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Mittlerweile war es schon fast eine Woche her, seit ich Noel kennengelernt hatte. Und seitdem schrieben wir auch jeden Tag miteinander.

Ernsthaft, durch uns bekam das Wort ‚exzessiv' eine ganz neue Bedeutung. Jede freie Sekunde verbrachte ich damit mit ihm zu chatten oder ihn auf seinen social Media Kanälen zu stalken.

„Erde an Jule?" Holly schnipste vor meinem Gesicht mit ihren Fingern. „Bist du wieder im Traumland versunken oder können wir unseren Shopping Trip fortsetzen?"

Ich legte mein Handy zurück in die Tasche und rückte meine neue Brille zurecht.

Holly und ich waren gerade dabei Weihnachtsgeschenke im Einkaufszentrum zu besorgen. So kurz vor Heiligabend war das vielleicht nicht die beste Idee, da die Läden alle brechend voll waren, aber dafür waren die Rabattaktionen umso besser.

„Lass uns nur noch zwei Minuten hier sitzen bleiben! Meine Füße tun sooo weh!"

„Na gut, aber keine Sekunde länger! In einer Stunde schließen die Geschäfte", meinte sie und schlürfte an ihrem Frappucino mit Sahne, den sie sich bei dem Coffeeshop um die Ecke geholt hatte.

Von der Sitzbank, auf der wir waren, hatten wir einen perfekten Blick auf die hektische Rammelei des Einkaufszentrums. Überall liefen kleine Leute, wie in einem Ameisenbau, von A nach B, ohne Struktur und Ordnung. Vielleicht war das auch der Grund, wieso ich meinen Blick von diesem Chaos abwenden musste und stattdessen nach oben, auf die gleichmäßige Architektur der Glaskuppel, sah.

„Gibt es irgendwas neues von deinem Hockeyspieler?"

Holly war meine beste Freundin, also hatte ich ihr natürlich alles über unseren wortwörtlichen Zusammenstoß erzählt. Seit diesem Tag schwärmte ich nämlich rund um die Uhr über ihn, wie eine kranke Liebesphilosophin.
Nicht zuletzt war das auch der Grund, weshalb sie mich immer wieder damit aufzog.

„Also?"

„Wir haben nur miteinander geschrieben. Wusstest du, dass er sich wegen mir ein Schachbrett gekauft hat, damit er es sich selber beibringen kann? Das ist so romantisch!"

„Was du als romanisch empfindest ist wirklich absurd."

„Er hat gesagt: Dann können wir zusammen eine Partie spielen!"

„Mit mir wolltest du nie Schach spielen...", motzte Holly.

„Aber du bist auch richtig schlecht darin. Ich habe dich damals nach fünf Zügen besiegt!"

„Da war ich aber auch erst zehn Jahre alt, Jule."

Ich grinste vor mich hin und legte meinen Kopf an ihre Schulter. Ich kann mich noch haargenau an den Tag erinnern, als wir uns kennengelernt haben. Es war unser erster Tag im Gymnasium und die Lehrerin hatte uns einfach nebeneinander gesetzt. Kaum zu glauben, dass wir schon so lange befreundet waren.

Hingegen kannte ich Noel erst seit kapp einer Woche und ich war schon hin und weg von ihm. Immer wenn ich sah, dass er mir eine Nachricht geschrieben hatte, verformten sich meine Pupillen zu Herzchen und das Kribbeln in meinem Magen fühlte sich an, als hätte ich eine Kreissäge verschluckt.
„Ich glaube, ich bin in ihn verliebt, Holly."

„Und ich glaube, ich muss gleich kotzen." Demonstrativ machte sie ein Würgegeräusch.
„Na los gehen wir, ich will meiner Mama noch ein Weihnachtsgeschenk kaufen."

Mühsam stand ich auf und spürte sogleich das unangenehme ziehen in meinen Füßen.

Auf Schritt und Tritt folgte ich Holly in einen dieser Fast-Fashion Läden und wartete darauf, dass sie sich entweder für den roten oder den blauen Pyjama entschied, den sie ihrer Mutter dann schenken würde.

„Ich finde beide toll."

„Du bist wirklich keine große Hilfe."

„Du kannst doch auch einfach beide kaufen, deine Mutter wird sich umso mehr freuen."

„Sie braucht aber nur einen Schlafanzug, nicht zwei."

„Na gut, ich gehe mich dann umschauen. Ruf mich einfach, wenn du dich endlich entschieden hast."

Und so drehte ich alleine meine Runden im Modegeschäft, bis ich irgendwie in der Männerabteilung ankam. Ich wollte mich gerade umdrehen und zurück zu den pinken Röcken und den lila Kleidern gehen, aber dann sah ich einen mir vertrauten Hinterkopf.

„Noel?" Ich tippte ihn an die Schulter.

Er drehte sich um und beglückte mich mit einem strahlenden Lächeln. „Jule?"

Ich dachte darüber nach ob es jetzt angemessen wäre, ihn zu umarmen, aber eher ich mich dagegen entschieden konnte, schloss Noel mich schon in seine Arme und ließ mich viel zu kurz darauf wieder los.

„Was für ein Zufall dich hier zu treffen!"

„Ich glaube nicht an Zufälle. Das Schicksal hat es so bestimmt", funkelte er mich an. „Ich habe nämlich gerade eben an dich gedacht."

Mein ganzes Gesicht wurde tiefrot, was ich erfolglos versuchte zu verstecken. „Du glaubst also unsere Leben sind alle schon vorprogrammiert, ohne dass wir etwas daran ändern können? Es war Schicksal dass wir uns wieder treffen?"

„Nicht ganz. Ich glaube daran, dass alles einen tieferen Grund hat, aber auch dass man sein Schicksal selber in die Hand nehmen kann."

„Ist das nicht total widersprüchlich?"

„In meinen Augen nicht."

„Aha, und was hat das Schicksal noch so für uns parat?"

„Bestimmt noch so einige Abenteuer." Sein Blick ging in die Ferne, als ob er gerade rief in Gedanken versunken war.
Dann blitzten seine Augen verschwörerisch auf, wie wenn er einen Geistesblitz gehabt hätte.

„Was schwebt dir vor?", stieß ich ihn mit meinem Ellenbogen von der Seite an.

Er grinste. „Ich werde dir Schlittschuhlaufen beibringen."

SchlittschuhliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt