unüberwindbar sind. Ich kann mich nicht auf dich einlassen, du bist  meine Schülerin." rief sie mir traurig und wütend entgegen. Man merkte ihr an, dass sie selbst mit der Situation haderte. Ich wollte sie glücklich sehen, ich wollte nicht, dass sie Angst haben oder unsicher sein sollte. Dafür war sie mir viel zu wichtig. Also holte ich tief Luft und sprach Worte, die mir selbst so wehtaten, dass ich zugleich begann zu weinen:

„Ich weiß nun, was ich wissen muss. Ich möchte Dir sagen, dass ich bereit bin, mich auf Alles einzulassen. Ich will Dich, Kim ist nur ein guter Freund. Bei niemandem sonst fühle ich so wie bei dir. Lass mich mit dir zusammen erleben wie sich das Paradies anfühlt. Mit ist bewusst, dass du dies nicht möchtest oder zumindest nicht zulassen kannst. Ich weiß, dass dein Einsatz in diesem Spiel weitaus größer ist als meiner. Ich akzeptiere Deine Entscheidung. Gestatte mit jedoch noch zwei Wünsche: ich möchte, dass wir uns mit Aufmerksamkeit behandeln in Zukunft. Ich möchte dir gerne hin und wieder meine Zuneigung zeigen können. Bitte akzeptiere das, ich zerbreche sonst an dieser Ignoranz. Mein zweiter Wunsch ist kurz: Bitte küss mich noch ein letztes Mal."

Mara weinte ebenso wie ich. Trotzdem straffte sie die Schultern: „Ein letztes Mal, ich wünschte nur die Lage wäre eine andere. Glaube mir, ich würde dir die Sterne vom Himmel holen." Mit diesen Worten zog sie mich an sich, legte ihre Hand an meine Wange und näherte sich langsam meinen Lippen. Beide zuckten  wir zusammen als sich unsere Lippen endlich berührten. Ein warmes Gefühl entstand und durchzog mich von Kopf bis Fuß. Leicht klopfte Mara an meinen Lippen an und ich öffnete diese. Wir vertieften den Kuss. Ich war angekommen. Es war wunderbar. Ja, dachte ich wieder, das ist es, das ist, was ich will. Für immer. Langsam lösten wir uns voneinander und gingen ohne Versprechen auseinander. Es war Alles gesagt.

Ich ging nachhause. Ich war nicht erschüttert, ich war nicht getroffen. Ich konnte das Gefühl nicht beschreiben. Einerseits war mein Herz randvoll mit dem Wissen, dass sie mich auch mag, dass es ihr nicht anders als mir ergeht und ich aalte mich in diesem Wissen. Ich fühlte mich vollkommen. Andererseits sollten diese Wolken verschwinden, dieser Stein auf dem Herzen, der es nicht zuließ, dass man frei und froh durchatmen konnte. Die Last wog schwer auf meinen Schultern. 

Am Abend ging ich zu meiner Chorprobe. Ein bißchen Ablenkung sollte mir doch guttun, so dachte ich. Es ging mit großen Schritten auf Weihnachten zu, wir wollten die Lieder für das Konzert besprechen. Wie jedes Jahr sollte auch ich ein Solo singen und plötzlich reifte in mir ein Plan. Wie besessen stürzte ich mich in die Proben, es sollte perfekt werden. In der Schule einigten Mara und ich uns stillschweigend auf einen geordneten Umgang. Ich kam nicht umhin, ihr immer mal wieder heimlich Blicke zuzuwerfen und auch Mara schenkte mir gelegentlich ihr wunderschönes Lächeln, manchmal auch ein Spur zu lange. Häufig traf mich auch ihr Blick, der meist von unsäglicher Trauer getragen wurde. In diesen Momenten wurde mir das Herz schwer. Das wollte ich so nicht, ich wollte sie glücklich sehen.

Das Weihnachtskonzert nahte, meine Mitsänger wunderten sich schon über meine schlechte Laune, war doch ich stets diejenige, die nichts aus der Ruhe brachte. Jede misslungene Probe wurde ich gereizter. Gleichzeitig mussten wir in der Schule eine Zusammenfassung über Faust abgeben. Ich nahm all meinen Mut zusammen und schrieb unter meinen Text: „Die Gretchenfrage, die für mich persönlich mehr als wichtig ist, ist, ob trotzdem das Interesse nicht erloschen ist. Es gibt Gelegenheiten, auch unauffällig seine Aufwartung zu machen. So gibt es zum Beispiel Konzerte, die einem die Möglichkeit geben, seinen Schwarm zu unterstützen. Ich würde mich freuen." Ich hatte damit getan, was mir möglich war. Ich konnte nur noch hoffen, ob sie meinen Wink verstanden hatte und kommen würde.

Endlich war der Konzerttag da. Ich war so nervös, ich konnte weder Essen noch trinken. Ich konnte kaum ruhig atmen. Das Konzert begann, ich stand im Chor und scannte die einzelnen Reihen ab. Wo war sie? Ich hatte so gehofft, mein Herz rutschte mir in die Hose. Wir absolvierten unser Programm, wir begannen mit „Coming Home for christmas" und arbeiteten uns über „Adeste fideles" zu „Tochter Zion" vor. Meine Enttäuschung wuchs und wuchs, ich konnte sie einfach nicht finden. Ich trug kaum noch zum Konzert bei, ich kämpfte gegen die Tränen in meinen Augen. Auch in der Pause fand ich sie nicht. Ich musste wohl damit leben, ich war ihr vielleicht wichtig, aber nicht wichtig genug. Ich hatte verstanden. Das letzte Lied nahte, mein Solo, mein Solo nur für Mara. Und sie war nicht da. Langsam schritt ich nach vorne ins Scheinwerferlicht, lauschte den ersten Klängen und begann unsicher, traurig und freudlos mehr zu murmeln als zu singen. Meine Kolleginnen und Kollegen sahen sich ratlos, die Dirigentin versuchte mich aufzumuntern, doch nichts gelang. Nach kürzester Zeit unterbrach sie das Lied, wand sich zum Publikum und entschuldigte sich. „Wir werden das Lied nochmals beginnen und hoffen so auf etwas mehr Einsatz und Gefühl." Dabei drehte sie sich vorwurfsvoll zu mir um. Entmutigt nahm ich wieder mein Mikrofon in die Hand, strich mir kurz über die Augen, schüttelte  den Kopf und sah kurz nach links Richtung Tür. Mir stockte der Atem. Da stand sie und sah mir direkt ins Gesicht. Sie war da. Sie war wirklich gekommen. Eine Träne der Erleichterung lief mir über die Wange. Mein Herz schlug nun laut und kräftig in meiner Brust. Ich begann zu singen, nur für sie, für Mara

I don't want a lot for Christmas
There is just one thing I need
I Don't care about the presents
Underneath the Christmas treeI don't need to hang my stocking
There upon the fireplace
Santa Claus won't make me happy
With a toy on Christmas Day
I just want you for my ownMore than you could ever know
Make my wish come true
All I want for Christmas is you
BabyOh I won't ask for much this Christmas
I won't even wish for snow
And I'm just gonna keep on waiting Underneath the mistletoe
I won't make a list and send itTo the north ole for saint nick
I won't even stay awake to
Hear those magic reindeer click
'Cause I just want you here tonight
Holding-on to me so tightWhat more can I do?
'Cause baby all I want for Christmas is you...


Als das Finale des Liedes begann, öffnete ich die Augen und sah ihr fest in die ihrigen. Die Musik steigerte sich und ein letztes Mal sang ich voll Inbrunst

„All I Want for Christmas Is you!" Dabei zeigte ich direkt auf sie. Für alle anderen Zuschauer mag es so gewirkt haben, als hätte ich wahllos in die Menge gezeigt, wir beide aber wussten, wer gemeint war. Ich sah, dass sie mich verstand. Sie bewegte sich im Takt der Musik und hatte beide Hände auf ihr Herz gedrückt. Dabei lächelte sie mich glücklich an und ich schwebte im siebten Himmel. Ich sang nur für sie allein. Als die letzte Note verklungen war, herrschte gespenstische Stille, die sich innerhalb kürzester Zeit in einen unglaublichen Applaus verwandelte. Meine Dirigentin warf mir eine Kusshand zu und ich strahlte mit den Scheinwerfern um die Wette. 

Als ich wieder zu Mara schaute, war sie verschwunden. 


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Ja, mich gibt es noch. Ich möchte diese Geschichte zu Ende bringen und hoffe ihr unterstützt mich dabei. 



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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 29, 2020 ⏰

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