Ich musste wirklich lachen, als der Bildungsminister zitiert wurde, dass sich die hessischen Schulen in Sachen Digitalisierung auf einem guten Weg wären. Gut ja. Aber sehr lange. Frodos Reise war dagegen ein Abendspaziergang
Dabei kann er ja nicht einmal wirklich etwas dafür. Das die deutsche digitale Infrastruktur im Vergleich zu anderen Ländern irgendwo auf den hinteren Plätzen rangiert ist nicht seine Schuld. Das liegt im Kompetenzbereich eines Verkehrsministers. Böse Zungen würden behaupten, damit habe man ja auch direkt den Fehler gefunden. Ich will das mal nicht sagen, bestimmt, hoffentlich, gibt es eine Menge Gründe, weshalb (schnelles) Internet in manchen Regionen immer noch eine Glückssache ist. Ich kann mit dem Computer der NASA arbeiten dürfen, allerdings würde dieser auch an der Aufgabe scheitern, die Schulwebsite aufzurufen, wenn er keinen Internetzugang hat.
Dieser Internetzugang fehlt übrigens, zumindest an meiner Schule, auch. Zumindest in der Leistungsfähigkeit, wie man es bräuchte. Ich weiß gar nicht, ob das technisch überhaupt möglich ist, aber es wäre toll, wenn der Lehrer eine Schulwebsite / irgendeine andere Website aufrufen könnte, ohne dabei a) zu sagen, „Hoffentlich funktioniert heute das Internet." b) erstmal 20 Minuten zu brauchen, um überhaupt irgendein Wort in einer Suchmaschine zu suchen.
Aber ganz unverantwortlich ist unser lieber Bildungsminister nicht. Fangen wir doch damit an, was da ist und nicht was fehlt. Unsere Schule ist ganz vorne was die Digitalisierung angeht. Gut, die Overheadprojektoren werden von der Nachbarschule geklaut ausgeliehen, aber fast jeder Raum hat die theoretische Möglichkeit etwas digital zu nutzen oder sogar Whiteboards zu verwenden.
Und jetzt mal ganz ehrlich und unschön: Wer hat sich den Scheiß den ausgedacht?
Wenn der Lehrer ein Whiteboard verwenden möchte heißt es für uns, dass wir uns sehr entspannt zurücklehnen können, denn die nächsten 10 Minuten läuft erstmal nichts.
Warum musste man sich so versteifen auf die Vorstellung einer digitalen Tafel mit einem bemitleidenswerten Touchscreen. Meiner Meinung nach wäre es so einfach gewesen. Meine Vorstellung/ Vorschlag: Gebt dem armen Lehrer ein vernünftiges (Grafik) Tablet. Projiziert das ganze live auf eine weiße Wand, oder besser einer Magnetwand, die kann dann auch noch verwendet werden. So wie jetzt ist es erstmal eine riesige Fläche, die nur vom Whiteboard oder Overheadprojektor verwendet werden kann. Einen Lehrer der vorne (im Bild) rum hüpft, damit er sein Whiteboard kalibrieren kann oder es dazu mit viel Geduld dazu überredet bestimmte Dinge zu machen und ein Whiteboard das fünf Minuten braucht um zu realisieren, dass der Lehrer gerade einen Buchstaben geschrieben hat. Ich glaube euch ja, dass es den Prozessor Intel 4004 (erste Serienmäßig produzierte Prozessor) im Mengenrabatt gab. Aber hätte man das Geld nicht irgendwo anders sparen können?
Gut, technisch hätte man den Punkt der Digitalisierung vermutlich eleganter lösen können, aber es funktioniert, meistens. Aber wenigstens mit der Software könnte man sich doch ein wenig Mühe geben, oder? Einmal wäre da, dass eure Programme nur über ein sehr begrenztes Sicherheitssystem verfügen, gut, in die Bildung wird vermutlich nicht so viel investiert, als dass es da irgendetwas groß zu holen gäbe und generell ist eine Schule für Hacker nur einmal im Jahr, zur Abiturprüfungszeit, interessant, aber man sollte wenigstens so tun, als wäre das digitale System einer Schule schützenswert.
Was auch gut war, waren die Gesichter der Lehrer, als die Meldung der PCs kam, dass der Support für dieses Betriebssystem eingestellt wird. Natürlich kann ein System auch ohne Support leben, aber das ist wie, wenn die Bundeswehr potentiell mangelhafte...Ach ne, vergesst es.
Reden wir über die landeseigenen Software. Da gibt's nämlich was ganz Feines. Nennt sich LANis. Wie sie es selbst beschreiben: Ein pädagogischer Netzwerkaufsatz für Computer. Gut, im ersten Lockdown ist diese Software zunächst erstmal zusammengebrochen. Danach gab es eine abgespeckte Variante, aber die läuft jetzt. Laut Lehrern sollte das wohl eine Art digitales Klassenbuch sein. Was sehr schade ist, denn dieses Ding hat absolutes Potential. In Corona Zeiten haben wir als Schüler es geschafft, dass fast alle Lehrer ihre Aufgaben einheitlich auf diesen Portal Online stellen. Ganz engagierte Lehrer können sogar für jede Stunde eine mündliche Note eintragen, was ich als überaus nützlich erachte. Aber zum Himmel, wieso werden die Einträge nach 30 Tagen gelöscht?! Ja ich weiß, Serverplatz ist teuer. Aber warum? Es hätte so toll werden können. Die Schule hat auch ein Internes Programm, welches jetzt als Art Archiv dient, allerdings ist LANis weitaus übersichtlicher. Vielleicht könnte man hier und da gestaltungstechnisch etwas herausholen, aber da es ja eigentlich nur als digitales Klassenbuch gedacht war, ist es eigentlich ganz gut. Man hätte hier nur so viel Potential gehabt, aber das ist wie ein Schüler, der nach der Hälfte seiner Hausarbeit sagt „Boa, kein Bock mehr." Und den Titel sowie These ändert und abgibt. Funktioniert, habe ich auch schon gemacht.
Und damit hat sich schon die digitale Ausstattung der Schule. (Halt: Unsere Schule hat letztens einen Kopierer mit automatischer Tackerfunktion bekommen. Eine automatische Locherfunktion wäre mir lieber gewesen, aber die Begeisterung der Lehrer war wirklich lustig) Atemberaubend, ich weiß. Mir tun die Schulen leid, die sich immer noch mit schlecht beschichteten Tafeln abmühen, ich bin ja schon im Luxus angekommen.
Kommen wir nun zu dem, was nicht vorhanden ist.
Ich weiß nicht, warum genau solche Sachen nicht umgesetzt werden. Ich hoffe inständig, die Argumentation dahinter ist sehr gut.
Aber kann man mir mal erzählen, warum ich mehrere Kilo Bücher mit mir schleppe, die teilweise auch noch fachliche Fehler beinhalten, wenn es solche tollen Erfindungen gibt wie das Tablet?
Würde theoretisch nicht auch ein EBook funktionieren? Ich meine, gedruckte Bücher sind zwar toll, aber sie bringen eine Menge Einschränkungen mit sich. Meistens ist es sogar so, dass uns der jeweilige Lehrer die Seiten aus dem Buch kopiert, damit wir die Texte markieren können und Bemerkungen an die Ränder schreiben können. Nach einigen Jahren müssen einige Bücher ersetzt werden, weil sie tapfer die Schüler überstanden haben, die die Funktion eines Buches völlig neu interpretieren.
Jetzt mal ein bisschen Utopie: Die Bücher sind digital gespeichert. Statt Buch raus heißt es Tablet raus. Man kann Textstellen hervorheben und kommentieren. Statt eines riesigen Organisatorischen Aufwandes einer Bücherausleihe gibt es Codes zum Download. Innerhalb eines Schultages hat jeder Schüler sein Buch und nicht erst innerhalb zwei Wochen. Hat man etwas falsch markiert, versucht man dies nicht durch andere Markierung kenntlich zu machen, sondern löscht es. Alles ist erlaubt. Zeichnungen und Erklärungen im Buch und bei all dem Wissen, welches auch interdisziplinär verwendet werden kann (und nicht stundenplanabhängig) ist es leichter als alle Bücher zusammen. Okay, für die Ökonomen unter uns: Stellt euch nur die gesparten Druckkosten vor. Den ersparten logistischen Aufwand. Die verlängerte Haltbarkeit von den Büchern. Rein theoretisch würden dann auch die Bücherkosten sinken, weil keine Druckkosten entstehen, aber naja. Das ist Theorie.
Natürlich gäbe es dabei auch Nachteile, Anschaffungskosten und Haltbarkeit von Tablets beispielsweise. Allerdings muss man dazu sagen, dass in meiner Generation und den Generationen nach mir, ein Tablet meistens einen anderen Stellenwert hat als ein Buch und die Archelogen der Zukunft diese durchaus mit einem religiösen Symbol verwechseln könnten.
Inwieweit man einen Unterricht digitalisieren möchte, etwa durch digitale Arbeitsblätter auf dem einem technischen Gerät, dreidimensionale Modelle, ist dann wohl eine Entscheidung, die jeder irgendwie für sich und allen voran die Minister entscheiden müssten, ich sichte jetzt auch keine Studien.
Aber ich möchte auch Lehrer in die Verantwortung ziehen. Ich habe keine Ahnung, was ihr für hierarchische Strukturen habt. Es wäre allerdings super, wenn Lehrer nicht resignieren würden. Ich weiß, dass ist eine harte Forderung. Aber sie ist wichtig. Sich mit digitalen Geräten auseinandersetzen zu wollen ist meiner Meinung nach mittlerweile eine Voraussetzung. Ich weiß, dass viele Lehrer enttäuscht von der schuleigenen Ausstattung mittlerweile ihren eigenen Laptop oder Beamer mitbringen. Es gibt aber auch immer noch Lehrer, denen Schüler sehr geduldig erklären, wie jetzt genau der PC hochgefahren wird, oder ein Programm geschlossen wird. Ich weiß nicht, ob ich damit recht habe, aber es gibt doch bestimmt Fortbildungen?
Die Digitalisierung bietet bei allen kritischen Bereichen in Sachen Datenschutz oder Lernverhalten doch unglaublich viele Möglichkeiten.
Kleine Idee: Ich weiß, dass sich bisher alle meine Chemielehrer darüber aufregen, dass sie kaum noch Experimente durchführen dürfen. Dabei würde man so viel anhand eines praktischen Beispiels lernen. Wie wäre es also mit einem Video? Oder einer Animation?
Das geht natürlich nur, wenn entsprechende digitaleGrundlagen gelegt werden.
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Die Schule hat kein Corona
Non-FictionManche haben die Vorstellung, die Pandemie sei Schuld daran, dass aktuell deutschen Schulen nicht funktionieren. Spoiler: Nein. Nicht in dem Ausmaß. Eine Beobachtung eines Schulsystems von einer Schülerin aus der Oberstufe.