2. Die Hülle sagt nichts über den Inhalt aus

34 5 14
                                    

Was bisher geschah: 

,,Warte eine Sekunde, denn erstens dein Knie blutet immer noch so doll wie als hätte ich ein Attentat auf dich geplant und zweitens muss ich dir doch noch deine so auffassungsvolle Frage beantworten, nicht wahr mein gefallener Engel. Oder hast du schon vergessen, dass ich eine Wollmütze trage? Und wenn ich schon mal so im großzügigen Redefluss bin, ich bin Graham Dalton und du?" 


Christian Morgenstern pflegte eins zu sagen, dass der Frieden daran liegt sein eigenes Herz zu fühlen, zu spüren wie es in der Brust Sekunde für Sekunde schlägt, wie eine tickende Zeitbombe, die irgendwann alles in ihrer Nähe in die Luft jagen wird ohne Rücksicht auf Verluste. Das Resultat all dessen ist das Unvermeidliche, denn das Ende von allem was wir kennen oder kennen zu vermögen ist die Zeit. Heutzutage können wir es uns nicht mehr erlauben über jeden Schritt unseres Lebens nachzudenken und abzuwägen was richtig und was falsch ist, denn was wir gegenwärtig erblicken, sind Generationen die hinauf zu Technologie schauen. Was die meisten jedoch nicht zu begreifen scheinen ist, dass sie wie Blindgänger sind. Sie können tödlich sein oder aber sie explodieren niemals. Denn letztendlich haben wir genügend Zeit, wir sollten nur anfangen sie richtig zu verwenden. 

Wie Graham Dalton es tat.  

,,Wusstest du das es einen Ortsteil gibt der Wassersuppe heißt und dieser liegt ausgerechnet in einer Gemeinde die sich Seeblick genannt hat?" Wie man sich in Menschen täuschen kann ist unbegreiflich, denn so wie ihm die mit Östrogen vollgestopften Mädchen hinter schmachten, scheint er in der Legacy High School eine sehr berühmte Persönlichkeit zu sein, trotz das er so verrückte Experimente startet wie eine Wollmütze im Sommer, nur um zu sehen wie viel dieses Stück Stoff vor einem Sturz schützt. Natürlich gab es diese Option nicht im Winter für ihn, weil wer brauch da schon eine Wollmütze, wenn man mit kurzen Hosen und T-Shirt in der Gegend umher schweifen kann, um zu sehen, wie sein Körper auf die schlagartige Kälte reagiert. Aber wie hat er noch gleich gesagt: ,,Es ist nur ein Experiment, um zu sehen wie viele Stürze so ein Stück Garn aushält. Und ich bin auch nicht tollpatschig. Im Grunde trifft mich nämlich keine Schuld, denn der Boden hasst mich nun mal, die Stühle wollen mich immer angreifen und die Wände stehen mir immer im Weg."

All diese Kleinigkeiten haben mich so sehr an ihm fasziniert, denn ich bewundere Menschen, die sich so zeigen, wie sie wirklich sind. Die keine Lüge notwendig haben um etwas zu erreichen, die keine Ausreden benutzen müssen, sondern ihre Stärke in der Wahrheit wiederfinden. Denn letztendlich erweckt das Äußere eines Menschen unsere Aufmerksamkeit, doch ist die wahre Faszination die, bei der wir ein Blick ins Innere werfen. Während ich also den schlaksigen, jungen Mann neben mir erblicke, der die Augen der Schönheiten missachtete und etwas von Hundeluft und Regenmäntel erzählte, wurde mir schlagartig etwas in das Bewusstsein gerufen. 

Du willst keine Bekanntschaften oder gar Freunde. Sie würden dich nicht verstehen.

,,Ich weiß, nichts von diesen Orten und um ehrlich zu sein will ich auch nichts darüber wissen. Für heute hat es mir schon gereicht, dass du mich wie ein Kegel beim Bowling umgeschmissen hast. Ich will einfach nur meine Ruhe.", ohne eine Antwort von ihm zu erwarten, lief ich die restlichen Meter zum Eingang in meine persönliche Hölle, die nur darauf wartete mich mit ihren zahlreichen Idioten zu bestrafen. Ich habe gar nicht zur Kenntnis genommen, das Graham innerhalb von wenigen Minuten, wenigen Schritten mir sein ganzes Leben aufgedrückt hat, denn zwischen dem Ort an dem er mich umgefahren hat und dem Eingang der Schule, liegen nur ungefähr 500 Meter. 

,,Hey, ich will dich nicht aufhalten, Schneewittchen, aber du hast deinen Apfel verloren.", gab der nervtötende Schönling mit einem Grinsen, wie die Katze von Alice im Wunderland, von sich und wie gerne hätte ich sie ihm aus dem Gesicht geschlagen, jedoch musste sich nach seiner bescheuerten Fahrrad-Aktion, Ruhe um mich legen. Ich wusste, dass er mich nur unnötig provozieren wollte, denn ich würde mir in hunderten von Jahren kein von diesen mit Fructose gefüllten Kernfrüchten mitnehmen, denn ich hasse sie, wie die Tatsache jetzt diese aufgesetzten Schülerbegrüßungen zu vollstrecken. Von wegen mein Name ist Brooklyn und ich bin sooo froh hier zu sein, dass schreit ja förmlich nach dem ersten Platz in Sarkasmus, aber für meinen Frieden ist mir kein Preis zu hoch, selbst wenn es bedeutet mich zum wievielten Mal auch immer selbst zu belügen. 

,,Ich heiße Brooklyn."

,,Dass weiß ich doch."

⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎⁎

,,Schönen guten Tag, meine Freunde der Sonne. Beginnen wir doch diesen wundervollen Tag mit etwas Allgemeinwissen über die US-Geschichte." 

Diese überaus hoch motivierte Lehrerin zeigt mir mal wieder, dass wir den Unsichtbaren näher sind als mit den Sichtbaren verbunden, denn während sie durch das gigantische Zimmer blickte, schien sie mich nicht in ihrer Welt aus regenbogenscheißenden Einhörnern und pinkem Glitzer wahrzunehmen. Der damit aufkommende Schmerz, dass niemals jemand die wahre Brooklyn kennen lernen wird, dass kein einziger Mensch auf dieser Welt die Vollkommenheit in mir anerkennen wird, genau dieser unendliche Gedankenfluss und die Überflutung an Emotionen in meinem Körper, verstärkte meinen Selbstzweifel. 

,,Miss Daleyza, vielleicht können Sie den Wissensstand ihrer jetzigen Mitschüler ein wenig verbessern und ein wenig Licht ins Dunkle bringen?", die auffallend hohe Stimme meiner neuen Geschichtslehrern hallte wie ein Echo zu mir heran und wie ein Reflex meiner Gliedmaßen versteiften sich diese unter den dutzenden Blicken der hormongesteuerten Teenagern , die jedoch besser bekannt waren als die nichts wissende Schwachköpfe. 

,,Da Sie wahrscheinlich genau so viel wie diese intellektuellen Nichtsnutze über die so interessante Geschichte der Vereinigten Staaten wissen, erhalten Sie von mir noch einen kleinen Willkommensbonus. Wir starten ganz einfach: Die Sklaverei wurde in den USA 1865 offiziell abgeschafft. Wie lange dauerte es jedoch bis die Rassentrennung an öffentlichen Schulen verboten wurde?", sie lebte im Glauben, dass ich auf ihre sorgfältig ausgedachte Frage keine Antwort hätte, jedoch missachtete sie in ihrer Ungewissheit, dass mein Vater früher Professor für US-Geschichte am College war und mir daher statt Märchen und Prinzessinnengeschichten, immer Gutenachtgeschichten über Kriege und den Tod vorgelesen hat, als ich noch klein war. Meist verstand ich nie, was er mir mit seinen Worten aus den 1000-seitigen Büchern sagen wollte, weshalb er anfing, aus Soldaten kleine Kinder zu machen und den Tod zum Leben danach. Die Vorstellung daran, wie ein Vater seiner gerade mal fünfjährigen Tochter beibringen wollte, was es heißt Verluste zu erleiden, möge für viele vielleicht erschreckend oder gar verstörend sein, doch begann ich die Erzählung nach meiner eigenen Fantasie umzuformen. Und so wurden die Knirpse irgendwann zu den verlorenen Kinder von Peter Pan und das Leben danach spiegelte das Nimmerland wieder. Den im Grunde, ist diese nie-älter-werdend-wollende Figur nur ein Engel, der tote Kinder ins Jenseits begleitet.

Sag nichts.

,,1954. Die Rassentrennung in öffentlichen Schulen war zu dieser Zeit vor allem in Südstaaten gesetzlich vorgeschrieben. Der Supreme Court hob das Gesetz jedoch auf."

Hör auf.

,,Das ist korrekt, Brooklyn. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für diese verlorene Generation. Die Unterdrückung von Schwarzen ging jedoch weiter. Können Sie mir sagen, wie die Frau hieß, die sich 1955 in Montgomery weigerte, ihren Sitzplatz einem weißen Mann zu überlassen?"

Du bist verloren.

,,Rosa Parks war ihr Name. Ihre Festnahme löste den Busboykott von Montgomery aus. Dieser initiierte das Ende der öffentlichen Rassentrennung in den USA.", und während ich versuchte meiner Lehrerin mein Wissen aufzudrücken, spürte ich diese ekligen Blicke auf mir. Einer nach dem anderen zog mich Stück für Stück mehr in die Tiefe. In die Verzweiflung und den Schmerz. 

Es geht mir gut.

Die Fassade jedoch beginnt zu brechen, denn dieser Moment, ist schlimmer als all die Jahre der Angst und Abwesenheit an meiner alten Schule zusammen.

Denn ich sehe das Leiden auch in seinen Augen. 

It all starts with a DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt